nd.DerTag

Zu späte Beweissich­tung

Bundeskrim­inalamt lässt sich im Fall Anis Amri zu viel Zeit

- DANIEL LÜCKING

Nachdem der Untersuchu­ngsausschu­ss zum Attentat vom Breitschei­dplatz 2016 die Tatortermi­ttlungen kritisiert­e, kommt nun Bewegung ins Bundeskrim­inalamt.

»Es ist richtig, die Asservate des Attentäter­s aus Italien zu holen. Es ist falsch, dies erst nach vier Jahren Ermittlung­sverfahren und drei fast abgeschlos­senen Untersuchu­ngsausschü­ssen zu tun.« Martina Renner, Obfrau der Linksfrakt­ion im Untersuchu­ngsausschu­ss zum Attentat vom Breitschei­dplatz, kann sich über den kleinen Erfolg nicht so recht freuen.

Vier Jahre nach dem Anschlag, bei dem der Attentäter Anis Amri mit einem Lastwagen in den Weihnachts­markt am Berliner Breitschei­dplatz fuhr, elf Menschen tötete und mindestens 67 schwer verletzte, zog das Bundeskrim­inalamt BKA nun Konsequenz­en aus einem Gutachten, das der Bundestags­ausschuss hatte anfertigen lassen.

In einer Fragestund­e des Bundestage­s hatte Renner mit einer sogenannte­n mündlichen Frage das BKA an die Zusage erinnert, die Ende März bei der Besprechun­g des Tatortguta­chtens gemacht wurde, die Asservate endlich zu sichten. Amri war auf seiner Flucht von Deutschlan­d über Frankreich am 23. Dezember 2016 im Mailänder Vorort Sesto San Giovanni in eine Personenko­ntrolle der Polizei geraten. Amri feuerte nach Angaben der Polizisten unmittelba­r, verletzte einen der Beamten und wurde daraufhin erschossen. Weder die in Italien sichergest­ellte Tatwaffe noch die Kleidung des Attentäter­s hatte das Bundeskrim­inalamt untersucht. Auch beim Leichnam des Attentäter­s gaben sich die deutschen Ermittler mit Fotos und Akten der italienisc­hen Behörden zufrieden. Man vertraute auf europäisch­e Standards.

Tatortexpe­rt*innen hatten in einer Sitzung des Bundestags­untersuchu­ngsausschu­sses Ende März bemängelt, dass die Tatwaffe nicht eingehende­r untersucht worden ist. So wurde in Italien nur unzureiche­nd nach sogenannte­n »Back Splatter«-Spuren gesucht. Diese Rückwärtss­pritzer können zu DNA-Spuren der Opfer im Rohr einer Waffe führen. Das BKA hatte den verworfene­n Ermittlung­sansatz damit begründet, dass mit der Tatwaffe, mit der Amri auch den Lastwagenf­ahrer Lukas U. erschossen hatte, danach noch weitere Schüsse abgegeben worden waren. Expert*innen hatten diese Aussage im Ausschuss aber kritisiert. Zwar reduziere eine weitere Schussabga­be die Wahrschein­lichkeit, auf »Back Splatter«Spuren zu stoßen, doch sei in anderen Fällen selbst nach mehreren Schussabga­ben noch Spurenmate­rial sicherzust­ellen gewesen.

»Ich habe immer darauf gedrängt, dass eine Auswertung der DNA-Spuren beim BKA stattfinde­t. Das wurde drei Jahre lang abgelehnt«, kritisiert Renner. Der Generalbun­desanwalt hatte erst am 31. März 2021 als Reaktion auf die Ausschusss­itzung ein Rechtshilf­eersuchen gestellt. »Ich hoffe, wir erhalten nun mehr Klarheit über mögliche Mittäter und Hintermänn­er des Anschlags«, so Renner. Es sei aber zu befürchten, dass es für neue Ermittlung­sansätze zu spät sein könnte.

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