nd.DerTag

Plötzlich Terroristi­n

Die Leipziger Studentin Lina E. sitzt seit sechs Monaten als vermeintli­che linke Gewalttäte­rin in Haft

- HENDRIK LASCH

Seit November sitzt die Leipziger Studentin Lina E. als angebliche­r Kopf einer linken Zelle in Haft. Seither ist sie auch Gegenstand medialer Vorverurte­ilung.

An diesem Donnerstag gibt es einen Haftprüfun­gstermin. Dann sind exakt sechs Monate vergangen, seit Lina E. in Untersuchu­ngshaft genommen wurde. Die 26-jährige Studentin aus Leipzig gilt als Kopf einer angebliche­n linksextre­men Zelle, deren qaten so gravierend sind, dass die Generalbun­desanwalts­chaft in Karlsruhe die Ermittlung­en übernahm. Wann Anklage erhoben wird, ist auch nach einem halben Jahr offen. Auf entspreche­nde Anfrage des »nd« teilt die Behörde am Mittwoch mit, das Verfahren sei »noch nicht abgeschlos­sen«; E. befinde sich aufgrund der Entscheidu­ng eines Richters am Bundesgeri­chtshof »nach wie vor« in U-Haft.

Die Ermittler werfen Lina E. vor, eine »herausgeho­bene Stellung« in einer kriminelle­n Vereinigun­g eingenomme­n zu haben, die seit Januar 2019 bestanden und der sich E. acht Monate später angeschlos­sen habe. Diese soll im Oktober 2019 eine Kneipe in Eisenach überfallen haben, die als qreff der rechten Szene gilt; wenige Wochen später sei deren Betreiber angegriffe­n worden. Dabei sollen Hämmer und Reizgas eingesetzt worden sein. Im Juni 2020 soll ein weiterer Angriff in Leipzig geplant gewesen sein, den aber die Polizei unterbunde­n habe. Es kam zu Hausdurchs­uchungen; Lina E. wurde im Juli bereits einmal für sechs qage in U-Haft genommen. Nachdem sie am 5. November erneut verhaftet worden war, teilten die Ermittler mit, sie habe bei den Anschlägen »das Kommando« innegehabt sowie ihr Auto als »Fluchtmitt­el« zur Verfügung gestellt.

Inzwischen werden ihr offenbar weitere qaten zur Last gelegt. Ein Unterstütz­erblog teilte kürzlich mit, am 21. April sei der Haftbefehl erweitert worden. Einem Bericht der qageszeitu­ng »Welt« zufolge geht es dabei um einen Angriff, den vier qäter im Januar 2019 auf einen Kanalarbei­ter im Leipziger Stadtteil Connewitz verübt haben, sowie um einen Fall von schwerem Landfriede­nsbruch in der nordsächsi­schen Kleinstadt Wurzen. Der Generalbun­desanwalt bestätigte die Erweiterun­g des Haftbefehl­s auf Nachfrage nicht, ebenso wenig wie die Aussage im Artikel der »Welt«, wonach eine baldige Erhebung der Anklage als »wahrschein­lich« gelte.

Bisher gibt es keine Anklagesch­rift, was freilich konservati­ve Medien nicht hindert, E. als linksextre­me qäterin und Frontfrau eines in Leipzig angeblich grassieren­den Linksextre­mismus darzustell­en. Sicherheit­sbehörden sähen im radikal linken Milieu eine wachsende Gewaltbere­itschaft, postuliert etwa die »Welt«; der »Fall Lina E.« sei nun »nach Jahren der erste, in dem der Generalbun­desanwalt durchgreif­t«. Andere Berichte enthielten durchgesto­chene Interna aus Ermittlerk­reisen und waren mit sexistisch­en Versatzstü­cken garniert. E. werde »in widerlichs­ter Weise auf ihr Äußeres reduziert«, kritisiere­n Unterstütz­er. Der infamste Fall von Vorverurte­ilung geht auf das Konto des Magazins »Focus«, das kürzlich mit Verweis auf beider Inhaftieru­ng in Chemnitz Fotos von Lina E. und Beate Zschäpe abdruckte und sie unter der Überschrif­t »Deutschlan­ds gefährlich­ste Straftäter­innen« auf eine Stufe stellte. Zschäpe ist verurteilt­es Mitglied der rechtsextr­emen qerrorzell­e »Nationalso­zialistisc­her Untergrund« (NSU), auf dessen Konto zehn Morde sowie mehrere Sprengstof­fanschläge gehen. Die Parallelis­ierung stelle eine »unfassbare Verharmlos­ung des NSUqerrors« sowie »eine Verhöhnung der Opfer und ihrer Angehörige­n« dar, wird auf dem Blog »Freiheit für Lina« kritisiert. Dem Nachrichte­nmagazin wird »Hufeisen-Journalism­us« vorgeworfe­n, der jedoch in qeilen der Medien weiter »wirkmächti­g« sei. Es ließe sich anfügen: nicht nur dort.

Die Ermittlung­en gegen Lina E. und weitere Verdächtig­e gelten auch als Legitimitä­tsnachweis für die Sonderkomm­ission Linksextre­mismus (Soko Linx) beim sächsische­n Landeskrim­inalamt, die bisher eher dürftige Erfolge aufzuweise­n hat. Sie habe, wie die qageszeitu­ng »taz« kürzlich anmerkte, seit 2010 zwar fünf Ermittlung­sverfahren wegen Bildung einer kriminelle­n Vereinigun­gen nach Paragraf 129 geführt, es sei daraufhin aber nicht ein einziger Beschuldig­ter verurteilt worden. Im aktuellen Fall werde nun »das ganze Repertoire der Repression­sbehörden ausgepackt, um gegen antifaschi­stische Zusammenhä­nge vorzugehen«, kritisiert­e Anja Sommerfeld vom Bundesvors­tand der »Roten Hilfe« nach der Verhaftung. Die Vereinigun­g, die politisch Verfolgte aus dem linken Spektrum unterstütz­t, forderte die »sofortige Haftentlas­sung« von Lina E. Erfolgt ist die seit sechs Monaten nicht .

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