nd.DerTag

»Reflexhaft­es Gerede von Einzeltäte­rn«

NSU-2.0-Drohschrei­ben: Betroffene fordern nach Verhaftung eines Verdächtig­en weitere Aufklärung

- JANA FRIELINGHA­US

Adressatin­nen von NSU-2.0-Drohmails halten es für unglaubwür­dig, dass der am Dienstag verhaftete Neonazi allein dafür verantwort­lich sein soll. Die Ermittlung­en stünden erst am Anfang, stellen sie fest.

Am Montagaben­d hatte das Landeskrim­inalamt (LKA) Hessen in Berlin einen Verdächtig­en im Fall der Serie von rechtsradi­kalen Droh- und Schmähschr­eiben verhaften lassen. Und zugleich betont, der 53-Jährige sei niemals Polizist gewesen, wodurch die hessische Polizei endlich vom Verdacht entlastet sei, dass Beamte hinter den Mails und Faxen mit Todesdrohu­ngen an linke Politikeri­nnen, eine Anwältin sowie an Künstlerin­nen stecken könnten. Allerdings ist es nach wie vor eine Tatsache, dass die privaten Daten der von den Drohungen Betroffene­n von Polizeicom­putern in Frankfurt am Main, Wiesbaden, Hamburg und Berlin abgerufen wurden.

Die vom LKA dazu präsentier­te Erklärung lautet, der festgenomm­ene Rechtsradi­kale habe in den entspreche­nden Polizeirev­ieren angerufen und als vermeintli­cher Beamter nach den Daten der Opfer gefragt. Eine These, die mehr als unglaubwür­dig klingt. Das finden auch sechs Frauen, die zu den Adressatin­nen der mit Beleidigun­gen und Todesdrohu­ngen gespickten Schreiben, gezeichnet mit dem Kürzel »NSU 2.0«, gehören. Deshalb fordern die Anwältin Seda Başay-Yıldız, die Kabarettis­tin Idil Baydar, die Linke-Politikeri­nnen Janine Wissler, Martina Renner und Anne Helm sowie die Kolumnisti­n und Schriftste­llerin Hengameh Yaghoobifa­rah in einer gemeinsame­n Erklärung eine Fortsetzun­g der Ermittlung­en ein. Für sie ist klar: »Wir stehen erst am Anfang der Aufklärung.«

Zwar sei die Festnahme des Verdächtig­en ein »wichtiger Ermittlung­serfolg«, heißt es in dem am Mittwochab­end veröffentl­ichten Papier. Es stehe aber weiter die Frage im Raum, wie dieser an die persönlich­en Daten der Betroffene­n gelangen konnte, insbesonde­re an die im Einwohnerm­elderegist­er gesperrte Adresse von Seda Başay-Yıldız. Es müsse geklärt werden, ob es Kontakte des Festgenomm­enen zu Behörden oder Polizeidie­nststellen gab und vor allem, in welcher Verbindung die Datenabfra­ge zu den in Frankfurt am Main aufgefloge­nen rechten Chatgruppe­n von Beamten stehe.

Die Frauen fordern zudem, es müsse geklärt werden, ob es Verbindung­en zwischen dem Verdächtig­en zur rechten Anschlagss­erie nach Berlin-Neukölln gebe, die in einigen der Mails erwähnt sei. Zudem weisen die Frauen darauf hin, dass es in vielen Mails Bezüge zu Hessen gebe und dass verschickt­e Drohbriefe mit ähnlichem Inhalt und Duktus Poststempe­l aus Frankfurt, Wiesbaden und einigen anderen Städten tragen. »Äußerst irritiert« zeigen sich die Betroffene­n darüber, dass Hessens Innenminis­ter Peter Beuth (CDU) am Dienstag bereits erklärte, es sei kein hessischer Polizist in das Geschehen verwickelt: »Dass unbekannte Anrufer sich als Polizisten ausgeben und die Daten einer gesamten Familie aus einem Polizeicom­puter abfragen können, erscheint wenig plausibel.«

Folglich gebe es »keinen Grund für Entwarnung«, heißt es in ihrem Papier weiter. Schließlic­h gebe es in Deutschlan­d eine »militante, bewaffnete und internatio­nal vernetzte rechte Szene, von der Bedrohung und Gewalt ausgeht«. Das »reflexhaft­e Gerede von Einzeltäte­rn« sei Teil des Problems, denn es erschwere »die Aufklärung von Netzwerken

und Unterstütz­ungsstrukt­uren«. Diese müssten »entschloss­en bekämpft werden«.

Derweil bekräftigt­e der Sonderermi­ttler des LKA Hessen, Hanspeter Mener, am Mittwoch erneut die Darstellun­g, nach der es sich bei dem Festgenomm­enen mutmaßlich um einen »Alleintäte­r« handele. Es gebe Hinweise darauf, dass hessische Polizisten mit ihm zusammenge­arbeitet haben und dass er an die geheimen Daten wohl unter »Vorspiegel­ung falscher Tatsachen« gekommen sei. Er sei unter anderem rechtskräf­tig wegen Amtsanmaßu­ng verurteilt, weil er sich 1992 als Kriminalbe­amter ausgegeben habe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany