Rätsel um B.1.617
Infektiösere indische Mutante oder Versagen der Politik?
Auch in Indien gibt es Besorgnis wegen einer neuen Mutante des Coronavirus, die nach der gängigen PANGO-Abstammungslinie B.1.617 beziffert wird. Sie weist insgesamt 13 Mutationen auf, davon zwei im Spike-Protein, das für das Andocken des Virus an Körperzellen verantwortlich ist. Gewisse Ähnlichkeiten gibt es zu den in Südafrika und Brasilien entdeckten Mutanten.
Unklar ist, wie stark B.1.617 in Indien verbreitet ist. Hier wird lediglich in zwei Hightech-Regionen sequenziert, weniger als ein Prozent der Proben ist daraufhin untersucht. Der Anteil der mutierten Variante ist bei diesen in einer Region in den vergangenen Wochen von 10 auf etwa 70 Prozent gestiegen, doch verallgemeinerbar auf den ganzen Subkontinent ist das nicht. Wenig Zweifel gibt es jedoch, dass sich diese Mutante in Indien schnell ausbreitet, was aber auch für die britische Mutante B.1.1.7 gilt. Die 617er Variante dürfte infektiöser sein als das Ursprungsvirus.
Doch wie gefährlich ist sie? »Wir haben momentan keinen Beleg dafür, dass es eine Erhöhung der Krankheitsschwere gibt«, sagt Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité. Und dass so viele junge Leute auf den Intensivstationen liegen, hänge eher mit der generellen Bevölkerungsstruktur in Indien zusammen.
Die Befürchtung bei allen Varianten ist, dass Geimpfte und Covid-Genesene vor einer Ansteckung weniger gut geschützt sind. Die befürchtete Eigenschaft eines »Immunescape«, also dass die Mutante der Immunantwort des Körpers entkommt, halten Wissenschaftler bei B.1.617 für gering ausgeprägt. Allerdings werden die Spike-Mutationen »mit einer reduzierten Neutralisierbarkeit durch Antikörper oder T-Zellen in Verbindung gebracht, deren Umfang nicht eindeutig ist«, wie das Robert-Koch-Institut schreibt. Auch das ist derzeit eine Mutmaßung. Gerade ist eine Studie erschienen, laut der das in Indien entwickelte und hergestellte Vakzin Covaxin, ein Totimpfstoff mit einem Wirkverstärker, gegen die 617er Variante ähnlich wirksam ist wie gegen andere. Die Studie des Herstellers Bharat Biotech ist aber noch nicht unabhängig überprüft.
In Indien scheinen eher politische Überheblichkeit, Leichtsinn, durch andere Krankheiten geschwächte Bevölkerungsgruppen und langsame Impfkampagnen auf ein unvorbereitetes Gesundheitssystem zu treffen, wie der gravierende Mangel an Sauerstoff zeigt. Oder wie es der Epidemiologe Alexander Kekulé von der Universität Halle-Wittenberg formuliert: »Der Aufreger ist nicht die Mutation, sondern dass so viele Leute jetzt sterben.«