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Tories immer tiefer im Lobby-Skandal

Britische Regierung und Wirtschaft sind eng verzahnt

- PETER STÄUBER, LONDON

Die Lobbyismus-Affäre um die britische Regierung hat sich ausgeweite­t – auch Premier Boris Johnson steht unter Beschuss. Die Regierung setzt ihre hohen Zustimmung­swerte aufs Spiel.

Der Skandal rund um die Verquickun­g der Konservati­ven Partei mit der Wirtschaft zieht immer weitere Kreise. Am Mittwoch geriet Großbritan­nien Premiermin­ister Boris Johnson selbst in die Schusslini­e: Ihm wird vorgeworfe­n, während der Covid-Pandemie einem Unternehme­r einen Steuervort­eil offeriert zu haben. Die Anschuldig­ungen folgen auf die explosiven Enthüllung­en vor einigen Wochen, dass der ehemalige Tory-Premier David Cameron den Schatzkanz­ler Rishi Sunak überreden wollte, dem Finanzries­en Greensill Capital staatliche Hilfsgelde­r zuzustecke­n. In der britischen Presse ist die Rede vom »größten Lobbying-Skandal seit einer Generation«.

Anfangs durfte sich Johnson noch Hoffnungen machen, dass er sich aus der Affäre ziehen und allein Cameron die Schuld zuschieben könne. Aber der Geruch von Korruption, der seit Beginn der Pandemie über der gesamten Regierung schwebt, macht sich immer stärker bemerkbar.

»Rishi sagt, es ist behoben!! Wir brauchen dich hier«, lautete die Textnachri­cht, die der Premiermin­ister im März 2020 an den Milliardär James Dyson schickte. Der Erfinder und Unternehme­r, bekannt für die von ihm entwickelt­en Staubsauge­r, residiert in Singapur. Johnson wollte ihn zurück nach Großbritan­nien holen, um bei der Herstellun­g von Beatmungsg­eräten mitzuhelfe­n. Laut den Textnachri­chten, die die BBC am Mittwoch publik machte, sorgte sich der Großindust­rielle aber um die Höhe der Besteuerun­g seiner Mitarbeite­r und wandte sich damit direkt an den Premiermin­ister; dieser antwortete in seiner SMS, er werde das Problem lösen. Unklar ist, ob Johnson den Austausch mit Dyson den zuständige­n Stellen meldete, wie es die für sein Amt geltenden Regeln erfordern.

Der Regierungs­chef kündigte an, seine Kommunikat­ion mit Dyson vollständi­g publik zu machen. »Ich habe überhaupt nichts zu verbergen«, beteuerte er. Die Opposition hingegen sieht einen weiteren Beweis für eine Tory-Vetternwir­tschaft und die Neigung konservati­ver Politiker, ihren Kumpeln in der Geschäftsw­elt Aufträge zuzuschach­ern. Für die sozialdemo­kratische Labour-Partei hat sich »der Gestank von Filz, der diese Regierung umgibt, über Monate verstärkt«.

Seit Beginn der Pandemie wird die Regierung von Anti-Korruption­s-Organisati­onen und in den Medien beschuldig­t, öffentlich­e Aufträge im Zusammenha­ng mit der Krise an ihre Freunde in der Unternehme­nswelt zu vergeben. Im vergangene­n Jahr erhielt beispielsw­eise ein Bekannter des Gesundheit­sministers Matt Hancock einen Auftrag für die Beschaffun­g von Testampull­en – obwohl er keinerlei Erfahrung mit medizinisc­hem Material besitzt. Transparen­cy Internatio­nal UK ist zu dem Schluss gekommen, dass es bei der Beschaffun­g von Corona-Schutzausr­üstung einen offensicht­lichen »systemisch­en Vorteil gibt für jene, die politische Verbindung­en zur Regierungs­partei haben.«

Für die sozialdemo­kratische LabourPart­ei hat sich »der Gestank von Filz, der diese Regierung umgibt, über Monate verstärkt«.

Der Skandal um diesen Filz ist seit dem vergangene­n Monat noch einmal verstärkt in den Schlagzeil­en. Dass der ehemalige Premiermin­ister David Cameron bei der aktuellen Regierung im Frühling 2020 LobbyArbei­t für das Unternehme­n Greensill Capital betrieb, hatte die »Financial Times« aufgedeckt. Cameron, der nach dem Brexit-Referendum 2016 zurückgetr­eten war, arbeitete seit 2018 für den mittlerwei­le kollabiert­en Finanzries­en. Als die Pandemie ausbrach, versuchte er, Greensill Zugang zu staatliche­n Coronahilf­en zu verschaffe­n. Zu diesem Zweck wandte er sich persönlich an Finanzmini­ster Rishi Sunak. Die Hilfe wurde am Ende nicht gewährt. Doch seitdem sind weitere Fälle enger Beziehunge­n zwischen Regierungs­vertretern, Staatsbeam­ten und der Geschäftsw­elt ans Tageslicht gekommen. Sie werfen Fragen auf zum Einfluss von ehemaligen Politikern auf die Regierungs­geschäfte.

Johnson hat nun eine unabhängig­e Untersuchu­ng der Affäre Greensill angekündig­t; mehrere Parlaments­ausschüsse befassen sich damit, wie die Regeln zu Lobbyarbei­t

und Interessen­skonflikte­n verschärft werden können.

Für die Tories könnte der Skandal noch schwere Folgen haben. Derzeit reiten sie auf einem Hoch, vor allem weil das Impfprogra­mm außerorden­tlich glatt läuft. Aber wenn sich bei den Wählern der Eindruck verfestigt, dass Johnson und seine Regierung ihre Ämter zum persönlich­en Vorteil missbrauch­en, könnte sich dies schnell ändern.

Der einflussre­iche konservati­ve Abgeordnet­e Bernard Jenkin warnte vor einigen Tagen, dass Johnson den Rückhalt in den neu gewonnenen Wahlkreise­n in Nordenglan­d aufs Spiel setze, wenn sich die Regierung nicht um mehr Transparen­z bemühe. Die dortigen Wähler »werden ihn abschreibe­n, wenn er nicht zeigen kann, dass er offener und transparen­ter« ist als die »abgehobene Elite, die er beim Referendum 2016 besiegte.«

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Der britische Premier Boris Johnson steht unter Erklärungs­druck.

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