nd.DerTag

Mit Spritze in den Problemkie­z

Impfangebo­te für »soziale Brennpunkt­e« werfen Fragen und Kritik auf

- CLAUDIA KRIEG

Der Berliner Senat will Menschen, die schwer erreichbar scheinen, mit mobilen Impfteams und in Stadtteilz­entren impfen. Das erhält Lob, aber auch einiges an Kritik aus den gemeinten Quartieren.

Patricia Hänel hat eine klare Vorstellun­g, wie es laufen könnte. »Es wäre super, wenn wir ein Impfmobil bekommen und für Kühlmöglic­hkeiten und eine vernünftig­e Vergütung unserer Pflegekräf­te und Ärzt*innen gesorgt wird«, sagt Hänel zu »nd«. Und möglichst unbürokrat­isch müsse es sein, das mobile Impfangebo­t. »Aber die Logistik darf auch nicht den Engagierte­n vor Ort überlassen werden«, fordert Hänel eine ausgewogen­e Zusammenar­beit mit der Gesundheit­sverwaltun­g. Nur ein Zelt aufzustell­en, würde nicht reichen.

Die Koordinato­rin des Berliner Gesundheit­skollektiv­s hat die Mitteilung des Senats, dass ab kommender Woche in sogenannte­n sozialen Brennpunkt­en geimpft werden soll, zunächst erfreut zur Kenntnis genommen. Angekündig­t wurde, mobile Impfteams mit 10 000 Dosen des nur einmal zu verabreich­enden Vakzins von Johnson & Johnson auszustatt­en und in Familien- und Stadtteilz­entren zu schicken. Wohnortnah soll so ein Impfangebo­t für Menschen entstehen, die man glaubt, über andere Wege der Impfkampag­ne nicht zu erreichen.

»Weil es uns darauf ankommt, dass möglichst schnell möglichst viele Menschen geimpft werden, finden wir das prinzipiel­l gut«, sagt Hänel. Aber jetzt käme es auf die Umsetzung an, so die Gesundheit­saktivisti­n. »Wir führen bei unseren mobilen Beratungen viele Gespräche, in denen deutlich wird, dass die Menschen Ängste und Bedenken vor Impfungen haben«, erklärt die Medizineri­n. Diese müssten zunächst ausgeräumt werden – mit Zeit und Geduld für Gespräche und nicht mit der aufgezogen­en Spritze in der Hand. Es reiche deshalb nicht, zu sagen, es werde jetzt eine Maßnahme durchgefüh­rt – so wie derzeit in Gemeinscha­ftsunterkü­nften für Obdachlose oder Flüchtling­e. »Wir erleben Menschen in Flüchtling­sunterkünf­ten, die haben die nachvollzi­ehbare Befürchtun­g, dass sie als eine Art Versuchska­ninchen herhalten müssen, weil der Impfstoff von Johnson & Johnson erst kürzlich zugelassen wurde.«

Hänels Verein will noch in diesem Jahr ein Zentrum im Neuköllner Rollberg-Kiez eröffnen, das sich am Modell der DDR-Poliklinik­en orientiert und in dem stadtteilb­ezogene und bedarfsori­entierte Gesundheit­sversorgun­g stattfinde­n soll. Seit fast zehn Jahren ist das große Team aus Kinder-, Allgemein- und Fachärzt*innen, Psycho- und Physiother­atpeut*innen aber auch Sozial- und Gemeinwese­narbeiter*innen schon im Kiez unterwegs, um gemeinsam mit den Menschen und sozialen Akteuren vor Ort herauszufi­nden, wie diese bestmöglic­h aussehen kann. »Wir stehen hier in Neukölln in engem Austausch mit sozialen Akteuren wie dem Kiezanker, den Stadtteilm­üttern und dem CommunityZ­entrum Morus 40«, erklärt die Koordinato­rin. In der Pandemie habe man versucht, nach dem Prinzip »Train the Trainer« Menschen, die ohnehin schon im Kiez aktiv sind, für die Aufklärung über das Coronaviru­s und Impfungen zu gewinnen. »Darüber und über unsere mobilen Beratungen erreichen wir auch Menschen mit anderen Mutterspra­chen oder Schwierigk­eiten beim Lesen und Schreiben, an denen viele Informatio­nen vorbeigehe­n.«

Auch der Reinickend­orfer Amtsarzt Patrick Larscheid kritisiert die Ankündigun­g des Senats. Es gebe Bevölkerun­gskreise, die die Corona-Maßnahmen ablehnten und nicht bereit seien, Einschränk­ungen zu akzeptiere­n. Der Einsatz eines Impfmobils reiche in diesen Fällen nicht, erklärte Larscheid. Es

»Wir führen bei unseren mobilen Beratungen viele Gespräche, in denen deutlich wird, dass die Menschen Ängste und Bedenken vor Impfungen haben.«

Patricia Hänel

Koordinati­on Gesundheit­skollektiv Berlin e.V.

gebe Menschen, die sich gar nicht impfen lassen wollten, weil sie »krude Vorstellun­gen« hätten. Seine Mitarbeite­r im Gesundheit­samt hätten sehr gute Erfahrunge­n gemacht, was Aufklärung angeht. »Wir kennen unsere Pappenheim­er in den Bezirken sehr genau«, sagte der Amtsarzt mit der ihm eigenen unangenehm­en Wortwahl.

Auf gezielte Aufklärung setzt auch die Integratio­nsbeauftra­gte Katarina Niewiedzia­l. Sie bestärkte am Donnerstag gemeinsam mit dem Islamforum die Berliner Moscheegem­einden darin, in den kommenden Freitagsge­beten für Corona-Impfungen zu werben und aufzukläre­n. »Aus ihrer religiösen Überzeugun­g heraus möchten Imame Ängste nehmen und falschen Informatio­nen entgegentr­eten. Das Leben und die Gesundheit sind hohe Güter, die aktiv geschützt werden müssen«, so Niewiedzia­l. Auf diesem Weg will sie erreichen, dass möglichst viele Berliner*innen das Angebot zur Impfung annehmen.

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Bitte eintreten! – Berliner Senat will Impfmobile in einzelnen Quartieren einsetzen

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