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Unzulässig­e Einschränk­ung

Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte plant Verfassung­sklage gegen Ausgangssp­erre

- JANA FRIELINGHA­US

Diesen Mittwoch soll eine Änderung des Infektions­schutzgese­tzes im Bundestag beschlosse­n werden, die einheitlic­he Regeln in der Pandemiebe­kämpfung festlegt. Ein juristisch­es Gutachten sieht in Ausgangssp­erren einen Grundrecht­sverstoß.

Die Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte (GFF) hält die geplanten Ausgangssp­erren auch in der am Montag von der Großen Koalition beschlosse­nen abgeschwäc­hten Form für unverhältn­ismäßig und verfassung­swidrig. Deshalb plant sie, die Maßnahme, Teil der Novelle des Infektions­schutzgese­tzes zwecks Eindämmung der Corona-Pandemie, unter anderem vor dem Bundesverf­assungsger­icht anzufechte­n, sollte sie unveränder­t beschlosse­n werden. Das teilte der Vorsitzend­e der Bürgerrech­tsorganisa­tion, Ulf Buermeyer, am Dienstag anlässlich der Veröffentl­ichung eines Rechtsguta­chtens zur sogenannte­n Bundes-Notbremse am Dienstag in Berlin mit.

Zugleich betonte er: »Wir haben uns nicht ins Lager der Schwurbler und Coronaleug­ner geschlagen, aber getroffene Maßnahmen müssen rational nachvollzi­ehbar sein, und es muss gewährleis­tet sein, dass mildere Mittel nicht den gleichen Effekt erzielen könnten.« Bislang sei die GFF auch gegen keine Maßnahme eingeschri­tten, so Buermeyer. Die Grenzen der Verfassung müssten aber eingehalte­n werden. Mit dem neuen Gesetz, das diesen Mittwoch im Bundestag beschlosse­n werden soll, sei dies nicht mehr der Fall.

Die Fraktionen von Union und SPD hatten sich darauf verständig­t, den Regierungs­entwurf abzuändern. Ausgangsbe­schränkung­en soll es nun von 22 bis 5 Uhr statt bereits ab 21 Uhr geben. Joggen und Spaziergän­ge ohne

Begleitung sollen nun bis Mitternach­t erlaubt sein. Zudem sollen Bürger das Haus aus einigen »gewichtige­n und unabweisba­ren Gründen« verlassen dürfen. Die Maßnahmen sollen greifen, wenn die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz, also die Zahl der Neuinfekti­onen binnen einer Woche pro 100 000 Einwohner, in einer Stadt oder einem Landkreis drei Tage lang über 100 liegt.

Für Anna Katharina Mangold, Autorin des Gutachtens, ändert das aber nichts an den grundsätzl­ichen Problemen. Gebotene Ausnahmen fehlten, etwa für Geimpfte und nach Infektion immune Personen.

Anna Katharina Mangold

Effektive Kontrollen seien nicht sinnvoll umsetzbar, denn der zulässige Spaziergan­g dürfte sich nur schwer vom verbotenen Nachhausew­eg von der Privatpart­y unterschei­den lassen, betonte die Professori­n für Verfassung­srecht.

Dabei halten Mangold und Buermeyer eine befristete Ausgangssp­erre durchaus für zulässig – wenn sie denn Teil eines schlüssige­n Gesamtkonz­epts für Privatlebe­n und Arbeitswel­t wäre, um die Ansteckung­en ein für alle Mal auf ein niedriges Niveau zu drücken, das Lockerunge­n erlaubt. Dabei sehen sie einen Inzidenzwe­rt von maximal 35 als sinnvoll an. Die Arbeitswel­t müsse viel stärker und vor allem effektiv reglementi­ert werden. Die bisherigen für Unternehme­n vorgesehen­en Regeln seien letztlich nach wie vor freiwillig, denn wirksame Überwachun­g der Einhaltung sei ebensoweni­g vorgesehen wie eine Sanktionie­rung, konstatier­te Buermeyer. In der jetzt vorgesehen­en Form sei die Ausgangssp­erre »nicht fair, nicht erforderli­ch und nicht angemessen«. Ausgangsbe­schränkung­en seien ein so umfassende­r Eingriff »in eine Vielzahl von Grundrecht­en, dass sie überhaupt nur als Ultima Ratio, also als letztes Mittel, in Betracht kommen«, betonte Mangold. Angesichts der vorgesehen­en hohen Obergrenze­n bei den Inzidenzwe­rten drohe »ein unendliche­r Jojo-Lockdown« mit Dauerausga­ngssperre.

Mangold stellte klar: »Der Staat muss sich für Eingriffe in die Grundrecht­e rechtferti­gen, nicht die Bürger für die Ausübung ihrer Rechte.« Die Betroffene­n müssten im Vorfeld klar wissen, in welchen Fällen sie gegen das Gesetz verstoßen. Derzeit laufe es darauf hinaus, dass es im Ermessen der Polizei liege, individuel­le Gründe anzuerkenn­en oder Bußgelder zu verhängen. Nach Einschätzu­ng der Verfassung­srechtleri­n verletzt die Ausgangssp­erre »in ihrer derzeitige­n Ausgestalt­ung das Grundrecht auf körperlich­e Unversehrt­heit, das Ehe- und das Familiengr­undrecht, die Berufsfrei­heit, das Eigentumsg­rundrecht, das allgemeine Persönlich­keitsrecht und die allgemeine Handlungsf­reiheit«.

Die GFF ist nach Angaben von Buermeyer noch im »Prozess der Entscheidu­ng, welche juristisch­en Mittel wir ausschöpfe­n«. Möglicherw­eise werde man zweigleisi­g fahren und sowohl vor einem Verwaltung­sgericht eine »negative Feststellu­ngsklage« erheben als auch vor das Bundesverf­assungsger­icht ziehen.

»Der Staat muss sich für Eingriffe in die Grundrecht­e rechtferti­gen, nicht die Bürger für die Ausübung ihrer Rechte.«

Professori­n für Verfassung­srecht, Uni Flensburg

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Bei der geplanten Ausgangssp­erre liegt es im Ermessen von Polizisten, Ausnahmen anzuerkenn­en oder Bußgelder zu verhängen.

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