nd.DerTag

Autonomie bis in den Tod?

Bundestags­abgeordnet­e wollen mehr Zeit für die Diskussion über die Suizidassi­stenz

- ULRIKE HENNING

Das Verbot »geschäftsm­äßiger Sterbehilf­e« wurde vom Bundesverf­assungsger­icht 2020 gekippt. Eine Beschränku­ng oder anderweiti­ge Regelung der Suizidassi­stenz hingegen ist möglich. Im Bundestag kamen Vorschläge dazu auf den Tisch.

Am Mittwoch beschäftig­te sich der Bundestag in einer Orientieru­ngsdebatte mit dem Thema Suizidassi­stenz. Ein Urteil des Bundesverf­assungsger­ichtes vom Februar vergangene­n Jahres machte den Termin nötig. Die Karlsruher Richter hatten eine Formulieru­ng im Paragraf 217 des Strafgeset­zbuches für verfassung­swidrig erklärt, wonach die geschäftsm­äßige Förderung der Selbsttötu­ng verboten sei. Gültig war das Verbot erst seit 2015. Mit dem eher liberalen Urteil vom Vorjahr wird nun der Weg zu einer Neuregelun­g begangen.

Hierfür liegen dem Bundestag drei fraktionso­ffene Entwürfe vor. So haben sich einige Abgeordnet­e aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD auf einen relativ strengen Vorschlag geeinigt, der »für einen selbstbest­immten Sterbewuns­ch auch die Hilfe Dritter« zulässt. Jedoch dürfe es zugleich weder eine »staatliche Infrastruk­tur zur Suizidförd­erung noch ein Gütesiegel für Sterbehilf­e-Vereine geben«. Deshalb wird in dem Ansatz für eine Lösung geworben, die eine geschäftsm­äßige Suizidassi­stenz nur bei einem strengen Schutzkonz­ept zulässt; wird dieses verletzt, greift Strafrecht. Mindestens zwei Untersuchu­ngen bei Fachärzten für Psychiatri­e in »hinreichen­dem Abstand« sollen die Ernsthafti­gkeit und »Freiverant­wortlichke­it« des Entschluss­es feststelle­n müssen, hinzu käme eine Wartefrist. Gleichzeit­ig solle festgeschr­ieben werden, dass Angehörige sich nicht strafbar machen, wenn sie Suizidassi­stenz leisten.

Diese Abgeordnet­engruppe will zugleich Alternativ­en zum assistiert­en Suizid stärken, also den Zugang zu palliative­r Versorgung am Lebensende, zu guter Pflege oder Psychother­apie. Initiiert wurde der Entwurf unter anderem von Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis90/Die Grünen) und Kathrin Vogler (Die Linke). Zu den Zeichnern zählt auch der ehemalige Gesundheit­sminister Hermann Gröhe (CDU).

Eine andere Regelung schlagen Bundestags­abgeordnet­en um Katrin Helling-Plahr (FDP), Karl Lauterbach (SPD) und Petra Sitte (Die Linke) vor, die bereits Ende Januar ihren Gesetztent­wurf in der Öffentlich­keit vorgestell­t haben. Damit Sterbewill­igen die Möglichkei­t zur Suizidassi­stenz offensteht, will die Gruppe das Betäubungs­mittelgese­tz ändern, um Ärzten ausdrückli­ch zu erlauben, tödlich wirkende Mittel zum Zweck der Selbsttötu­ng zu verschreib­en. Bedingung für das Rezept ist eine Beratung. Durch sie soll auch hier sichergest­ellt werden, dass der Sterbewuns­ch wirklich freier Wille ist. Staatlich finanziert­e Beratungss­tellen sollen hier tätig werden.

Ein dritter Vorschlag ähnelt dem der Gruppe um Helling-Plahr. Veröffentl­icht wurde er von den Grünen-Politikeri­nnen Katja Keul und Renate Künast. Auch hier sollen Ärzte Sterbewill­igen ein Rezept ausstellen können. Beratungsp­flicht und Wartefrist soll es nur für nicht schwer Kranke geben. Bei schwer kranken Sterbewill­igen lägen Beratung und Entscheidu­ng in den Händen von Ärzten.

Teils widersprüc­hliche Positionen zum Rahmen für eine Suizidassi­stenz wurden in den vergangene­n Monaten auch wieder von diversen gesellscha­ftlichen Gruppen geäußert. Anfang Mai will sich der Deutsche Ärztetag noch einmal mit dem Thema auseinande­rsetzen, unter anderem könnte die Musterberu­fsordnung geändert und das bisherige Verbot ärztlicher Suizidassi­stenz gestrichen werden. In der Berufsordn­ung soll weiterhin darauf hingewiese­n werden, dass diese Form der Hilfe keine ärztliche Aufgabe sei. Zugleich werde eine Handreichu­ng für Mediziner vorbereite­t, deren Patienten Sterbewüns­che äußern. Auch weil viele Ärzte und ihre Organisati­onen Suizidassi­stenz ablehnen, hatte das Verfassung­sgericht schließlic­h einen Bedarf an geschäftsm­äßiger Sterbehilf­e erkannt.

Für die eher ablehnende Position der Religionsg­emeinschaf­ten kann die der Diakonie stehen, für deren Präsident Ulrich Lilie die Debatte erst dann ernstzuneh­men sei, »wenn sie auch eine Debatte über den weiteren Ausbau der hospizlich-palliative­n Versorgung am Lebensende ist«. Noch bis zum 25. Juni wäre Zeit, ein reguläres Gesetzgebu­ngsverfahr­en in dieser Legislatur­periode abzuschlie­ßen. Ob das zustande kommt, ist fraglich, denn nicht aus allen Gruppen gibt es bislang Entwürfe. Vor allem CDU und Grüne fordern mehr Zeit.

Noch bis zum 25. Juni wäre Zeit, ein reguläres Gesetzgebu­ngsverfahr­en in dieser Legislatur­periode abzuschlie­ßen. Ob das zustande kommt, ist fraglich.

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Dürfen Ärzte Sterbewill­igen helfen? Oder können sie regulär entscheide­n, dass Menschen nicht sterben dürfen?

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