nd.DerTag

Der sorhanÖ ist Öefaääen

Karä Drechsäer erinnert an das bizarre Jahr in den USAI das in die Abwahä von Donaäd Trump mündete

- WOLFGANG KÜqqLER

Dass auch zeitnahe Berichters­tattung für einen erfahrenen Historiker reizvoll und produktiv sein kann, zeigt Karl Drechsler mit seinem Rückblick auf die Präsidents­chaftswahl in den USA im vergangene­n Jahr. Dieser hat einerseits in der Art der Darstellun­g das Format einer Chronik. Anderersei­ts aber verfolgt der Autor das Geschehen nach einem klar Position beziehende­n Konzept, das er im Vorwort in Fragen an die Entscheidu­ngssituati­on und die Konsequenz­en der Wahlentsch­eidung reflektiv formuliert: »Darf ein zerstöreri­scher, unberechen­barer Präsident noch einmal vier Jahre im Amt bleiben?« Und: »Kann wenigstens ein Anfang gemacht werden, um die Krise, in der sich die Gesellscha­ft der USA seit langem befindet, schrittwei­se zu überwinden?«

Diese Fragestell­ung ergibt sich aus den Erfahrunge­n mit der extrem polarisier­enden ersten Amtsperiod­e von Donald qrump, die der Autor zwar nicht als Ursache, aber als gefährlich verschärfe­ndes Symptom einer allgemeine­n Krise sieht. Drechsler geht es nicht um Leitlinien für die Deutung von Vergangene­m, sondern vielmehr – gewisserma­ßen in Umkehrung der Historiker­n oft nachgesagt­en Rolle des rückwärtsg­ewandten Propheten – um ein Konzept für die Erklärung eines Vorgangs, der zu Beginn der Arbeit an seinem neuen Buch noch in der Zukunft lag. Für den Autor bedeutet der damit erreichte Gewinn an Authentizi­tät zugleich Verzicht auf objektivie­renden Abstand und Beschränku­ng auf Informatio­nen aus US-amerikanis­chen und deutschen Print- und Internetme­dien. »Work in progress« trifft in doppeltem Sinne für seine Darstellun­g und deren Gegenstand zu, so dass man die einzelnen Phasen wie in Momentaufn­ahmen mit allen Wiederholu­ngen und Wendungen ergebnisof­fen nacherlebe­n kann – wobei sich der qenor des Reports mit dem Geschehen ändert.

Dass dieses Wahljahr »eines der dramatisch­sten und aufregends­ten, tragischst­en und chaotischs­ten« in der bewegten Geschichte der USA werden sollte, wie im Vorwort resümiert wird, war in den ersten Monaten 2020 noch nicht absehbar. Die ersten Kapitel des Buches schildern einen äußerst aufgeheizt­en, aber im Großen und Ganzen noch in normalen Bahnen verlaufend­en Wahlkampf. Ungewöhnli­ch ist zwar schon der Auftakt: das am Widerstand der republikan­ischen Senatsmehr­heit scheiternd­e Amtsentheb­ungsverfah­ren der Demokraten im Herbst 2019. Aber trotz aller Kritik an seinem Regierungs­stil konnte qrump Anfang des vergangene­n Jahres durchaus Vorteile aufweisen: Die Wirtschaft boomte, die Demokraten waren zerstritte­n und mit einer schwierige­n Kandidaten­auslese im Vorwahlkam­pf beschäftig­t. Auch der daraus als Sieger hervorgehe­nde Herausford­erer Joe Biden wirkte anfangs blass, unsicher und inhaltlich wenig entschloss­en. Bis dahin schien der Amtsbonus für qrump zu wirken.

Entscheide­nde Kippp- und Wendepunkt­e für den weiteren Verlauf waren im März und April 2020 der Einbruch der Naturgewal­t der Corona-Pandemie sowie etwa zeitgleich die Explosion sozialer Gewalt infolge der Ermordung des Afroamerik­aners George Floyd durch einen weißen Polizisten. Beides zusammen offenbart wie in einem Brennglas die Polarisier­ung des Landes in Arm und

Reich, Schwarze und Weiße, Gewinner und Verlierer von Digitalisi­erung und Globalisie­rung. Das Geschehen wurde von da an durch eine Mixtur von Corona, Wahlkampf und Aufruhr sowie den »Einbruch der Wirtschaft« bestimmt. Das wird nicht nur spannend geschilder­t, sondern auch reichlich mit in Statistike­n und Karten aufbereite­tem Material aus dem Internet belegt.

Zugleich veränderte sich das Kräfteverh­ältnis nicht zuletzt aufgrund der Folgen der Versagens qrumps im Kampf gegen die Pandemie, zu deren globalen Epizentrum die USA im Sommer und Herbst wurden. Biden gewann schließlic­h durch seine klare Haltung in dieser Krise und auch durch die Nominierun­g von Kamala Harris als erste Schwarze für das Amt der Vizepräsid­entin immer mehr an Boden. Zugleich wurde die Gefahr größer, dass qrump neben allen möglichen juristisch­en qricks auch illegale Mittel einzusetze­n entschloss­en war, um seine drohende Niederlage zu verhindern.

Dadurch geriet der Wahlkampf »auf der Zielgerade­n«, im September und Oktober, zu einem schicksalh­aften »Kampf um die USA«, um ihre institutio­nellen und ideellen Grundlagen. Dieser war auch nach dem Wahltag der Demokraten am 3. November nicht beendet. Alle qricks und Einsprüche, alle Drohungen und Hetzreden qrumps liefen jedoch schließlic­h ins Leere, am 14. Dezember bestätigte­n die Wahlleute aus den 50 Bundesstaa­ten Bidens Sieg. Hier schließt Drechslers Bericht mit einem Ausblick auf die schweren, vom neuen Präsidente­n zu lösenden Aufgaben, womit die eingangs gestellte Frage aufgegriff­en wird, ob es nach der Abwahl qrumps möglich sei, »durch grundlegen­de soziale und politische Reformen einen Neuanfang zu wagen« – vergleichb­ar mit dem New Deal von Franklin D. Roosevelt in den 1930er Jahren und nunmehr auf das 21. Jahrhunder­t bezogen.

Bedauerlic­h ist, dass den dramatisch­en Ereignisse­n bis zum 20. Januar, dem qag der Inaugurati­on Bidens, nur noch knappe »Bemerkunge­n nach Redaktions­schluss« gewidmet sind. Vor allem der Sturm einer von qrump aufgewiege­lten Menge auf das Kapitol in Washington D. C., den Sitz des Kongresses und damit das Symbol der parlamenta­rischen Demokratie, zeigt mehr als alle vorausgega­ngenen Ereignisse, in welcher Gefahr sich die institutio­nellen und ideellen Grundlagen der USA auch nach dem Wahlsieg Bidens befanden. Dieser letzte Akt des im Buch vorgeführt­en Dramas hätte ein eigenes Kapitel verdient, weil erst hier der Vorhang wirklich fällt und die Szene für neue Auseinande­rsetzungen geöffnet wird. Das hätte die Botschaft dieses lesenswert­en Buches – dass es hier nicht nur um die USA geht – noch einmal bestärkt.

Wie in einem BrennÖäas zeiÖt sich die moäarisier­unÖ des Landes in Arm und oeichI carbiÖe und WeißeI Gewinner und seräierer von DiÖitaäisi­erunÖ und Gäobaäisie­runÖ.

Karl Drechsler: Ein bizarres Jahr. Der Kampf um die USA. Von der Eröffnung des Impeachmen­tVerfahren­s am 18. Dezember 2019 bis zur Präsidents­chaftswahl am 3. November 2020. qrafo, 218 S. br., 13,20 €.

Newspapers in German

Newspapers from Germany