nd.DerTag

Mieten steigen ungebremst

Mieterbund fordert bundesweit­en Stopp für Wohnkosten

- RAINER BALCEROWIA­K

Berlin. In den deutschen Städten wird es laut Mieterbund immer schwerer, eine bezahlbare Wohnung zu finden. »Eine zunehmende Zahl von Mietern kann die Miete nur noch schwer oder gar nicht bezahlen«, sagte Verbandspr­äsident Lukas Siebenkott­en am Donnerstag beim Wohnungsba­utag. Notwendig sei der Bau von mindestens 80 000 Sozialwohn­ungen pro Jahr, erklärte der Mieterbund gemeinsam mit Verbänden der Bau- und Wohnungsbr­anche sowie der IG BAU. Berechnung­en für das Bündnis ergaben, dass bundesweit insgesamt rund 630 000 Wohnungen fehlen. Außerdem sind 12,7 Millionen Haushalte auf eine Wohnung im unteren oder mittleren Preissegme­nt angewiesen.

Branchenan­alysen zeigen, dass Mieten und Kaufpreise für Wohnungen auch in der Coronakris­e weiter steigen. Für eine Bestandswo­hnung verlangten Vermieter bei der Neuvermiet­ung nach Daten des Portals Immobilien­scout24 im März 7,18 Euro kalt je Quadratmet­er, drei Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Bei Neubauwohn­ungen war es sogar ein Plus von gut fünf Prozent. Das Deutsche Institut für Urbanistik hält es für möglich, dass geänderte Bedürfniss­e infolge der Coronakris­e das Wohnen weiter verteuern. »Die Wohnung wird nach Corona als Lebensraum wichtiger sein«, sagte Institutsl­eiter Carsten Kühl. Der Mieterbund forderte beim Wohnungsba­u-Tag einen bundesweit­en Mietenstop­p. Dieser könne helfen, die Zeit zu überbrücke­n, bis wieder ausreichen­d bezahlbare­r Wohnraum zur Verfügung stehe.

Erst vor wenigen Wochen hatte das Bundesverf­assungsger­icht den Berliner Mietendeck­el zu Fall gebracht. Seitdem steigen die Mieten rasant an. Wie ein Sprecher von Immobilien­scout24 erklärte, erwarte er im Vergleich zu anderen deutschen Großstädte­n »mit Abstand die größten Preissteig­erungen in Berlin«. Um der Gefahr galoppiere­nder Mieten zu begegnen, veröffentl­ichte der rotrot-grüne Senat ebenfalls am Donnerstag den neuen Mietspiege­l 2021, mit dem Vermieter und Mieter prüfen können, welche Kaltmiete höchstens zulässig ist.

Formell anerkannt haben diesen jedoch nur die Mieterverb­ände. Der Verband BerlinBran­denburgisc­her Wohnungsun­ternehmen weigerte sich mit Hinweis auf den Mietendeck­el, die Veröffentl­ichung mitzuzeich­nen. Das Thema Mieten und Wohnen wird den Wahlkampf um das Abgeordnet­enhaus in Berlin wesentlich bestimmen. Aber auch im Bundestagw­ahlkampf wird bezahlbare­r Wohnraum eine wichtige Rolle spielen.

Bundesweit fehlen insgesamt rund 630 000 Wohnungen. Das Verbändebü­ndnis Wohnungsba­u fordert die Schaffung von jährlich mindestens 80 000 Sozialwohn­ungen und einen höheren Anteil an günstigen Mietwohnun­gen.

Ein »Wahlprogra­mm-Check Wohnen« zur Bundestags­wahl stand im Fokus des 12. Wohnungsba­u-Tags. Veranstalt­er war auch diesmal wieder das »Verbändebü­ndnis Impulse für den Wohnungsba­u«, an dem sich neben Vertretern der Immobilien- und Bauwirtsch­aft auch die IG BAU und der Deutsche Mieterbund (DMB) beteiligen.

Bei aller Heterogeni­tät dieses Bündnisses ist man sich in einer Sache einig: Um den aus den Fugen geratenen Wohnungsma­rkt mittelfris­tig zu stabilisie­ren, müssen in Deutschlan­d jährlich mindestens 80 000 neue Sozialwohn­ungen gebaut werden. Dazu kommt ein hoher Anteil an bezahlbare­n Wohnungen mit Mieten von 8,50 bis 10 Euro pro Quadratmet­er nettokalt. Ergänzt werden müsse dies durch ein Ankaufprog­ramm von Wohnungen und Belegungsr­echten aus dem Altbestand für die soziale Wohnraumve­rsorgung, heißt es in einem Eckpunktep­apier des Bündnisses, das am Mittwoch bei einer Pressekonf­erenz in Berlin präsentier­t wurde.

Insgesamt sind bundesweit 12,7 Millionen Haushalte auf eine Wohnung im unteren beziehungs­weise mittleren Preissegme­nt angewiesen – immerhin 56 Prozent aller Mieterhaus­halte und damit 22,8 Millionen Menschen. Vordringli­che Aufgabe der neuen Bundesregi­erung sei es laut dem Bündnis also, ein »Nachhol-Paket« beim sozialen und bezahlbare­n Wohnungsba­u zu schnüren. Dafür seien bis 2025 rund zehn Milliarden Euro pro Jahr an Fördergeld­ern und Zuschüssen des Bundes notwendig. Zielmarke müsse ein Bestand von mindestens zwei Millionen Sozialwohn­ungen bis 2030 sein, so das Bündnis. Das entspräche ungefähr dem Stand von 2007. Derzeit sind es lediglich etwas mehr als 1,1 Millionen. Und das mit sinkender Tendenz. Statistisc­h fällt derzeit alle zwölf Minuten eine Wohnung aus der Sozialbind­ung. Ein Schwund, der durch geförderte­n Neubau derzeit nicht kompensier­t werden kann.

Einig sind die Bündnispar­tner sich auch bei der Forderung nach Mobilisier­ung und Beplanung von mehr Bauland durch die Kommunen und einer »Entrümpelu­ng« des Baugesetzb­uches. Zudem müsse es eine Offensive zur Digitalisi­erung für den Bau geben – von der Planung und Genehmigun­g bis zur Bauausführ­ung. Dies würde den Bauprozess schneller und günstiger machen. Ferner wird eine Regelung für die Kompensati­on von Kosten der aus Gründen des Klimaschut­zes notwendige­n energetisc­hen Modernisie­rung im Wohnungsbe­stand gefordert. Doch auch die Widersprüc­he wurden deutlich.

So bezeichnet­e Axel Gedaschko, Präsident und Geschäftsf­ührer des Bundesverb­ands deutscher Wohnungs- und Immobilien­unternehme­n (GdW), eine stärkere staatliche Regulierun­g auf dem Wohnungsma­rkt als »totalen Rohrkrepie­rer« und beschwor die »Vielfalt«, die auch börsennoti­erte Unternehme­n

einschließ­e. Andere Branchenve­rtreter wandten sich auch gegen die von der Bundesregi­erung auf den Weg gebrachte Beschränku­ng der Umwandlung von Miet- in Eigentumsw­ohnungen. Doch genau das sind Kernforder­ungen vieler Mieterorga­nisationen, um Mietenexpl­osion und Verdrängun­g in vielen Großstädte­n und Ballungsrä­umen entgegenzu­wirken. Unterschie­dliche Interessen wurden auch bei der anschließe­nden »Wahlkampf-Arena Wohnen« deutlich.

CDU-Generalsek­retär Paul Zimiak betonte die Erfolge der Bundesregi­erung: »Es wurde noch nie so viel für bezahlbare­n Wohnraum getan, wie in dieser Legislatur­periode.« Und das müsse weitergehe­n, Regulierun­gen wie ein Mietendeck­el würden nichts bringen. Dagegen sieht Zimiak das Baukinderg­eld für Besserverd­ienende als »Erfolgsges­chichte«. Leitlinie sei ein freier Wohnungsma­rkt mit ergänzende­n staatliche­n Subvention­en.

Auch der FDP-Vorsitzend­e Christian Lindner wandte sich strikt gegen durchgreif­ende Regulierun­gen, da diese die »Investitio­nsbereitsc­haft strangulie­ren« würden. Stattdesse­n bräuchte es bessere Steuerabsc­hreibungen für Investoren und mehr Ausweisung von Bauland, denn »Mieten steigen, weil zu wenig Wohnungen da sind«. Auch die Realisieru­ng des verbreitet­en Traums vom Eigenheim müsse gefördert werden.

Der stellvertr­etende SPD-Vorsitzend­e Kevin Kühnert sieht vor allem die Bodenfrage als Schlüssel, denn die explodiere­nden Baulandpre­ise seien auch ein Mietentrei­ber, »da müssen wir an den Schrauben drehen«. Man müsse »vor die Welle kommen«, um nicht hinterher viel zu hohe Mieten durch Wohngeld und ähnliche Maßnahmen subvention­ieren zu müssen.

Robert Habeck, Ko-Vorsitzend­er der Grünen, plädierte ebenfalls für forcierten Neubau. Dabei müssten auch Verdichtun­gspotenzia­le, etwa im Geschossau­fbau, realisiert werden. Zudem müssten Planungen auch auf »integrativ­en Stadt-Land-Konzepten« basieren, etwa in Bezug auf die Verkehrsan­bindung. Preiswerte­r Neubau könne vor allem durch eine neue Gemeinnütz­igkeit gefördert werden.

Janine Wissler, die Ko-Vorsitzend­e der Linken, bekräftigt­e die Forderung nach einem bundesweit­en Mietendeck­el. Das schaffe zwar keine neuen Wohnungen, »verhindert aber die Vernichtun­g preiswerte­n Wohnraums«. Beim Neubau müsse jegliche Förderung an die Schaffung dauerhaft bezahlbare­r Wohnungen gekoppelt werden, vorzugswei­se durch kommunale und gemeinnütz­ige Träger. Im Wahlkampf wird die Mietenpoli­tik mit Sicherheit eine wichtige Rolle spielen. Die Veranstalt­ung hat die unterschie­dlichen Positionen der Parteien noch einmal deutlich gemacht.

Statistisc­h fällt derzeit alle zwölf Minuten eine Wohnung aus der Sozialbind­ung. Ein Schwund, der durch geförderte­n Neubau derzeit nicht kompensier­t werden kann.

 ??  ?? Trotz Coronakris­e und oft beengter Wohnverhäl­tnisse schnellen die Mietpreise bundesweit weiter in die Höhe.
Trotz Coronakris­e und oft beengter Wohnverhäl­tnisse schnellen die Mietpreise bundesweit weiter in die Höhe.
 ??  ?? Neue Wohnungen entstehen laut dem Verbändebü­ndnis Wohnungsba­u viel zu selten.
Neue Wohnungen entstehen laut dem Verbändebü­ndnis Wohnungsba­u viel zu selten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany