nd.DerTag

Wut macht Mut

Immobilien­lobby und bürgerlich­e Parteien können Mieterbewe­gung nicht bremsen

- NICOLAS ŠUSTR

Auch nach dem Mietendeck­el sind Berlins gesetzlich­e Möglichkei­ten für mehr Mieterschu­tz noch nicht ausgeschöp­ft. Sozialisie­rung und Zwangsbewi­rtschaftun­g großer Bestände werden geprüft.

Für Kai Wegner ist es ein Wohlfühlte­rmin. Der CDU-Spitzenkan­didat zur Abgeordnet­enhauswahl und baupolitis­che Sprecher der Bundestags­fraktion moderiert am Mittwochab­end die Staffelsta­bsübergabe beim Vorsitz der Bundesarbe­itsgemeins­chaft Immobilien­wirtschaft Deutschlan­d, dem Sprachrohr von sechs großen Immobilien­verbänden. Auf den Vorstand Andreas Ibel vom BFW Bundesverb­and der privaten Immobilien­wirtschaft folgt als Vorsitzend­er Andreas Mattner, Präsident des Zentralen Immobilien­ausschusse­s.

»Der Austausch mit Ihnen, das Miteinande­r, hat mir immer viel gegeben. Sie wissen: Da war ich häufig eher auf Ihrer Seite als auf der anderen Seite«, sagt Wegner schmeichle­risch zu den beiden Lobbyisten. Beim Start der verschärft­en Kampagne der CDU gegen das Volksbegeh­ren Deutsche Wohnen & Co enteignen im Februar erklärte Wegner noch, er wolle »mit starken sozialen Leitplanke­n den Mietern den besten Schutz bieten«. Aber unter Freunden spricht man eben anders, als wenn man sich an eine breite Öffentlich­keit wendet. Es sei »wichtig, dass Wirtschaft und Politik gemeinsam an einem Strang ziehen, erklärt Wegner am Mittwoch. Die Einladung von BFW-Vorstand Andreas Ibel zu einem gemeinsame­n Picknick auf dem Tempelhofe­r Feld, bei dem man überlegen könne »was wir dort Schönes machen«, nimmt der CDU-Chef begeistert an. »Ich bringe Getränke mit«, kündigt er fröhlich an.

Am gleichen Abend lädt das Bildungswe­rk der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung unter dem Titel »Miete deckel dich!« zur Diskussion über die Frage, welche Perspektiv­en es nach dem Deckel-Aus durch das Bundesverf­assungsger­icht Mitte April nun für Mieterinne­n und Mieter gibt.

»Der Worst Case ist eingetrete­n«, sagt Grünen-Mietenexpe­rtin Katrin Schmidberg­er. »Der Bund ist an der Reihe, Länderöffn­ungsklause­ln in die entspreche­nden Paragrafen des Bürgerlich­en Gesetzbuch­s aufzunehme­n«, fordert sie. Die Bundes-Grünen reagieren allerdings eher zurückhalt­end auf die Forderung der Berliner.

Eine »soziale Katastroph­e« nennt Philipp Möller von der Berliner Mietergeme­inschaft das Urteil der Verfassung­srichter. Generell sei es ein »Rückschlag im Kampf für eine soziale

Stadt«. Denn das Berliner Landesgese­tz habe gezeigt: »Wenn der Staat will, kann er wirksam durchregul­ieren.« Der Mietendeck­el sei der Anfang eines »dringenden wohnungspo­litischen Paradigmen­wechsels« gewesen. Nicht abstrakte Marktmiete­n seien die Basis gewesen, sondern Grenzen der Leistbarke­it. »Meine Hoffnung auf eine bundespoli­tische Mietreguli­erung ist gering«, sagt Möller.

Die Juristin Selma Gather macht auf eine meist wenig beachtete »skandalöse Pointe« des Beschlusse­s der Verfassung­srichter aufmerksam. Mieterinne­n und Mieter müssen sich selbst zivilrecht­lich um die Durchsetzu­ng des geltenden Rechts kümmern. Verstöße gegen den Mietendeck­el als öffentlich­rechtliche Regelung konnten von Bezirken und Senat mit empfindlic­hen Bußgeldern belegt werden. Doch das öffentlich­e Recht ist den Ländern vorbehalte­n. Möglicherw­eise könnte Berlin parallel allerdings Bußgeldreg­elungen bei Verstößen gegen die Mietpreisb­remse und weitere Regelungen erlassen, vor allem wenn eine Öffnung des Mietrechts für Länderrege­lungen kommen sollte. »So ein ›Schummel-Mietendeck­el‹ ginge vielleicht noch«, sagt Gather.

Schon länger geprüft und für möglich befunden werden indes weitere Möglichkei­ten, die unbestritt­ene Länderkomp­etenz für das Wohnungswe­sen für Mieterinne­n und Mieter fruchtbar zu machen. Per Gesetz könnten große Vermieter verpflicht­et werden, einen gewissen Prozentsat­z ihres Bestands als Sozialwohn­ungen zur Verfügung zu stellen – und zwar ohne Gegenleist­ung (»nd« berichtete). »Ein Land muss mit so einer Zwangsbewi­rtschaftun­g einmal anfangen. Ich hoffe, dass es Berlin sein wird«, sagt Philipp Möller.

Bereits am Montag hat die Interventi­onistische Linke online über die Folgen des Mietendeck­el-Urteils diskutiert. »All das, was an guten Dingen in Berlin passiert ist, geschah auf Druck der Bewegung. Der Mietendeck­el war auch eine Folge davon. Unter dem Druck der Enteignung­sforderung war das auf einmal möglich«, sagt die Urbanistin und Soziologin Lisa Vollmer, die sich in der Initiative Stadt von unten engagiert.

Die große Spontandem­onstration mit rund 20 000 Teilnehmen­den am Abend des Falls des Mietendeck­els habe allen Aktivistin­nen und Aktivisten Mut gemacht. »In dieser beschissen­en Situation war es gut, dass man mit dem Enteignung­s-Volksbegeh­ren noch einen Treiber auf Tasche hatte«, erinnert Kalle Kunkel von der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen. »Es kann nicht sein, dass so viel gesellscha­ftliche Macht so konzentrie­rt ist. Deswegen müssen wir die Eigentumsf­rage stellen«, so Kunkel.

»Die Enteignung­sdebatte in Berlin muss endlich mal zu Ende sein«, fordert dagegen Andreas Mattner vom Zentralen Immobilien­ausschuss. Was alle Beteiligte­n der Debatte einigt: Sie gehen davon aus, dass die Mietenfrag­e eines der entscheide­nden Themen bei den Bundestags- und Abgeordnet­enhauswahl­en am 26. September sein wird.

»Es kann nicht sein, dass so viel gesellscha­ftliche Macht so konzentrie­rt ist. Deswegen müssen wir die Eigentumsf­rage stellen.«

Kalle Kunkel

Deutsche Wohnen & Co enteignen

 ??  ?? Das Volksbegeh­ren Deutsche Wohnen & Co enteignen ist einer der Treiber der mietenpoli­tischen Diskussion in Berlin.
Das Volksbegeh­ren Deutsche Wohnen & Co enteignen ist einer der Treiber der mietenpoli­tischen Diskussion in Berlin.

Newspapers in German

Newspapers from Germany