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Nach dem Deckel kommt der Mietenturb­o

Senat veröffentl­icht neuen Mietspiege­l – Vermietung­sportal erwartet deutlichen Anstieg der Berliner Angebotspr­eise

- NICOLAS ŠUSTR

Die Mietpreiss­pirale dreht sich nach dem Aus für den Berliner Deckel munter weiter. Eine deutliche Bremse könnte der neue Mietspiege­l sein. Die Werte steigen nur um 1,1 Prozent.

»Wir erwarten mit Abstand die größten Preissteig­erungen in Berlin«, sagt Axel Schmidt, Sprecher des Immobilien­portals Immoscout2­4 am Donnerstag. Die Angebotsmi­eten in der Hauptstadt könnten also schneller steigen als in den im Vergleich betrachtet­en Metropolen Hamburg, München, Köln und Frankfurt am Main. Das wäre dann eine Folge des Mitte April gefallenen Beschlusse­s des Bundesverf­assungsger­ichts, der den Mietendeck­el für nichtig erklärt hatte.

»Nachholeff­ekte« heißt das im Ökonomensp­rech. Das Mietniveau in Berlin soll sich demnach also an Hamburger oder Frankfurte­r Werte um die zwölf Euro pro Quadratmet­er im Bestand annähern. Immoscout definiert als Neubau nur in den letzten zwei Jahren fertiggest­ellte Wohnungen. Derzeit liegen sie bei rund zehn Euro.

Seit 15. April sind die Angebotsmi­eten für Wohnungen, die vor 2014 bezugsfert­ig waren und bei denen demnach das Berliner Landesgese­tz zur Mietenbegr­enzung gegriffen hatte, auf dem Portal um satte sieben Prozent nach oben gegangen. Das entspricht 90 Cent pro Quadratmet­er. Gleichzeit­ig hat ein Teil der Immobilien­besitzer offenbar den Vermietung­sstreik beendet. Das Angebot stieg seitdem um 8,6 Prozent. In absoluten Zahlen entspreche das Zuwächsen »von einigen Hundert Wohnungen«, erläutert Schmidt. Allerdings dauere es nun länger als vorher, bis es zum Abschluss eines Mietvertra­gs kommt, beobachtet Immoscout-Analyst Tim Winke.

»Es ist gut, dass Berlin durch das aktuelle Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts wieder Rechtssich­erheit hat. Wir hoffen, dass sich das Angebot an Bestandswo­hnungen weiter erholen wird«, erklärt Immoscout-Geschäftsf­ührer Thomas Schroeter. Nach Angaben des Portals gibt es in der Hauptstadt durchschni­ttlich 158 Kontaktanf­ragen pro Woche auf jedes Vermietung­sangebot im Bestand – ein Mehrfaches der Werte, die in den anderen Metropolen üblich sind.

Derweil zeigt sich, dass die Stadtentwi­cklungsver­waltung nicht unvorberei­tet auf ein Scheitern des Mietendeck­els war. Am Donnerstag ist auch der neue Mietspiege­l 2021 veröffentl­icht worden – auf dessen Erarbeitun­g hatten unter anderem die Grünen massiv gedrängt. Es ist ein Indexmiets­piegel, der auf der bundesweit­en Entwicklun­g der Lebenshalt­ungskosten seit Veröffentl­ichung der letzten Auflage 2019 basiert. Um 1,1 Prozent steigen also die Werte für alle Mietspiege­lfelder. Die Durchschni­ttsmiete stieg um sieben Cent pro Quadratmet­er auf 6,79 Euro.

»Das Land nutzt durch die Veröffentl­ichung eines qualifizie­rten Mietspiege­ls konsequent den im Bundesrech­t bestehende­n Spielraum, um Mieterhöhu­ngsmöglich­keiten zu begrenzen«, erklärt Stadtentwi­cklungssen­ator Sebastian Scheel (Linke). Berlin hatte eigentlich auch keine andere Wahl, denn durch Gesetze fixierte Mieten wie bei Sozialwohn­ungen oder beim Mietendeck­el dürfen nicht einfließen. Doch auch München ist bereits diesen Weg gegangen, um den irren Mietanstie­g zu begrenzen – bei Immoscout werden dortige Bestandswo­hnungen für fast 16 Euro pro Quadratmet­er angeboten.

»Durch die Vorsicht des Berliner Senats haben wir nun zeitnah und im rechtlich vorgegeben­en Zeitraum einen Folgemiets­piegel«, lobt Reiner Wild, Geschäftsf­ührer des Berliner Mietervere­ins, das Vorgehen.

Da es wegen des Mietendeck­els nicht möglich gewesen sei, die ortsüblich­en Vergleichs­mieten zu erheben, »konnten wir den diesjährig­en Mietspiege­l nicht mitzeichne­n«, erklärt der Verband Berlin-Brandenbur­gischer Wohnungsun­ternehmen auf nd-Anfrage. Auch andere Verbände haben nicht unterzeich­net, was der Gültigkeit allerdings keinen Abbruch tut.

Der Mietervere­in kritisiert das scharf. »Wir rechnen mit vielen Mieterhöhu­ngen, mit denen die Mietspiege­lwerte überschrit­ten werden sollen, und zahlreiche­n gerichtlic­hen Auseinande­rsetzungen«, so Reiner Wild. Bei der aktuell im Bundestag befindlich­en Mietspiege­lreform werde es auf Druck der Immobilien­wirtschaft keine Verbesseru­ngen geben, kritisiert die Mieterlobb­y.

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