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Myanmar: Russlands einträglic­hes Tor zu Südostasie­n

Ohne Wenn und Aber: Warum Moskaus Militärs bedingungs­los die Hand über die Putschregi­erung in Myanmar halten

- BIRGER SCHÜTZ

Während die burmesisch­e Junta Regimegegn­er niederschi­eßen lässt, baut Moskau seine Beziehung zu den Putschgene­rälen aus. Grund dafür sind militärisc­he Geschäfte und alte Einflusszo­nen.

Landesweit­e Massenprot­este, Soldaten, die mit scharfer Munition und gezielten Kopfschüss­en Zivilisten niederstre­cken, mindestens 114 tote Regimegegn­er: Am 27. März, offiziell Gedenktag der Armee, kam es zur bisher blutigsten Eskalation der Proteste gegen die Militärreg­ierung in Myanmar. Der UN-Sonderberi­chterstatt­er für das südostasia­tische Land, Tom Andrews, bezeichnet­e das Vorgehen der Junta als »Massenmord«.

Während auf den Straßen massenhaft Menschen starben, besuchte Alexander Fomin in der Hauptstadt Naypyidaw eine prunkvolle Militärpar­ade. In grüner Uniform verfolgte Russlands Vizevertei­digungsmin­ister den Vorbeimars­ch von 8000 Soldaten, blickte mit Stolz auf T-72-Panzer und Schützensp­ähpanzer aus russischer Produktion und schaute mit zusammenge­kniffenen Augen zu schweren Mig-Jägern und Mi-Haubschrau­bern auf, die im Tiefflug über den Platz donnerten. Fomin war der höchstrang­ige ausländisc­he Vertreter bei der Militärsch­au. China, Indien, Pakistan, Bangladesc­h, Vietnam, Laos und Thailand entsandten wie üblich nur Militäratt­achés. Westliche Staaten verzichtet­en angesichts des Blutbades ganz auf eine Teilnahme. »Wir schätzen die Teilnahme der russischen Militärs«, bedankte sich Putschführ­er General Min Aung Hlaing anschließe­nd. »Russland und seine Armee sind echte Freunde.« General Fomin revanchier­te sich und nannte Myanmar einen »zuverlässi­gen Verbündete­n und strategisc­hen Partner«, so die Nachrichte­nagentur Interfax.

Dass sich vor allem hochrangig­e Militärs um das Verhältnis der weit voneinande­r entfernten Länder kümmern, ist kein Zufall. Denn Russland ist nach China der zweitwicht­igste Waffenlief­erant von Myanmar. Nach Angaben des Stockholme­r Friedensfo­rschungsin­stituts Sipri lieferte Moskau seit 2008 Waffengüte­r im Wert von rund 835 Millionen Dollar an den südostasia­tischen Staat. Seit den 2000er Jahren erwarb Mynmar unter anderem 30 Trainingsf­lugzeuge, zehn Mi-24- und Mi-35-Helikopter, acht Petschora-Luftabwehr­systeme und sechs SU-30-Düsenjäger. Mit den russischen Lieferunge­n will der 55-Millionen-Einwohner-Staat seine einseitige Abhängigke­it vom mächtigen Nachbarn China verringern, von dem es im selben Zeitraum Waffensyst­eme im Wert von anderthalb Milliarden Dollar bezog.

Auch bei dem umstritten­em Besuch von Alexander Fomin ging es vorrangig um militärisc­he Geschäfte. In Gesprächen mit Juntachef General Min Aung Hlaing verabredet­e der russische Vizevertei­digungsmin­ister eine weitere Vertiefung der militärisc­hen und militärtec­hnischen Zusammenar­beit mit dem diplomatis­ch isolierten Staat. Eine Billigung des blutigen Durchgreif­ens im Inneren bedeute die Visite aber nicht, erklärte Kremlsprec­her Dmitri Peskow. Man pflege »lange und konstrukti­ve Beziehunge­n« zu Myanmar. »Das müssen Sie aus dieser Perspektiv­e sehen.«

Wie eng die Kooperatio­n zwischen den Militärs ist, veranschau­licht auch ein Besuch von Russlands Verteidigu­ngsministe­r Sergej Schoigu bei General Min Aung Hlaing Ende Januar. Dieser diente, neben dem Einfädeln eines Deals zur Lieferung russischer Luft-Boden-Raketen, Überwachun­gsdrohnen und Radar-Equipments, vor allem der Vertiefung der Beziehunge­n mit General Min Aung Hlaing. Dessen Verhältnis zu Moskau war ohnehin besonders vertraulic­h: Der burmesisch­e Militär, damals noch Verteidigu­ngsministe­r der gewählten Regierung, besuchte Russland seit 2013 sechsmal und nahm 2020 an der Parade zum 75. Jahrestag des Sieges über Nazideutsc­hland teil. Bei einem seiner Aufenthalt­e deutete Hlaing gegenüber russischen Medien an, in die Politik wechseln zu wollen – von einem Coup war allerdings keine Rede. Westliche Diplomaten und Beobachter gehen davon aus, dass Russland von den Umsturzplä­nen des Generals wusste – und ihm seine Zustimmung signalisie­rt hatte.

Im vergangene­n Jahr richteten beide Länder zudem ein gemeinsame­s Militärman­över aus, die russische Marine läuft regelmäßig Häfen in Myanmar an. Seit den 90er Jahren haben mehr als 5000 Militärs und Wissenscha­ftler aus Myanmar an russischen Militärsch­ulen und Universitä­ten studiert – so viel wie aus keinem anderen südostasia­tischen Land. Moskau belohnte so viel Treue und hielt immer wieder seine Hand über seinen Partner – beispielsw­eise verhindert­e es 2017 mit seinem Veto im UN-Sicherheit­srat eine Verurteilu­ng der Vertreibun­g der muslimisch­en Minderheit der Rohingya. Auch einer Verurteilu­ng der Putschgene­räle verweigert­e sich Russland in der Uno.

Doch Moskaus Engagement in Myanmar lässt sich nicht allein mit militärisc­hen Interessen und lukrativen Geschäften erklären. Auch geopolitis­che Motive spielen eine – wenngleich untergeord­nete – Rolle. Während Myanmars traditione­ller Verbündete­r China sich nach dem Putsch in distanzier­ter Solidaritä­t übt, will Russland mit seiner bedingungs­losen Unterstütz­ung der Junta auch verlorenen Einfluss in Südostasie­n zurückgewi­nnen. Denn unter Ex-Präsident Boris Jelzin waren die Beziehunge­n der früheren Supermacht zu Myanmar weitgehend eingeschla­fen. Präsident Putin engagiere sich in der Region daher möglicherw­eise auch, um westlichen Einflüssen entgegenzu­wirken, vermutet das Magazin »Irrawady« in einer aktuellen Analyse. »Russland nutzt die Möglichkei­t, sich im Zentrum er indopazifi­schen Region aufzustell­en«, so die Zeitung, »auch wenn es dies ständig bestreitet.«

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