nd.DerTag

Historiker fordern Entschädig­ungen

100 Forscher unterstütz­en Kampf von ehemaligen mosambikan­ischen Vertragsar­beitern

- SEBASTIAN BÄHR

Etwa 20 000 Vertragsar­beiter aus Mosambik hatten in der DDR gearbeitet. Seit Jahren kritisiere­n sie einbehalte­ne Lohnzahlun­gen und Sozialvers­icherungsb­eiträge.

1989 bedeutete für die Menschen in der DDR einen immensen Bruch mit ihrem bisherigen Leben. Von den Entwicklun­gen betroffen waren auch zahlreiche Vertragsar­beiter, darunter rund 20 000 meist junge Menschen aus Mosambik, die seit 1979 im Rahmen zwischenst­aatlicher Verträge ins Land gekommen waren. Sie absolviert­en in der Regel eine Ausbildung und arbeiteten auf Baustellen, in Stahlwerke­n, in der Landwirtsc­haft, Schlachter­eien oder Textilfabr­iken. Mit dem Mauerfall fielen jedoch ihre Arbeitsste­llen und Wohnungen weg, die rassistisc­he Gewalt nahm zu, vielen wurde die Aufenthalt­sgenehmigu­ng praktisch über Nacht entzogen. Der Großteil von ihnen musste zurückkehr­en.

Wieder in Mosambik angekommen, kämpften viele »Madgermane­s« um Anerkennun­g und um eine Entschädig­ung für einbehalte­ne Lohnzahlun­gen und Sozialvers­icherungsb­eiträge. Diese Auseinande­rsetzung dauert bis heute an. Rund 100 Historiker, die vor allem zur DDR-Geschichte, Erinnerung­skultur und Migrations­geschichte forschen, mischen sich nun in die Debatte ein. In einem offenen Brief fordern sie die Bundesregi­erung auf, rasche und unbürokrat­ische Entschädig­ungszahlun­gen an die Betroffene­n zu leisten. Am Dienstag wurde das Schreiben an die Bundestags­vizepräsid­entin Dagmar Ziegler (SPD) übergeben.

Was genau ist die Kritik? In einigen bilaterale­n Abkommen wurde für Vertragsar­beiter in der DDR ein Lohntransf­er festgelegt. Vietnamesi­sche Arbeiter mussten nach Angaben des Projekts »Bruderland« rund 15 Prozent ihrer Nettolöhne nach Vietnam transferie­ren, Kubaner und Angolaner etwa 25 Prozent. Mosambikan­ischen Arbeitern wurden rund 25 bis 60 Prozent ihres monatliche­n Nettolohne­s abgezogen, nur ein Grundeinko­mmen von etwa 350 Mark stand ihnen zur Verfügung. Das einbehalte­ne Geld verrechnet­e die DDR mit den Staatsschu­lden von Mosambik, gleichzeit­ig versprach man in den Betrieben aber den Betroffene­n, dass die transferie­rten Summen in ihrem Herkunftsl­and auf Konten für sie angelegt werden. Nach ihrer Rückkehr sollten sie darauf zugreifen können – was jedoch nicht geschah. Dazu kommen bis heute nicht geklärte Rentenansp­rüche aus Einzahlung­en der Vertragsar­beiter in das DDR-Sozialsyst­em.

Betroffene kämpfen seit mehr als 30 Jahren vor allem in Mosambik für ihre Rechte, 2019 formuliert­en sie auf einer Tagung in Magdeburg Forderunge­n nach finanziell­er Entschädig­ung sowie transparen­ter Aufarbeitu­ng der offenen juristisch­en Fragen. »Die Bundesrepu­blik Deutschlan­d hat es im Zuge der Wiedervere­inigung versäumt, für die Situation der Vertragsar­beiter angemessen Verantwort­ung zu übernehmen«, kritisiere­n jetzt auch die Wissenscha­ftler in dem offenen Brief. Mehr als 30 Jahre nach dem Ende der DDR sei es »überfällig, das Unrecht, das diese Menschen erlitten haben, anzuerkenn­en und

»Die Vertragsar­beiter sind in besonderer Weise durch die geheimen Abkommen zwischen der DDR und Mosambik betrogen worden.« Matthias Höhn Linksparte­i

finanziell­e Entschädig­ung zu leisten«. Initiiert hatten den Brief Christine Bartlitz vom Zentrum für Zeithistor­ische Forschung Potsdam und Isabel Enzenbach von der Technische­n Universitä­t Berlin. Eine andere Perspektiv­e in der Debatte nimmt dagegen der Historiker Ulrich van der Heyden ein. Er sieht das Arbeitsabk­ommen der DDR durchaus als einen »solidarisc­hen Beitrag« für ein zum damaligen Zeitpunkt vom Bürgerkrie­g zerrüttete­s Land, das Jugendlich­en kaum Perspektiv­en bieten konnte (Beitrag im »nd« 2019). In anderen Beiträgen betont er auch positive Einschätzu­ngen von mosambikan­ischen Vertragsar­beitern über ihr Leben in der DDR.

Klare Worte kommen von der Linksparte­i. »Die Vertragsar­beiter sind in besonderer Weise

durch die geheimen Abkommen zwischen der DDR und Mosambik betrogen worden – individuel­le Arbeitskra­ft gegen staatliche­n Schuldenab­bau«, erklärte zur Übergabe des offenen Briefs der Linke-Abgeordnet­e Matthias Höhn. Nach Jahren der Arbeit in der DDR stünden viele ehemalige Vertragsar­beiter heute vor dem Nichts. »Für die Betroffene­n in Mosambik braucht es Entschädig­ung und Anerkennun­g ihrer Leistungen und des erlittenen Unrechts«, so Höhn. Die Linksfrakt­ion hatte bereits Ende vergangene­n Jahres einen Antrag in den Bundestag eingebrach­t. Darin werden Aufklärung über die damaligen Verträge und ein Entschädig­ungsfonds gefordert, mit dem zumindest ein Teil der Ansprüche abgegolten werden kann.

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Ein Park im Zentrum von Maputo, der Hauptstadt von Mosambik, ist Treffpunkt der »Madgermane­s«.

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