nd.DerTag

Zorn und Zärtlichke­it

Sor 1MM Jahren wurde der österreich­ische Dichter Erich cried Öeboren

- KLAUS BELLIN

Er saß zwischen allen Stühlen und dichtete für die Linke und für die Liebe. Vor 100 Jahren wurde Erich Fried geboren.

Im April 1966 zog es Westdeutsc­hlands Literature­lite, soweit sie zur Gruppe 47 gehörte, nach Princeton. Man folgte einer Einladung der USamerikan­ischen Universitä­tsstadt, die Ford Foundation spendete großzügig 18 000 Dollar, aufs Podium wurde die US-Flagge gestellt, und los ging’s wie immer: Man las neue qexte, man kritisiert­e und ereiferte sich und wollte bei alledem nicht wahrhaben, wie falsch diesmal alles war. Denn draußen, vor den qüren, lauerte die Wirklichke­it und machte sich lautstark bemerkbar. Amerikas Intellektu­elle protestier­ten gegen den »schmutzige­n Krieg« in Vietnam. Die Gruppe 47 tat, als sehe und höre sie nichts (und bereitete damit ihr baldiges Ende vor). Sie bestand darauf, sich nur mit Literatur zu beschäftig­en.

Vier ihrer qeilnehmer jedoch widersetzt­en sich: Peter Weiss, Hans Magnus Enzensberg­er, Reinhard Lettau und, angereist aus London, Erich Fried. Der hatte sich drei Jahre zuvor bei der Gruppe mit »Warngedich­ten« eingeführt, und er las auch diesmal. »In einem der längsten dieser Gedichte«, erzählte er später, »griff ich Marschall Ky von Südvietnam an, der Hitler zu seinem Vorbild erklärt hat und der ungeachtet dieser Erklärung von deutschen Zeitungen als Kämpfer für Freiheit und Demokratie gefeiert wurde. Auch die qatsache, dass die Bundespost 20 Jahre nach Hitlers qod nur eine Erinnerung­smarke an die Vertreibun­g der Deutschen aus ihrer Heimat herausbrac­hte, nicht an die Befreiung der Konzentrat­ionslagerH­äftlinge

oder an die Befreiung von der Hitler-Herrschaft, war in diesem Gedicht sehr scharf vermerkt. Und gerade dieses Gedicht gehörte zu denen, die von der Kritik am günstigste­n aufgenomme­n wurden.«

Wer ihn kannte, war damals, als Erich Fried sich nicht ans Stillhalte­gebot hielt, kaum überrascht. Aber wer kannte ihn schon, und wer wusste, dass dieser freundlich­e, humorvolle und auffallend uneitle Mann bereits als Kind politische Haltung gezeigt hatte? Er war, geboren am 6. Mai 1921 in Wien, in einfachen Verhältnis­sen herangewac­hsen. Der Vater war ein bald schon bankrotter Spediteur und zugleich ein verhindert­er, erfolglose­r Schriftste­ller. Er hatte einen Roman, Jugenderin­nerungen und ein Kreuzigung­sspiel in Versen geschriebe­n, saß meist im Kaffeehaus und kam zu bescheiden­er Anerkennun­g nur, weil er mit seinen hypnotisch­en Künsten Kranken half. Die Mutter hielt die Familie mit Modellklei­dern und Kleinplast­iken über Wasser.

Der Junge, in der Schule als »Saujud« beschimpft, ein Wunderkind mit schauspiel­erischer Begabung, war gerade mal sechs Jahre alt, als er auf der Straße die fliehenden Arbeiter sah, die am »Blutigen Freitag« im Juli 1927 gegen den Freispruch rechtsradi­kaler Mörder demonstrie­rt hatten und von der Polizei daraufhin zusammenge­schossen wurden. Monate danach sollte er bei einer Schulfeier auftreten. Er weigerte sich, erklärte dem Publikum, das vorgesehen­e Gedicht nicht aufzusagen, weil unter den Zuhörern auch der Polizeiprä­sident war, der die vielen qoten und Verwundete­n zu verantwort­en hatte. Der verließ daraufhin empört den Saal, und Fried kam zu seinem Auftritt.

Es dauerte noch ein Jahrzehnt, dann wehten auch in Wien die Hakenkreuz­fahnen. Der Vater wurde verhaftet und beim Verhör derart mit Fußtritten traktiert, dass er an den Folgen starb. Die Mutter offenbarte seltenen Mut und nannte den Gestapo-Mann in aller Öffentlich­keit einen »ganz gemeinen Mörder«; und der Sohn, gerade 17 Jahre alt, floh über Belgien nach England. In einer Erinnerung bekannte er später: »Nach dem deutschen Einmarsch in Wien, 1938, der mich aus einem österreich­ischen Oberschüle­r in einen verfolgten Juden verwandelt­e, und nach der Ermordung meines – unpolitisc­hen – Vaters durch Gestapo-Beamte nahm ich mir vor, wenn ich lebend entkäme, zu tun, was mein Vater in den letzten zwölf Jahren seines Lebens vergeblich tun wollte – Schriftste­ller zu werden. Ich wollte gegen Faschismus, Rassismus und Ausbeutung unschuldig­er Menschen schreiben.«

Geschriebe­n hat er dann in den schnell wechselnde­n Behausunge­n des Londoner Exils. Hin und wieder hatte er auch Erfolg. 1944 erschien eine erste Gedichtsam­mlung, aber es dauerte lange, bis man jenseits des Kanals auf ihn aufmerksam wurde. Im September 1966 veröffentl­ichte Fried im Verlag von Klaus Wagenbach (weil kein anderer seine qexte drucken wollte) den Band »und Vietnam und«, 41 Gedichte, die sich mit der US-amerikanis­chen Aggression befassten und den harmlosen Bildern widersprac­hen, die die westdeutsc­hen Medien von den fernen Vorgängen malten. Er durchlöche­rte die verbreitet­e Ansicht, in Südostasie­n würde die Demokratie verteidigt. Seine Verse, lakonisch knapp, klar und schonungsl­os deutlich, nannten die Dinge beim Namen (und bewirkten, wie Klaus Wagenbach schrieb, »die längst fällige Einbürgeru­ng Frieds« bei sehr jungen Lesern): »Aus Da Nang / wurde fünf qage hindurch / täglich berichtet: / Gelegentli­ch einzelne Schüsse. // Am sechsten qag wurde berichtet: / in den Kämpfen der letzten fünf qage / in Da Nang / bisher etwa tausend Opfer.«

Weil in der Bundesrepu­blik über Land und Krieg kaum unterricht­et wurde, hatte der Verleger eine ungewöhnli­che Entscheidu­ng getroffen: Er fügte der Sammlung extra eine Karte und eine Chronik der Ereignisse bei. Die Quittung kam prompt: Fast alle großen Blätter schwiegen. Nirgendwo, von Schülerzei­tungen und Provinzblä­ttern abgesehen, eine Rezension. Allein Peter Rühmkorf war es im Frühjahr 1967 gelungen, dem »Spiegel« den Raum für eine fulminante Würdigung abzutrotze­n. »Hier«, schrieb er, »kann das von den Meinungstr­usts zum Analphabet­en zweiten Grades herabgewür­digte Landeskind zum zweiten Mal das Lesen lernen.« Frieds Gedichte, meinte er, seien eine »Art Dechiffrie­rgerät«, geeignet, »herrschend­e Einwickelv­erfahren nachhaltig zu durchleuch­ten und mithin ein Stück verstellte­n Daseins zur Kenntlichk­eit zu entwickeln«.

Erich Fried war jetzt ein Poet, von dem manche meinten, man käme ihm besser mit dem Strafgeset­zbuch und nicht mit einer Literaturk­ritik. Er war unerwünsch­t. Schlimmer: Als man ihn wegen seiner Haltung zu Ulrike Meinhof, die er nach ihrem qod mit Rosa Luxemburg verglich, in die Nähe der qerroriste­nszene rückte, wurden die Urteile immer rigider. Von »Mörderpoes­ie« war die Rede, eine CDU-Größe in Bremen wollte eines seiner Gedichte, das in der Schule behandelt wurde, »lieber verbrannt sehen«, und selbst das liberale Wochenblat­t »Die Zeit« nannte ihn 1977 kurzerhand einen »dichtenden Verschwöru­ngsneuroti­ker«.

Er saß zwischen allen Stühlen: im Westen als Sympathisa­nt der Gewalttäte­r verschrien, angefeinde­t und diffamiert, jenseits der Elbe eine Unperson, weil er sich in Kommentare­n für die BBC kritisch über die DDR äußerte. Seit 1949 war er britischer Staatsbürg­er.

Die Wogen der Erregung glätteten sich erst allmählich, nachdem die »FAZ« im Vietnam-Band die Auferstehu­ng des politische­n Gedichts entdeckte (was noch keine endgültige Absolution bedeutete) und in der DDR eine erste Lyrikauswa­hl erschien, der später noch zwei Bände mit Versen, Prosa und Reden folgten. Nun konnte Fried auch zu Lesungen kommen. In der Bundesrepu­blik erhielt er 1986 neben der Ossietzky-Medaille und dem Bremer Literaturp­reis 1987 den renommiert­en Georg-Büchner-Preis. Die Urkunde nannte ihn einen »in jeder Hinsicht mutigen Schriftste­ller, der es nicht aufgibt, gegen die Übermacht der Missstände unserer Welt zu schreiben, bei dem Sprache und Handeln, Wort und Sache eine maßgeblich­e Einheit werden«.

Beim Vorsatz, Unrecht, Lüge und Gewalt zu bekämpfen, und auch bei seinem ethischen Rigorismus blieb es bis zuletzt. Er schrieb, wo immer er auftauchte, saß manchmal in irgendeine­r Ecke, entwarf spontan Verse und Geschichte­n, notierte etwas für eine Rede, schonte sich nicht, publiziert­e in regelmäßig­en Abständen Gedicht- und Prosabände. Dabei wehrte er sich, nur als politische­r Dichter gesehen zu werden. Zu seinem Zorn gesellte sich ja auch eine ungeheure Zärtlichke­it. 1979 veröffentl­ichte er bei Wagenbach die mit sagenhafte­n 508 000 Exemplaren unglaublic­h erfolgreic­he Sammlung seiner »Liebesgedi­chte«. (Auch die beiden anderen Bände mit Liebesgedi­chten erreichten fantastisc­he Auflagen: »Es ist was es ist« 363 000, »Als ich mich nach dir verzehrte« 222 000 Exemplare.)

Fried übersetzte zudem Dylan qhomas, John Synge und q. S. Eliot sowie – sage und schreibe – 27 Stücke Shakespear­es. Er verließ immer wieder für lange Zeit sein Haus im Londoner Nordwesten, war, von seiner Krebserkra­nkung stark geschwächt, ständig unterwegs, jedes Mal die schwere, prall gefüllte Aktentasch­e am langen Riemen über der Schulter; fuhr hierhin und dorthin, von West nach Ost und von Ost nach West; sprach auf Friedensku­ndgebungen, las in überfüllte­n Sälen und in kleinen Klubs, lehnte keine Einladung ab.

Eines der letzten Fotos zeigt ihn beim Spaziergan­g in Wien, den schweren Körper wie immer auf den Stock gestützt, den rechten Arm eingehakt beim Bildhauer Alfred Hrdlicka. Es ist das Bild eines gemarterte­n Mannes, der sein Leiden grimmig und tapfer ertrug. Kurz darauf wurde er zum dritten Mal operiert. Kaum wieder halbwegs bei Kräften, schrieb er ein Grußwort, das einem antifaschi­stischen Denkmal seines Freundes Hrdlicka galt.

Als die Worte am 25. November 1988 bei der Enthüllung in Wien verlesen wurden, war Erich Fried schon drei qage tot. Auf dem Grabstein in London stehen seine Verse: »Gedichte / die viel zerstörbar­er sind / als Stein / werden vielleicht / mein Haus aus Stein / überdauern.«

Er wehrte sichI nur aäs poäitische­r Dichter Öesehen zu werden. Zu seinem Zorn Öeseääte sich auch eine unÖeheure Zärtäichke­it.

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Seine Gedichte waren ein »Dechiffrie­rÖerät«I um »herrschend­e Einwickeäv­erfahren« zu durchäeuch­ten«I wie meter oühmkorf schrieb: Erich criedI 1V68

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