»Postsowjetische Lebenswelten« – eine neue Ausstellung der Bundesstiftung Aufarbeitung in Berlin
EEine dieser Tage in Berlin-Charlottenburg präsentierte neue (Wander)Ausstellung der Bundesstiftung Aufarbeitung beleuchtet »Postsowjetische Lebenswelten. Gesellschaft und Alltag nach dem Kommunismus«. Auf 20 Tafeln mit 128 Fotografien, betextet von Jan C. Behrends vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, wird im Parforceritt politischer, ökonomischer und sozialer Wandel in den 15 Nachfolgestaaten der UdSSR reflektiert. Der geografische Bogen in der von Ulrich Mählert von der Stiftung kuratierten Schau spannt sich vom Baltischen Meer (Mare Balticum, hierzulande als Ostsee bekannt) über den Kaukasus bis in die Steppen Zentralasiens. zusammen: Nach den drei baltischen Republiken spalten sich sukzessive die südlichen und westlichen ab.
Was bedeutete dies alles für die Menschen, die dort lebten und leben? »Die Kommunistische Partei bestimmt nicht mehr den Alltag der Gesellschaft. Studienplätze oder Wohnungen werden nicht mehr zugeteilt. Jeder muss selbst sehen, wo er bleibt.« Hurra? Naja. Angemerkt wird: »Mit der Sowjetunion verschwinden nicht nur die alten ideologischen Glaubenssätze. Auch die tröstende Gewissheit geht verloren, trotz materieller Rückständigkeit in einer Weltmacht zu leben. Zurück bleibt ein Vakuum, das die sozialen Verlierer des Umbruchs oft mit Religion, Alkohol oder wachsenden Ressentiments füllen.« Zweifellos: Die schockhaftartige Einführung der Marktwirtschaft wirkt sich in den postsowjetischen Staaten verheerender aus als in Ostdeutschland. Während Zigtausende hart arbeitende Menschen in existenzielle Not geraten, scheffeln sich ehemalige Funktionäre die eigenen Taschen voll, nutzen die Stunde zügelloser Privatisierung, avancieren zu »Biznesmen« oder gar allmächtigen Oligarchen. Weshalb denn auch an diesem Wochenende in Russland viele trotz alledem wohl Putin wiedergewählt haben werden. »Im Unterschied zu Ostdeutschland gibt es in den postsowjetischen Staaten kein Sozialsystem, das die Folgen des wirtschaftlichen Umbaus abfedert. Wer nichts auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen hat, muss froh sein, wenn er im Garten der eigenen Datscha Gemüse anbauen kann. Die Kriminalität nimmt zu. Bettler gehören zum Stadtbild. Die Lebenserwartung sinkt rapide. Oft werden Renten und Löhne mit monatelanger Verspätung ausgezahlt.« Demonstrationen gehören zum Alltag.
Irritierend indes ein Foto, das im März 1997 in Kiew demonstrierende Frauen zeigt: Sie schlagen mit Löffeln auf Kochtöpfe. Da kommen einem die Damen der wohlsituierten, wohlgenährten Mittel- und Oberschicht Chiles in den Sinn, die in gleicher Weise protestierten – um 1973 Salvador Allende, den Präsidenten des sozialistischen Regierungsbündnisses Unidad Popular, zu stürzen.
Andere Bilder in der Schau der Stiftung zeugen von Aufbruchstimmung. Alternative Lebensstile werden erprobt. Die Freiheit der Rede wie der Kunst wird ausgereizt, lautet die Botschaft. Zivilgesellschaftliche Initiativen nehmen sich Themen an, die bis dahin Tabu waren. Und werden darob misstrauisch beäugt, gar pauschal als »ausländische Agenten« stigmatisiert. Schade, dass die neue kulturelle Vielfalt in dieser Exposition unterbelichtet bleibt. Rock und Pop werden vorgestellt, andere Bereiche, in denen sich in den letzten Jahrzehnten Aufregendes tat, neue Visionen keimten, bleiben unbeachtet. Die inhaltlichen Schwerpunkte der nicht nur auf Deutsch, sondern auch Englisch, Französisch, Spanisch und Russisch erstellten Ausstellung sind Markt und Mafia, Migration und Auswanderung, Konflikte und Kriege, ökologische Altlasten, Medien, Öffentlichkeit, Digitalisierung sowie Konsumkultur. Man erfährt hier: »Die Eröffnung von Shoppingmalls oder der Filiale einer westlichen Möbelhauskette wird zum gesellschaftlichen Ereignis. Sie stehen für das Versprechen auf ein besseres Leben – auch für diejenigen, die sich die Warenwelt gar nicht leisten können. Die neuen Konsumtempel sind für viele eine Oase, in die sie vor dem grauen Alltag fliehen.« Nun, in Deutschland ist es vielerorts nicht viel anders. Und von den eingangs zitierten millionenfachen Hoffnungen ist hier leider keine Rede.