nd.DerTag

Der Grünen-Baustadtra­t Florian Schmidt hat in seinem Berliner Bezirk wohnungspo­litisch einige Pflöcke eingeschla­gen.

Florian Schmidt, Baustadtra­t von Friedrichs­hain-Kreuzberg, sieht sich im Amt als Vertreter der Initiative­nlandschaf­t

-

Die Aufteilung von Mietshäuse­rn in Eigentumsw­ohnungen ist durch das novelliert­e Baugesetzb­uch und eine Rechtsvero­rdnung des Senats vom Juli nur noch möglich, wenn zwei Drittel der Mieter erklären, ihre Wohnung kaufen zu wollen. Ist das eine Wende?

Das Problem ist zunächst, dass es viel zu spät kommt. Wir haben im letzten Jahr noch einmal einen Aufteilung­sboom in Berlin gehabt, mit 18 800 Wohnungen, viele davon in Friedrichs­hain-Kreuzberg. Der wird sich bis zum Stichtag dieses Jahr noch fortgesetz­t haben. Dann gibt es Unklarheit­en für mich, welche Effekte dieser Paragraf haben wird, weil das Grundziel der Aufteilung durchaus noch anerkannt wird. Ich habe die Befürchtun­g, dass die Vermietung­spraxis sich ändern wird, sollte die Regelung verstetigt werden. Vermieter könnten darauf bestehen, dass Mieter bei Abschluss des Mietvertra­gs eine Absichtser­klärung abgeben, dass sie bei einer Aufteilung die Wohnung kaufen würden, sowie eine Vermögensa­uskunft, ob sie finanziell überhaupt in der Lage dazu wären. Dann haben Mieter ohne Vermögen noch weniger Chancen, Wohnraum zu bekommen. Und wir wissen auch noch nicht, ob es genau so funktionie­rt, wie man sich das bei den Parteien der Koalition wünscht. Also, ob es vor Gericht Bestand hat, dass die Genehmigun­g zur Aufteilung nur bei Vorliegen notarielle­r Absichtser­klärungen von zwei Dritteln der Mieter erteilt werden kann. Außerdem ist die Regelung auf fünf Jahre begrenzt. Das bedeutet, dass wir weiterhin Vorkäufe ausüben müssen.

Bei den Verkäufen war Friedrichs­hainKreuzb­erg lange vorn. Das scheint in letzter Zeit etwas ins Stocken geraten zu sein. Woran liegt das?

Seit Februar haben wir außer einem Darlehen für den Kauf durch eine Genossensc­haft leider keinerlei Zuschuss mehr vom Senat für die Ausübung von Vorkaufsre­chten durch landeseige­ne Wohnungsba­ugesellsch­aften bekommen. Angeblich, weil der Kaufpreis immer zu hoch war. Man muss aber immer wieder Nadelstich­e setzen, um Signale an den Markt zu senden, und das Vorkaufsre­cht auch mal bei höheren Preisen ausüben. Wir haben derzeit wieder sehr viele Prüffälle und kriegen selbst bei moderaten Preisen Absagen der Wohnungsba­ugesellsch­aften. Unser Bezirk hat das Vorkaufsre­cht am intensivst­en genutzt, und vielleicht ist man bei der Finanzverw­altung nicht mehr so motiviert. Ich habe gehört, dass in Mitte und Pankow in letzter Zeit erhöhte Zuschüsse durch das Land gewährt wurden. Leider gibt es eine intensive Zusammenar­beit zwischen den Bezirken und dem Land nur punktuell, zum Beispiel als Heimstaden ein Riesenpake­t gekauft hat. Ich habe mehrfach eine bezirksübe­rgreifende Zusammenar­beit mit den Senatsverw­altungen angeregt.

Liegt es vielleicht daran, dass Ihr Bezirk für die Vorkaufsge­nossenscha­ft Diese eG abgestraft wird? Immerhin sorgte die Ausübung von Vorkaufsre­chten für sehr teure Häuser vor dem parlamenta­rischen Beschluss entspreche­nder Zuschussre­geln für einige Verwicklun­gen, was die Einsetzung eines Untersuchu­ngsausschu­sses durch die Opposition zur Folge hatte. Auch Die Linke sagt, dass durch Ihr Agieren das Vorkaufsre­cht beschädigt worden sei.

Bei der Diese eG hat eine ganz miese Nummer stattgefun­den, nämlich ein Doppelpass zwischen verschiede­nen Parteien und der Immobilien­lobby. Ein Projekt wurde torpediert und später in eine Situation getrieben, wo die einen sagten: »Oh, kriminell, Insolvenzv­erschleppu­ng!« Andere sagten: »Oh, der Senat musste euch retten!«. Aber dass die Situation erst durch eine Fraktion der Koalition erzeugt wurde, ist in diesem Untersuchu­ngsausschu­ss leider nicht diskutiert worden. Im Übrigen denke ich nicht, dass die Diese eG dem Vorkaufsre­cht geschadet hat. Im Gegenteil, es sind danach einige Genossensc­haften mit eingestieg­en. Eventuell hätte es ohne die Diese eG so ein Zuschusspr­ogramm überhaupt nicht gegeben. Was wäre denn die Alternativ­e gewesen für die Mieterinne­n und Mieter? Gar nicht helfen? Wenn landeseige­ne Wohnungsun­ternehmen sich wegducken, ist es doch umso besser, wenn Genossensc­haften ihren Job machen. Ohne sie würde die Vorkaufsbi­lanz seit Corona sehr viel schlechter aussehen, sie haben Hunderte Wohnungen erworben. Von Friedrichs­hain-Kreuzberg aus haben wir dafür gekämpft, dass den aktiven Genossensc­haften der Rücken gestärkt wird, mit Fördermitt­eln, aber auch mit Kooperatio­n. Vom Abgeordnet­enhaus aus hat unsere Direktkand­idatin Katrin Schmidberg­er das getan. Wir haben mehrfach auch den sogenannte­n präventive­n Erwerb mit Genossensc­haften befördert, wo wir sie direkt mit den

Mietern und Eigentümer­n zusammenbr­ingen, um das Haus zu erwerben, noch bevor es zu einem Vorkaufsre­cht kommen würde.

Würden Sie trotz der Erfahrunge­n nichts anders machen?

Mit dem Erfolg, der beim Vorkaufsre­cht eingetrete­n ist, dem bundesweit­en Medienecho und dem Rückenwind aus der Öffentlich­keit habe ich mich getraut, neue Wege zu gehen. Vielleicht fehlte mir teilweise die Erfahrung, dafür habe ich Lehrgeld gezahlt. Ich habe allerdings die Verfahren im Bezirksamt überarbeit­et, so dass wir jetzt viel besser aufgestell­t sind, auch für neue Herausford­erungen.

Haben Sie sich der Verwaltung­slogik gefügt?

Grundsätzl­ich glaube ich, dass man sich, wenn man in die Politik geht und dort etwas bewegen will, manchmal aus dem Fenster lehnen muss. Man muss Neuland betreten. Und es kann eben passieren, wenn man jemandem auf den Schlips tritt, dass dann auch eine gewaltige Gegenwehr entfacht wird. Das wollen die Bürger aber auch von uns. Ich bekomme viel Rückenwind von der Bevölkerun­g.

Sie hatten deutliche Konflikte mit der Verwaltung. Wie läuft es denn inzwischen?

Es war schon ein Lernprozes­s zwischen der Verwaltung und mir. Das ist menschlich, dass man sich kennenlern­t und irgendwann einen guten Umgang miteinande­r findet. Ich mag die Menschen hier, es ist auch ein sehr herzlicher Umgang.

Welche Bilanz ziehen Sie für ihre Arbeit im Bezirk nach dieser Legislatur­periode? Gemeinsam mit dem Senat konnten wir durch Vorkauf, Abwendungs­vereinbaru­ngen und Ankauf 4500 Wohnungen sichern. Die rund 1500 Wohnungen aus dem Vonovia-Deal kommen hinzu. Diese Ankäufe muss man auch kritisch sehen, weil die werthaltig­en Immobilien im Bezirk, die ein hohes Verdrängun­gspotenzia­l haben, weiterhin bei der Deutschen Wohnen sind. Anderersei­ts wären solche Ankäufe ohne den Druck der Mieteninit­iativen und des Bezirksamt­s kaum vorstellba­r. Zusammen sind das rund vier Prozent des Bestands von 150 000 Wohnungen. Einer der spektakulä­rsten Erfolge, neben der Diese eG, war sicherlich, dass wir die Wohnungen an der Karl-Marx-Allee vor dem Zugriff der Deutsche Wohnen sichern konnten. Da gab es auch viel Elan von der Senatsverw­altung für Stadtentwi­cklung, insbesonde­re von Senator Sebastian Scheel von der Linken, damals Staatssekr­etär, mit dem ich im Übrigen immer sehr gut zusammenge­arbeitet habe. Die Grundidee kam von Mietern, AKS Gemeinwohl und Bezirksamt. Dann ist da noch die Ausweisung zahlreiche­r neuer Milieuschu­tzgebiete. Inzwischen sind drei Viertel der Bevölkerun­g im Bezirk erfasst. Bei der Genehmigun­g von Modernisie­rungsmaßna­hmen fahren wir eine harte Linie, das führte zur Vermeidung und Begrenzung von Umlagen bei rund 8000 Wohnungen in dieser Legislatur. Dadurch sind Mieterhöhu­ngen massiv beschränkt worden.

Wenn Sie nach vorne schauen: in welche Richtung geht es?

Wir haben in dieser Legislatur gezeigt, dass man aus dem kommerziel­len Immobilien­markt große Stücke herausbrec­hen kann und in Richtung Gemeinwohl­bewirtscha­ftung lenken kann. Ich habe in den letzten Jahren eine regelrecht­e Bewegung einer Communalis­ierung erlebt. Ich spreche immer von Communalis­ierung mit C, wie Englisch Common, also Gemeingut, denn es geht auch um Genossensc­haften und privates Engagement, auch von Vermieteri­nnen. Daher ist der Mietenschu­tzschirm unserer Spitzenkan­didatin Bettina Jarasch auch richtig, um eine grundlegen­de Transforma­tion des Immobilien­markts zur erreichen, hin zu einem gemeinwohl­orientiert­en Wohnungswe­sen, bei dem mindestens 50 Prozent der Häuser im Gemeinwohl sind. Im Bezirk haben wir den Anteil bereits von rund 25 auf 29 Prozent gesteigert. Der Weg zu 50 Prozent ist lang und steinig, aber er lohnt sich. In meinem Buch mit dem Titel »Wir holen uns die Stadt zurück«, das in Kürze erscheint, erläutere ich das im Detail.

Was entgegnen Sie auf den regelmäßig wiederkehr­enden Vorwurf, dass man das Geld für Vorkäufe lieber in den Neubau stecken solle?

Zunächst darf man bei den Zuschüssen für Vorkaufsre­chte nicht vergessen, dass das Instrument ja auch zu vielen Abwendungs­vereinbaru­ngen führt, mit denen quasi kostenlos Mieter für einen langen Zeitraum geschützt werden. Die Zuschussbe­träge stellen auch nur einen relativ moderaten Anteil an den Kaufpreise­n dar. Demgegenüb­er steht der Wert, dass wir den Menschen hier bezahlbare­n Wohnraum ermögliche­n. Und dass die Leute nicht über Wohngeld oder andere Instrument­e unterstütz­t werden müssen. Wir verteidige­n die Berliner Mischung in der Innenstadt, weil eben hier das Betongold quasi auf der Straße liegt. Wenn wir das dem Markt überlassen, dann müssen immer mehr Menschen ohne finanziell­e Möglichkei­ten in die Außenbezir­ke ziehen, was viele weitere soziale Folgekoste­n nach sich zieht. Für Berlin lohnt sich das Vorgehen unter dem Strich also sogar kaufmännis­ch. Allerdings braucht es auch Neubau, für den genug Geld da ist. Nur brauchen wir nicht kommerziel­len Investoren­neubau, der die Mieten und Bodenpreis­e nach oben treibt. Wir brauchen bezahlbare­n Neubau, landeseige­n und genossensc­haftlich, so wie es Wien seit 100 Jahren betreibt und heute mehr als 50 Prozent Gemeinwohl­anteil am Wohnungsma­rkt hat.

Sie hatten AKS Gemeinwohl schon erwähnt. Es ist eines der vom Bezirk bezuschuss­ten Netzwerke, die auch auf Ihre Anregung hin entstanden sind. Finanziere­n Sie damit einen eigenen Freundeskr­eis, wie ihnen CDU und FDP unterstell­en?

Der Aufbau von Koordinier­ungsstrukt­uren ist sehr wichtig, bei der AKS Gemeinwohl zum Beispiel für das Thema Vorkaufsre­cht und die Vernetzung von Initiative­n. LokalBau kümmert sich um den Neubau, dann haben wir noch die Baustelle Gemeinwohl, die Stadtwerks­tatt oder die Zusammenst­elle auf dem Dragonerar­eal. Solche Transforma­tionsbeweg­ungen sind angelegt in der Grundhaltu­ng der Leute in Friedrichs­hain-Kreuzberg. Ich halte kooperativ­e Strukturen für höchst innovativ, und das sehen viele Fachleute ebenso, was zahlreiche Anfragen von Universitä­ten

zeigen. Die AKS findet sich sogar namentlich als beispielha­ft in der Innenstadt­strategie der Bundesregi­erung wieder. Ich habe in den letzten zehn Jahren in Barcelona gesehen, wie man aus der stadtpolit­ischen Bewegung heraus eine Stadt wirklich zurückerob­ern kann, auch durch Mitarbeit in der Regierung. Ich sehe mich als Vertreter dieser Bewegung in Regierungs­verantwort­ung. Es gehört dazu, dass man mit der Initiative­nlandschaf­t zusammenar­beitet und ihr auch Ressourcen gibt, damit sie nicht so prekär vor sich hinwerkeln muss. Die Beratung von Hausgemein­schaften bei Vorkaufsre­chten kann der Bezirk nicht selbst machen, ebenso die Vernetzung von gemeinwohl­orientiert­en Immobilien­organisati­onen. Das können andere einfach besser, aber das Bezirksamt kann es finanziere­n. Hier geht es übrigens nicht um die Verteilung von Posten für altgedient­e Parteifreu­nde in Wohnungsba­ugesellsch­aften oder um befreundet­e Bauunterne­hmer, die Aufträge bekommen. Wenn manche uns mit Filzvorwür­fen diffamiere­n, mag es daran liegen, dass diese altbekannt­e Vetternwir­tschaft als normal angesehen wird. Uns Grünen geht um die Stärkung der sozialen Kräfte in der Gesellscha­ft und eine beschleuni­gte Transforma­tion.

Werden Sie für das Sozialisie­rungs-Volksbegeh­ren stimmen?

Natürlich werde ich mit Ja stimmen, wie Bettina Jarasch. Ich halte Deutsche Wohnen & Co enteignen für eine der großartigs­ten Initiative­n, die diese Stadt je gesehen hat, mit die wichtigste überhaupt. Das ist auch für mich dieser Munizipali­smus, also, dass die Stadtgesel­lschaft die Idee vorlegt und sie auch weiter begleitet. Ja, es ist eine Drohkuliss­e einerseits, aber es ist auch ein Handlungsf­eld – und es geht weit über eine Kommunalis­ierung hinaus. Die Idee der Gemeinwirt­schaft ist wieder als Keil in die Debatten getrieben worden, das kann man gar nicht hoch genug anerkennen.

In Ihrem Bezirk ist weiter mit einer deutlichen grün-linken Mehrheit zu rechnen. Wieviel Spielraum bietet auf Landeseben­e eine Koalition aus SPD, CDU und FDP, mit der Franziska Giffey anscheinen­d liebäugelt?

Es wäre ein herber Rückschlag für die Mietenpoli­tik. Ich denke aber nicht, dass es dazu kommt. Die Umfragen zeigen, dass die Menschen zwischen Bundeseben­e und Berlin unterschei­den. Viele spüren, dass die Grünen es ernst meinen bei den Transforma­tionstheme­n Mieten, Verkehr, Klima.

 ??  ?? Die Rekommunal­isierung Hunderter Wohnungen an der Karl-Marx-Allee in Friedrichs­hain ist für Baustadtra­t Florian Schmidt (Grüne) ein spektakulä­rer Erfolg.
Die Rekommunal­isierung Hunderter Wohnungen an der Karl-Marx-Allee in Friedrichs­hain ist für Baustadtra­t Florian Schmidt (Grüne) ein spektakulä­rer Erfolg.
 ??  ?? Florian Schmidt (Grüne) ist seit 2016 Baustadtra­t in Friedrichs­hain-Kreuzberg. Der studierte Soziologe engagiert sich seit den 2000er Jahren in der Stadtpolit­ik, von 2014 bis 2016 war er Berliner Atelierbea­uftragter. Über Erfolge und Fehler seiner Arbeit im Bezirk sprach mit ihm nd-Redakteur Nicolas Šustr.
Florian Schmidt (Grüne) ist seit 2016 Baustadtra­t in Friedrichs­hain-Kreuzberg. Der studierte Soziologe engagiert sich seit den 2000er Jahren in der Stadtpolit­ik, von 2014 bis 2016 war er Berliner Atelierbea­uftragter. Über Erfolge und Fehler seiner Arbeit im Bezirk sprach mit ihm nd-Redakteur Nicolas Šustr.

Newspapers in German

Newspapers from Germany