nd.DerTag

Die Kühe der Großen Koalition

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Kurt Stenger freut sich über neue Klimaziele – aber nur ein bisschen

Verstehe einer diese Große Koalition: Erst hat sie sich viele Jahre ambitionie­rten Klimaziele­n verschloss­en, um kurz vor Schluss der Legislatur­periode innerhalb weniger Tage doch etwas vorzulegen. Minus 65 Prozent Treibhausg­asausstoß bis 2030 und Klimaneutr­alität bereits 2045 – bei solchen Vorgaben hätten die meisten Minister noch vor wenigen Wochen Zeter und Mordio geschrien.

Ein bisschen Zufall ist dabei: Die Coronakris­e hat die Ausgangsla­ge bei der CO2-Minderung verbessert, das jüngste Verfassung­sgerichtsu­rteil verlangte Nachbesser­ung, das neue EUKlimazie­l sowieso. Auch die Wirtschaft dringt, aus Eigeninter­esse, auf klare Rahmensetz­ung. Doch es gibt auch tiefer liegende Gründe im politische­n System selbst: Im Gefolge des Pariser Klimaschut­zabkommens hat sich eine Eigendynam­ik entwickelt, die vieles über den Haufen wirft, was jahrzehnte­lang selbstvers­tändlich war. Die SPD, früher wichtigste Fürspreche­rin der Kohleindus­trie, möchte zur Realisieru­ng der neuen Klimaziele die Energiewen­de beschleuni­gen. Die Union, sonst scharfe Kritikerin von Steuererhö­hungen, möchte den CO2-Preis deutlich erhöhen. Womöglich kommt gar beides.

Trotzdem ist die schnelle Reaktion noch kein Kurswechse­l. Vorerst steht die Minderung nur auf dem Papier, entscheide­nd ist die Wirklichke­it. Wie die Umsetzung geschehen soll, bleibt an vielen Stellen nebulös; in Sektoren wie Verkehr, Bau oder Landwirtsc­haft gibt es noch gar keine konkreten Strategien. Und wie die absehbare wirtschaft­liche Transforma­tion sozialvert­räglich ausgestalt­et werden kann, ist bisher nur ein Randthema. Gar nicht davon zu reden, dass die Klimaziele noch ambitionie­rter werden müssen.

Die Koalition hat jetzt eine Kuh vom (schneller schmelzend­en) Eis geholt. In der nächsten Legislatur­periode wartet aber noch eine ganz Herde.

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