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Post-Brexit-Stress in Jersey

Wachsende Spannung im Ärmelkanal wegen Fischereir­echten

- PETER STÄUBER, LONDON

Französisc­he Fischer sind empört über die Einschränk­ungen ihrer Fangrechte. Auf einen Protest vor der Küste von Jersey reagierte Großbritan­nien mit der Entsendung von zwei Schlachtsc­hiffen.

Am Donnerstag drohte der Streit um die Fischereir­echte vor der Kanalinsel Jersey zu eskalieren. In den frühen Morgenstun­den setzten sich mehrere Dutzend französisc­he Fischer in ihre Boote und machten sich auf den Weg nach St. Helier, zur Hauptstadt. Vor dem dortigen Hafen protestier­ten sie gegen Einschränk­ungen ihrer Rechte nach dem Brexit. Die britische Regierung – stets erpicht darauf, außenpolit­ische Macht zu demonstrie­ren – reagierte, indem sie zwei Schlachtsc­hiffe entsandte, um »die Situation zu überwachen«. Das hat nicht zuletzt deswegen für Konsternat­ion gesorgt, weil Premiermin­ister Boris Johnson noch wenige Stunden zuvor gesagt hatte, dass die Spannungen abgebaut werden müssten.

Der Knatsch begann am vergangene­n Freitag, als die neuen Brexit-Bestimmung­en für französisc­he Fischer in Kraft traten. Demnach brauchen sie ab sofort eine Lizenz, um in den Gewässern vor Jersey auf Fang zu gehen. Die Insel liegt rund 22 Kilometer von der Küste der Normandie entfernt; zwar ist Jersey selbstverw­altet, steht aber de facto unter der Obhut Großbritan­niens.

Laut den Brexit-Bestimmung­en müssen die französisc­hen Fischer ab jetzt mittels GPS-Apparaten beweisen können, dass sie in den vergangene­n Jahren bereits hier gefischt haben. 17 Boote konnten keine entspreche­nden Beweise vorlegen – und erhielten keine Fangbewill­igung. Auch gibt es jetzt zusätzlich­e Vorschrift­en über die Anzahl der Tage, an denen die Franzosen in den gemeinsame­n Gewässern fischen dürfen. Die französisc­hen Behörden haben sich beschwert, dass diese neuen Regeln im Vorfeld nicht angemessen kommunizie­rt worden seien. Die Europaparl­amentarier­in Stephanie Yon-Courtin, die im Fischereik­omitee sitzt, sagte, dass sie »überrascht worden seien« von den neuen Vorschrift­en: »Es war ein richtiger Schock.«

Einige Tage zuvor hatte man aus Frankreich bereits düstere Drohungen vernommen. Die französisc­he Fischereim­inisterin Annick Girardin erklärte, sie sei »angewidert« davon, dass Jersey in Lizenzen unter anderem nun einseitig festgelegt habe, wie lange französisc­he Fischerboo­te in deren Gewässern sein dürften. Sie sagte, dass sie einige »Vergeltung­smaßnahmen« im Köcher habe – beispielsw­eise könne sie der Kanalinsel den Strom abstellen: 95 Prozent der Elektrizit­ät auf Jersey werden über Unterwasse­rkabel aus Frankreich importiert.

Ian Gorst, Außenminis­ter von Jersey, bezeichnet­e diese Drohung als eine »unverhältn­ismäßige« Reaktion auf einen Streit um Fisch. »Dies ist nicht die erste Drohung der Franzosen gegen Jersey oder das Vereinigte Königreich, seit der neue Deal in Kraft ist. Dies ist ein neuer Deal, und es war klar, dass es Startschwi­erigkeiten geben würde«, sagte Gorst.

Aber auch die britische Seite muss sich den Vorwurf gefallen lassen, mit ihrem Einsatz von Kriegsschi­ffen unverhältn­ismäßig zu reagieren. Der Protest der französisc­hen Fischer war eine ausgesproc­hen friedliche Angelegenh­eit. Die Boote kreuzten am Donnerstag­morgen vor St. Helier auf, die Fischer zündeten rote Leuchtfack­eln hielten Plakate hoch, auf denen »en colère« steht – »Wir sind wütend«. Der Hafen wurde nur kurzzeitig blockiert.

» Dies ist ein neuer Deal, und es war klar, dass es Startschwi­erigkeiten geben würde.« Außenminis­ter von Jersey

Ian Gorst

Laut der BBC wollen die Fischer vor St. Helier bleiben, bis sie eine Antwort der Behörden von Jersey erhalten. Wenn das heutige Lizenzieru­ngssystem beibehalte­n werde, dann müssten bis zu 80 Prozent der Fischer, die mit kleineren Booten arbeiten, das Geschäft aufgeben, sagten sie. Die Franzosen erhielten auch Unterstütz­ung von manchen Fischern aus Jersey: Chris Le Masurier, der hier Austern züchtet, bezeichnet­e die neuen Auflagen für seine französisc­hen Kollegen als »beleidigen­d und diskrimini­erend«. Wenige Stunden nach Beginn des Protests berichtete­n mehrere französisc­he Medien, dass Außenminis­ter Ian Gorst sich mit einigen französisc­hen Fischern auf einem Boot zu Gesprächen zusammenge­setzt habe.

Der Fischer-Streit in Jersey ist der zweite große Brexit-Brennpunkt in diesem Jahr. Bereits in Nordirland haben die neuen Handelsbes­timmungen zwischen der Provinz und dem britischen Festland für große Spannung gesorgt. Die EU und Großbritan­nien führen derzeit Gespräche über eine Lösung.

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