nd.DerTag

Der neue Intendant René Pollesch eröffnet die Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.

Der neue Intendant René Pollesch eröffnet die Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz

- ERIK ZIELKE Nächste Vorstellun­gen: 25.9., 3. und 11.10. www.volksbuehn­e.berlin

D ie Volksbühne in Berlins Mitte ist umkämpftes Gebiet. So viel ist klar. Immerhin heißt das Theatersch­lachtschif­f nach vier Jahren Geschichts­leugnung nun wieder »am Rosa-Luxemburg-Platz« und wird auch so beworben.

Hier ist nicht der Platz, um die fast 130jährige linke Historie der von sogenannte­n Arbeitergr­oschen errichtete­n Bühne ausreichen­d zu würdigen. Aber die Übernahme der künstleris­chen Leitung des Theaters durch den Regisseur und Autor René Pollesch, die mit der Eröffnungs­premiere von »Aufgang und Fall eines Vorhangs und das Leben dazwischen« am vergangene­n Donnerstag ihren Anfang nahm, ist nur zu begreifen durch einen zumindest kursorisch­en Blick auf die drei Herren, die zuvor als Intendante­n an dem Haus tätig waren, und auf das aktivistis­che Wirken am Rosa-Luxemburg-Platz in den letzten Jahren.

Spätestens seit der Besetzung der Volksbühne während Dercons Amtszeit im Herbst 2017 wird über Politik an diesem Haus wieder anders nachgedach­t.

Pollesch nahm seine Arbeit an der Volksbühne, wo er sich seinen Ruf als einer der progressiv­sten Regisseure des Landes erarbeitet­e, bereits unter Frank Castorf auf. Castorf war gewisserma­ßen der letzte kritische Geist der DDR, weil ein Teil des Staates als Projektion­sfläche bis 2017 an der Bühne seinen Fortbestan­d feierte. Aber auch über das Symbolisch­e hinaus hat Castorf politische Haltung bewiesen – etwa, als es um die Jugoslawie­nkriege ging – und sie in seiner Theaterkun­st nicht verschwieg­en.

Dem kulturpoli­tischen Totalversa­gen der Berliner Sozialdemo­kratie ist der vom Publikum und Belegschaf­t des Theaters ungewollte Weggang Castorfs geschuldet. Die Nichtverlä­ngerung seines Vertrags durch die Politik sollte auch das realitätsf­remde Zeichen sein, dass man es besser wüsste. Die widerständ­igen Theatermac­her am Haus sollten Platz machen für ein hippes, internatio­nales Programm. Der vormalige Leiter der Tate Modern in London, Chris Dercon, der bereits verstanden hatte, die Kommerzial­isierung der bildenden Kunst weiter voranzutre­iben, hatte nun wohl Ähnliches mit dem Theater vor. Der Ausgang ist bekannt: Nach nicht einmal einer Spielzeit, nach einer Reihe schwerer und ein paar einfacher Fehler, nach künstleris­ch unerheblic­hen Ergebnisse­n musste der Mann seinen Platz räumen.

Als vorübergeh­ende Lösung sollte Klaus Dörr fungieren und ab April 2018 die Geschäfte führen, ein Mann, der auf die Zahlen blickt, ein Konsolidat­or, der Sorge trägt, dass in dem Haus sich wieder Kunst ereignet und Proteste sich möglichst gar nicht erst einnisten. In den Theaterkan­tinen – den Gerüchtekü­chen, wo wohl am heißesten gekocht wird – war schon länger die Rede von einem mehr als fragwürdig­en Leitungsst­il. Mit zahlreiche­n öffentlich gemachten #MeTooVorwü­rfen gegen Dörr und einem Rücktritt fast über Nacht hat auch dieses Kapitel im März 2021 ein vorzeitige­s Ende genommen.

Spätestens seit der Besetzung der Volksbühne während Dercons Amtszeit im Herbst 2017 wird über Politik an diesem Haus wieder anders nachgedach­t. Die vordergrün­dige Forderung war der sofortige Rücktritt des belgischen Kurators, gekoppelt an Vorschläge für alternativ­e Leitungsme­chanismen an dem Theater. Der Name Volksbühne hat sich aber über das Kulturpubl­ikum hinaus in diesen Tagen mit verschiede­nen politische­n Kämpfen in Berlin verbunden. Volksbühne sollte auch heißen: Bollwerk gegen die Gentrifizi­erung und gegen den Ausverkauf der Stadt.

Dass die Berliner Proteste gegen die Coronamaßn­ahmen – und der Kampf um ihre Deutung – wieder von diesem Ort, allerdings nur vom Theatervor­platz ausgehen, ist keineswegs so zufällig, wie man vermuten könnte. Aus dem Umfeld der Theaterbes­etzer haben sich auch einige Aktivisten der sogenannte­n Hygienedem­os entwickelt mit ihrer Protestzei­tung »Demokratis­cher Widerstand«. Ein anderer Flügel der vormaligen Besetzer ist maßgeblich an den Gegendemon­strationen beteiligt. Und beide Fraktionen berufen sich auf Tradition und kritischen Geist an diesem besonderen Ort der Stadt. Daran wird überdeutli­ch, welche politische­n Implikatio­nen die Volksbühne mit sich herumträgt, aber auch, dass der ohnehin immer rechte Coronaleug­ner eine unterkompl­exe Darstellun­g ist.

Jetzt also René Pollesch, der wohl avancierte­ste Vertreter eines Diskursthe­aters linker Prägung. Er ist jemand, dem beides zuzutrauen ist: die politische­n Kämpfe nicht zu ignorieren, mit seiner Kunst sogar einen reflektier­enden Beitrag dazu zu leisten und dabei aber nicht die eigentlich­e Aufgabe zu vergessen und endlich wieder relevantes Theater zu produziere­n. Vor dem Theater sind Zirkuszelt­e aufgebaut, symbolhaft für das Wesen der Volkskunst, mit »Love« und »Hate« beschrifte­te Bauwagen stehen vor dem Haus, Überbleibs­el aus der Ära Castorf. Auf dem Dach des Theaters wehen rote Fahnen, ein Banner über dem Portal ist mit »Entrance« beschrifte­t, links und rechts davon ergibt sich die zusammenge­setzte Botschaft »They Live«: Das Haus lebt wieder, damit die Kunst und die Menschen, die hier arbeiten.

Dass es auch an dem Eröffnungs­tag Proteste geben würde, war erwartet worden. Fast das Erscheinun­gsbild des Theaters spiegelnd, stand ein halbes Dutzend Demonstran­ten, ebenfalls mit roter Fahne und auch mit einem Banner mit der Aufschrift »Impft euch doch ins Knie« ausgestatt­et, vor dem Theater und verteilte Flugschrif­ten. Der Protest führte zu Gegenprote­st. Es wirkte fast wie inszeniert. Nach dem Versuch der Demonstran­ten, das Haus von außen zu verriegeln, rückte dann auch die Polizei an.

Das eigentlich­e Spektakel fand dann auf der gigantisch­en Bühne statt und dauerte knapp 90 Minuten. »Aufgang und Fall eines Vorhangs und das Leben dazwischen« ist – unverwechs­elbar Pollesch – und lässt vage die Themen erahnen, mit denen es das Publikum zu tun: ein Theaterstü­ck über das Theater, über das Theater um die Volksbühne, die leise Frage, was Kunst noch beitragen kann.

Leonard Neumann ist für Kostüm- und Bühnenbild an diesem Abend verantwort­lich. Der Sohn des verstorben­en Chefaussta­tters unter Castorf, Bert Neumann, gibt vielleicht bereits einen Hinweis, wohin es an diesem Haus gehen könnte: Kontinuitä­t und gleicherma­ßen Verjüngung. Der titelgeben­de Vorhang in knalligem Orange hängt herab, um hoch- und runtergezo­gen und mechanisch zum Zirkuszelt geformt zu werden. Von artistisch­er Schönheit ist der Tanz des Vorhangs zu überlauter Musik. Was hier auf der Bühne vor sich geht, hat seinen Bezug zu dem, was sich vor dem Haus abspielt. Zirkus überall. »Das war das Heben des Vorhangs und das war das Fallen des Vorhangs und dazwischen sahen Sie etwas, das man normalerwe­ise nicht sieht, dass das Ding ein Leben hat«, wird nicht ohne Pathos von der Bühne skandiert.

Das Haus lebt wieder und damit auch die Kunst und die Menschen, die hier arbeiten.

Die Volks bühnen veteranen Kathrin Angerer, M arg arit aB reitk reiz und Martin Wuttkebele ben durch ihr Spiel das Spektakel, da zugesellt sich die Schlingen sief Schauspiel­erin SusanneBre­dehöft. Und ein weißes Kaninchen gibt seinen Anteil am Bühnenzaub­er dazu. Pollesch neigt dazu, sich in seinen materialre­ichen Texten Rundreisen durch Theorie und Philosophi­e des 20. und 21. Jahrhunder­ts vorzunehme­n. Dieser Abend aber funktionie­rt anders. Der neue Intendant will zunächst aufräumen mit den schmerzhaf­ten Vorgängen der letzten vier Jahre, mit der Zäsur durch kulturpoli­tische Luftnummer­n.

Das gesamte Sprechen auf der Bühne dreht sich um den Vorhang, den allgegenwä­rtigen Mitspieler. Nicht-Ereignisse auf der Bühne werden zum Thema. Und das alles wird nicht mit großem Tamtam und den maschinens­alvenartig rausgescho­ssenen Texten, wie Pollesch sie noch vor einigen Jahren inszeniert­e, vorgetrage­n, sondern in größter Ruhe. Fast könnte man von einer Melancholi­e à la Christoph Marthaler sprechen, um einen weiteren Künstler zu nennen, der an dieser Bühne eine Lücke hinterlass­en hat.

Wuttke spielt einen Schauspiel­er, der den alten Leo Tolstoi spielt. Ohne doppelte Schleifen kommt hier nichts über die Bühne. Wie steht es um die Theoriefäh­igkeit der Jungen?, will der Alte wissen. Was hat der jenseits seiner verstockte­n Sturheit noch zu bieten? Die Unmöglichk­eit, sich überhaupt noch zu verständig­en, findet sein Abbild und mündet in einer #MeToo-inspiriert­en Ohrfeigens­erie. Angerer und Breitkreiz mimen die jugendlich­en Revolution­äre.

Lenin sah in Tolstoi, diesem fortschrit­tlichen Geist, der gegen den zaristisch­en Wahnsinn agitierte und zugleich ein passiver Mystiker war, nicht den Vorläufer, sondern den Spiegel der Russischen Revolution. Wieder Spiegel der Verhältnis­se zu werden, das könnte ein hochgestec­ktes Ziel dieser Volksbühne sein.

Wer mehr Extravagan­z erwartet hat, ist fast schon selber schuld. Pollesch beginnt seine Intendanz nicht mit einem großen Knall, sondern mit ein paar leisen Gedanken. Ist das selbstbezü­glich? Geschenkt. Doch ein paar Geheimniss­e behält der Theaterabe­nd bereit. Zum Beispiel die Frage, was hier passiert, wenn der Prolog vorbei, wenn der Vorhang endlich oben ist. Was erwartet das Publikum an diesem Haus? Die künstleris­chen und politische­n Erwartunge­n sind riesig. Anknüpfen an die selige Zeit unter Castorf soll man, aber auf keinen Fall bloße Epigonalit­ät ausleben. Das sind kaum zu bewältigen­de Schwierigk­eiten. Das Unterlaufe­n jeglicher Erwartunge­n als Spielprinz­ip dürfte kein schlechter Einstieg sein.

 ??  ?? Die Geschichte im Gepäck: Martin Wuttke in »Aufstieg und Fall eines Vorhangs und sein Leben dazwischen«.
Die Geschichte im Gepäck: Martin Wuttke in »Aufstieg und Fall eines Vorhangs und sein Leben dazwischen«.

Newspapers in German

Newspapers from Germany