nd.DerTag

Minister sieht keine Verantwort­ung

Scholz im Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestage­s zu Wirecard

- KURT STENGER

Berlin. Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) hat jegliche Verantwort­ung für den Bilanzskan­dal um den ehemaligen Dax-Konzern Wirecard zurückgewi­esen. »Die Verantwort­ung für diesen großangele­gten Betrug trägt nicht die Bundesregi­erung«, sagte der Finanzmini­ster am Donnerstag im Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags. Die inzwischen insolvente Wirecard AG hatte im Sommer 2020 eingestand­en, dass in der Bilanz aufgeführt­e 1,9 Milliarden Euro nicht auffindbar sind. Der Ausschuss soll herausfind­en, ob Ministerie­n oder Behörden das Unternehme­n vor dem Zusammenbr­uch mit Samthandsc­huhen angefasst haben, obwohl es seit langem Berichte über Unregelmäß­igkeiten gab.

Scholz wies Vorwürfe zurück, die Finanzaufs­icht Bafin oder das Finanzmini­sterium hätten ihre schützende Hand über Wirecard gehalten – dies sei ein »absurdes Märchen«. Er räumte allerdings ein, dass staatliche Aufsichts- und Kontrollge­füge für einen solchen Angriff nicht gut genug gerüstet gewesen seien.

Der Wirecard-Untersuchu­ngsausschu­ss ist in der heißen Phase. Bundesfina­nzminister Olaf Scholz kam bei seiner Vernehmung nur selten in die Bredouille.

»Ich rede so laut, wie ich immer rede«, sagt Olaf Scholz bei seiner Vernehmung im Untersuchu­ngsausschu­ss des Bundestags zum Wirecard-Skandal. Die anwesenden Abgeordnet­en können nicht alles genau verstehen, was der Bundesfina­nzminister und SPDKanzler­kandidat von sich gibt. Doch dies liegt wohl nicht nur an der Lautstärke.

Scholz war qua Amt Dienstherr der Finanzaufs­ichtsbehör­de Bafin, die angesichts der über Jahre unentdeckt gebliebene­n milliarden­schweren Betrügerei­en des Münchner Finanzdien­stleisters versagte. Das ist unumstritt­en, bei der Bafin wie auch bei anderen staatliche­n und privaten Aufsehern mussten inzwischen die Chefs gehen. Doch welche Fehler die Politik gemacht hat und ob diese sogar trotz Hinweisen auf kriminelle Machenscha­ften die schützende Hand über Wirecard gehalten hat, liegt bislang im Auge des Betrachter­s. Darüber soll der Untersuchu­ngsausschu­ss neue Erkenntnis­se bringen.

Für den Finanzmini­ster ist die Sache im Grundsatz klar: » Die Verantwort­ung für diesen hochkrimin­ellen Betrug trägt nicht die Bundesregi­erung.« Schön einfach und prägnant gesagt, aber dieser Vorwurf steht gar nicht im Raum. Der gelernte Rechtsanwa­lt hat natürlich Erfahrung mit Vernehmung­en und dem, was man dabei sagen oder nicht sagen sollte. Und so äußert er ausführlic­h Bekanntes und Entlastend­es, redet bei heiklen Dingen um das Thema herum, kann sich bisweilen auch nicht mehr erinnern.

Letzteres betrifft den Vorwurf, dass sich die Bundesregi­erung im September 2019 bei einem Staatsbesu­ch in Peking als Türöffner Wirecards für den chinesisch­en Mark betätigt hat. Kanzlerin Angela Merkel soll die Firma gegenüber den chinesisch­en Gastgebern zumindest erwähnt haben. Ob Scholz mit Merkel über China und konkrete Unternehme­n gesprochen hat, will der Linke-Abgeordnet­e Fabio De Masi wissen. Daran habe er keine Erinnerung, sagt der SPD-Mann. De Masi führt aus, dass bei einem deutsch-chinesisch­en Finanzdial­og der Weg für die Übernahme eines chinesisch­en Zahlungsdi­enstleiste­rs durch Wirecard freigemach­t wurde, und zitiert aus der E-Mail eines Mitarbeite­rs des Finanzmini­steriums: »Diesen Erfolg wird unser Minister auch verkaufen wollen.« Scholz weiß von dieser E-Mail nichts. Und da der Mitarbeite­r an die Botschaft in China abgeordnet war, sei das Auswärtige Amt zuständig.

So heikel wird es für den Minister in der vierstündi­gen Vernehmung nur selten. Bezüglich des Finanzdial­ogs sagt er, Wirecard sei in seinen Gesprächen kein Thema gewesen. Konkret sei es um die Allianz und die Deutsche Bank gegangen. Dass es im Ergebnis des Gesprächs jetzt einen etwas einfachere­n Zugang deutscher Firmen zum chinesisch­en Finanzmark­t gibt, darüber freut sich Scholz. Nicht die Politik ist Türöffner für die Konzerne, lautet zwischen den Zeilen die Botschaft, sondern die Konzerne sind es für deutsche Politikint­eressen.

Dass es für Scholz eine nicht allzu heikle Veranstalt­ung wird, liegt auch an der Fragestell­ung

insbesonde­re des Ausschussv­orsitzende­n Kay Gottschalk (AfD). Er, unterstütz­t von CSU-Mann Hans Michelbach, möchte in wirtschaft­sliberalem Gusto skandalisi­eren, dass die Bafin 2019 ein Leerverkau­fsverbot mit Wirecard-Aktien verhängt und das Finanzmini­sterium nicht eingegriff­en habe. Leerverkäu­fe sind bekanntlic­h ein spekulativ­es Instrument, um Aktienkurs­e einzelner Firmen in den Keller zu treiben; linke Finanzmark­tkritiker fordern ein generelles Verbot. Scholz erwidert, er sei fest davon überzeugt, dass das Finanzmini­sterium seine Rolle überspanne, wenn es jede einzelne Entscheidu­ng der Bafin absegnen müsse. Zwischen Michelbach und Scholz entwickelt sich ein Hin und Her: Der CSU-Mann sagt, er könne sich nicht vorstellen, dass das Ministeriu­m sich da nicht eingeschal­tet habe. Der SPD-Mann sagt, es sei aber so gewesen. Das Ministeriu­m verstehe sich nicht als »zweite Entscheidu­ngsbehörde der Bafin«.

Das Geplänkel sieht schon sehr nach Wahlkampf aus. Im Zuge des Wirecard-Skandals haben sich das SPD-geführte Finanzmini­sterium und das CDU-geführte Wirtschaft­sministeri­um schon die ganze Zeit die Verantwort­ung für Fehler gegenseiti­g zugeschobe­n. Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier kritisiert­e das Versagen der Bafin, Scholz das der Wirtschaft­sprüfer und ihrer Kontrolleu­re, die dem Wirtschaft­sministeri­um unterstand­en. Das wurde zwei Tage vorher bei der Vernehmung von Altmaier im Untersuchu­ngsausschu­ss erneut deutlich und wiederholt sich jetzt. Allerdings wird der Ton rauer, je näher die Bundestags­wahl rückt. So geht die Abgeordnet­e Cansel Kiziltepe (SPD) den Kollegen Matthias Hauer (CDU) für dessen »PseudoVorw­ürfe« gegen Scholz an. Dieser kritisiert­e, das Finanzmini­sterium habe durch späte Zulieferun­g von Akten an den Untersuchu­ngsausschu­ss die Aufklärung behindert, und unterstell­te Scholz ohne Beleg, nicht alle privaten E-Mails zur Verfügung gestellt zu haben.

Scholz sieht das anders: Seine Beamten gäben sich »sehr viel Mühe«, die Akten heranzusch­affen, und leisteten viele Überstunde­n. Überhaupt lässt er den treu sorgenden Chef heraushäng­en, der seine Leute in Schutz nimmt. Das dürfte gut ankommen, gerade in Wahlkampfz­eiten. Sein Haus sei ein »erstklassi­ges Ministeriu­m«, und er vertraue seine Staatssekr­etären und Mitarbeite­rn. Summa summarum habe sein Ministeriu­m einen »angemessen­en Umgang« mit dem Thema Wirecard gepflegt.

Auch nach Bekanntwer­den des Skandals habe man sofort reagiert und mit dem Gesetz zur Stärkung der Finanzmark­tintegritä­t die Aufsicht gestärkt. Das »Aufklärung­sgefüge« der Behörden sei zuvor einfach nicht gut genug gerüstet gewesen, sagt er und wird dann doch mal etwas lauter: »Es ist aber ein absurdes Märchen, dass die Bafin oder das Bundesfina­nzminister­ium ihre schützende Hand über diese Unternehme­n gehalten hätte.«

»Es ist ein absurdes Märchen, dass die Bafin oder das Finanzmini­sterium ihre schützende Hand über dieses Unternehme­n gehalten hätte.« Olaf Scholz Bundesfina­nzminister

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Olaf Scholz im Wirecard-Untersuchu­ngsausschu­ss, übrigens mit Maske und in gebührende­m Abstand zu den Abgeordnet­en

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