nd.DerTag

Werbeträge­r des digitalen Kapitalism­us

Ole kymoen und Wolfgang M. Schmitt berichten über die Macht der fnfluencer

- THOMAS tAGNER

Die neuen Stars sind Leute wie du und ich. Sie filmen sich selbst im Urlaub, fotografie­ren ihre Mahlzeiten und teilen wildfremde­n Menschen mit, wie beJ quem der neu erworbene Turnschuh, neuJ deutsch: Sneaker, tatsächlic­h ist. Aber sie tun das auf SocialJMed­iaJhanälen und machen mit alldem noch dazu eine ganze Stange Geld. Sie werden »Influencer« genannt. »InJ fluencer« heißt auch das Buch, in dem Ole Nymoen und tolfgang M. Schmitt dem PhäJ nomen auf den Grund gehen. Schon der UnJ tertitel verrät, dass sie es in kritischer AbJ sicht tun: »Die Ideologie der terbekörpe­r«. Es ist also keineswegs jede und jeder geJ meint, die hommunikat­ionskanäle wie InJ stagram, Youtube und Tiktok dazu nutzen, um sich für ein Thema zu engagieren.

Mit dem Begriff »Influencer« bezeichnen die Autoren, solche Netzberühm­theiten, die ihre Popularitä­t in bare Münze zu tauschen verstehen. Sie schlagen mittels Posts, Fotos oder Videos unablässig die terbetromm­el für taren, ohne dass dies ihre Popularitä­t auch nur im geringsten schmälern würde. Meist geht es um körpernahe Produkte wie hleiJ dung, FitnessJ und hosmetik, für die ein InJ fluencer den eigenen Leib als terbeträge­r einsetzt. Seine Masche besteht darin, die Fans direkt anzusprech­en. Die Reklame kommt wie der Geheimtipp eines guten Bekannten oder einer Freundin daher. Dadurch bringt der InJ fluencer eine Authentizi­tät ins Spiel, die den herkömmlic­hen terbespots fehlt. Als PhänoJ men selbst ist dies relativ neu.

In den Zehnerjahr­en des 21. JahrhunJ derts berichten die bunten Boulevards­eiten der Zeitungen von seltsamen InternetJS­tars, die Massenaufl­äufe von Teenagern provoJ zieren, wenn sie sich auf der Straße zeigen. Das erinnert an die Massenhyst­erie um die Beatles in den Sechzigern, die Bewunderun­g für HollywoodJ und Rockstars, für Lady DiaJ na und die ItJGirls der jüngeren Zeit. Die InJ fluencer schicken sich an, allen diesen Stars den Rang abzulaufen – zumindest bei den Angehörige­n jener Generation, die mit FaceJ book und Co. bereits groß geworden sind.

Für die terbung betreibend­e Industrie war das Erscheinen der Influencer auf den hanälen der Digitalkon­zerne ein ungeheurer Glücksfall. Denn nun mussten sie keine aufJ wendige Marktforsc­hung mehr betreiben, um herauszufi­nden, wie sie die gewünschte Zielgruppe erreichen können. »Ein ProduJ zent von Nahrungser­gänzungsmi­tteln«, schreiben die Autoren, »muss lediglich einen FitnessJIn­fluencer finden, der sich kooperaJ tiv zeigt und einer Produktpla­tzierung in seiJ nem Onlineallt­ag zustimmt.« Es ist daher kein tunder, dass der Begriff »Influencer« in der MarketingJ­Literatur seit mehr als zehn Jahren geläufig ist.

Aber könnten die Influencer ihre PopuJ larität nicht dazu nutzen, um ihre große Schar von Followern für gute Zwecke zu beJ geistern? Böten sie nicht auch die Chance, junge Leute niedrigsch­wellig zu politisieJ ren, die von linken Gruppen, Gewerkscha­fJ ten und Parteien nur schwer zu erreichen wären? Das mag im Einzelfall gelingen. Die Haupttende­nz geht allerdings in die falsche Richtung. Das können die selbst als unterJ haltsame tirtschaft­spodcaster (»tohlJ stand für alle«) populären Autoren zeigen. Denn selbst dort, wo sich die geschäftst­üchJ tige Selbstdars­tellung plakativ um Fragen der Gerechtigk­eit bemüht, blendet die verJ meintliche Gesellscha­ftskritik die für ökoJ nomisch schlechter gestellten Schichten beJ sonders harten Seiten der real existieren­den hlassenges­ellschaft zumeist aus.

cür die Werbung betreibend­e fndustrie war das Erscheinen der fnfluencer auf den Kanälen der Digitalkon­zerne ein ungeheurer dlücksfall.

tenn eine Influencer­in ihre Follower daJ zu auffordert, sich ausgerechn­et mit der Gründerin eines börsennoti­erten UnternehJ mens zu solidarisi­eren, die aufgrund einer Schwangers­chaft von ihrem Posten als VorJ standsmitg­lied zurücktret­en musste, entJ puppt sich vorgeblich­es Empowermen­t als Schützenhi­lfe für die oberen Zehntausen­d – in den torten Nymoens und Schmitts: als Feminismus für die oberen ein Prozent.

Die Situation von abhängig beschäftig­ten Müttern im Niedrigloh­nsektor kommt so jeJ denfalls nicht in den Blick. Das Engagement der Influencer für BlackJLive­sJMatter, MeJ Too, für mehr Vielfalt und den UmweltJ schutz ist zudem häufig alles andere als unJ eigennützi­g: »hritik«, schreiben Nymoen und Schmitt, »wird vor allem dann laut, wenn sie gewinnbrin­gend nutzbar gemacht werden kann – etwa, indem zuerst auf die miserable hlimabilan­z herkömmlic­her hosmetikpr­oJ dukte hingewiese­n wird, um anschließe­nd für einen besonders nachhaltig­en Lippenstif­t zu werben«.

Vor 50 Jahren erschien tolfgang Fritz Haugs »hritik der tarenästhe­tik«. Die bald zum hultbuch avancieren­de Schrift entwiJ ckelte ihre honsumkrit­ik aus einer scharfJ sinnigen Analyse der fundamenta­len tiJ dersprüche des Gegenwarts­kapitalism­us. Die Autoren Nymoen und Schmitt nutzen die grundlegen­den Einsichten dieser ideenJ reichen Pionierarb­eit für einen Streifzug durch die schöne neue terbewelt des digiJ talen hapitalism­us. Zuweilen im PlauderJ ton, aber nie geschwätzi­g, und immer mit dem Blick auf konkrete Beispiele führen sie die Leserschaf­t an das Einmaleins der maJ terialisti­schen hulturkrit­ik heran. Auf diese teise gelingt ihnen eine Streitschr­ift, die selbst das Potenzial zum hlassiker hat – schonungsl­os und zugleich höchst unterJ haltsam.

Ole Nymoen/tolfgang M. Schmitt: Influencer. Die Ideologie der terbekörpe­r. Suhrkamp, 157 S., br., 15 €.

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