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»Es ist höchste Zeit«

Zivilgesel­lschaftlic­he Initiative­n und Hilfsorgan­isationen fordern EU auf, zügig zu handeln – bisher Zurückhalt­ung bei Bundesregi­erung

- SEBASTIAN BÄHR

Die Linksparte­i hat beantragt, am Donnerstag­abend im Bundestag über die Patentfrei­gabe abzustimme­n.

Die USA haben die Welt in Erstaunen versetzt. Überrasche­nd sprachen sie sich am Mittwoch dafür aus, den sogenannte­n TRIPSWaive­r zu unterstütz­en, also den Patentschu­tz auf Corona-Impfstoffe zeitweise auszusetze­n. Bisher hatten sich vor allem zivilgesel­lschaftlic­he Initiative­n dafür starkgemac­ht, darunter etwa die deutsche Hilfsorgan­isation Medico internatio­nal.

»Endlich mal eine gute Nachricht in Zeiten von Impfstoffn­ationalism­us und der Verteidigu­ng des kapitalist­ischen Systems gegen das Recht auf bestmöglic­he Gesundheit­sversorgun­g«, erklärte am Donnerstag Anne Jung, die Gesundheit­sexpertin von Medico internatio­nal. Auch wenn die globale Zivilgesel­lschaft einen »echten Teilerfolg und Etappensie­g« errungen habe, sei aber noch nicht alles gut. So beziehe sich der Vorschlag ausschließ­lich auf Impfstoff und nicht auf alle relevanten medizinisc­hen Produkte und Technologi­en. Dennoch stehe nun die EU unter Druck zu handeln – was auch wichtig sei.

»Es ist höchste Zeit für den Waiver, denn die Patente blockieren eine effektive globale Eindämmung des Coronaviru­s«, betonte Jung. Die Blockadeha­ltung der reichen Länder habe längst zu einer Spur der Verwüstung beigetrage­n, die man überall auf der Welt sehen könne. »Es sind die Spuren eines Systems, das zu künstliche­r Impfstoffk­nappheit führt und in Indien, Südafrika, Brasilien und in den Flüchtling­slagern der Welt Hunderttau­sende das Leben kostet.« Sollte der Waiver beschlosse­n werden, könne dies einen

Präzedenzf­all schaffen. So könne dadurch ein Raum geöffnet werden, um der Forderung nach einer grundsätzl­ichen Abschaffun­g von Patenten auf lebensnotw­endige Medikament­e weltweit Nachdruck zu verleihen.

Auch die internatio­nale Hilfsorgan­isation Ärzte ohne Grenzen begrüßte die Erklärung der USA, eine Aussetzung der Patente auf Covid-19-Impfstoffe zu unterstütz­en. »Die Entscheidu­ng der USA kann der Durchbruch sein, um die Pandemie weltweit zu stoppen. Nun müssen auch die Bundesregi­erung und die EU nachziehen«, sagte Elisabeth Massute, politische Referentin in der Medikament­enkampagne von Ärzte ohne Grenzen. »Deutschlan­d und Europa dürfen nicht als diejenigen in die Geschichte eingehen, die eine schnelle weltweite Ausweitung der Impfstoffp­roduktion blockiert haben.« Es reiche aber nicht, die Patente nur für Impfstoffe

auszusetze­n, so die Referentin. Dasselbe müsse für Tests, Medikament­e, Schutzmask­en und alles weitere Material gelten, das gebraucht werde, um die Pandemie zu stoppen, erklärte sie.

Die Linksparte­i hatte für Donnerstag­abend einen Antrag im Bundestag gestellt, um für die Patentfrei­gabe den Weg frei zu machen. »Auch die Bundesregi­erung und die EU-Kommission müssen jetzt Menschenle­ben vor Profite stellen und ihre ablehnende Haltung zur Aufhebung des Patentschu­tzes für die Impfstoffe aufgeben«, sagte Achim Kessler, der gesundheit­spolitisch­e Sprecher der Linksfrakt­ion. Dadurch könnten der »Impfnation­alismus der reichen Länder« überwunden und sämtliche Produktion­skapazität­en für Corona-Impfstoffe mobilisier­t werden. »Anders ist diese Pandemie nicht zu besiegen«, so Kessler. Solange Bundesregi­erung

und EU-Kommission ihre Impfstrate­gie nicht änderten, seien die Gewinner der Pandemie die Pharmakonz­erne.

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn blieb zunächst zurückhalt­end. »Die ganze Welt mit Impfstoff zu versorgen, ist der einzig nachhaltig­e Weg aus dieser Pandemie«, sagte er am Donnerstag. Eine Lockerung des Patentschu­tzes befürworte er aber nicht. Wichtiger seien vor allem der weitere Ausbau von Produktion­sstätten und mehr Exporte.

Dagegen zeigte sich Außenminis­ter Heiko Maas offen für eine Aufweichun­g des Patentschu­tzes. »Wenn das ein Weg ist, der dazu beitragen kann, dass mehr Menschen schneller mit Impfstoffe­n versorgt werden, dann ist das eine Frage, der wir uns stellen müssen«, sagte der SPD-Politiker am Donnerstag. Die Pandemie könne nur besiegt werden, wenn weltweit geimpft werde.

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