Politik jenseits des Fernsehens: Die Hamburger Dokumentarfilmwoche ging am Sonntag zu Ende
Nach ihm mussten alle anderen Filme des Festivals kurz und konventionell wirken. Doch haben ihm die meisten voraus, aktueller und politischer zu sein. Daniel Kötters »Rift Finfinnee« – Finfinnee meint Addis Abeba, Rift die Kante zwischen tektonischen Platten – vollzieht die brutale Urbanisierung Äthiopiens schichtenweise nach, von den bitterarmen Bauarbeitern bis hin zu den Investoren in ihren zitronengelben Villen. Urbanisierung auch in »L’artificio« (etwa: »Das
Kunststück«) von Francesca Bertin: Die Modellstadt Zingonia (Bergamo) steht vor dem Abriss, ihre armen Bewohner werden in alle Winde zerstreut; fast eine Umkehrung von Pedro Costas Fontaínhas-Zyklus, wo es vom Slum in geleckte Hochhausblocks geht.
In »first in first out« (»Wer zuerst kommt, mahlt zuerst«) zeigt Zacharias Zitouni am Leben seines Vaters eine denkwürdige Ironie auf: Der frühere Abschiebehäftling bereitet heute am Flughafen Imbisse unter anderem für abzuschiebende Asylbewerber. »A River Runs, Turns, Erases, Replaces« (etwa: »Ein Fluss fließt, biegt ab, schwemmt weg, erneuert«) der jungen Filmemacherin Shengze Zhu konfrontiert in hochstilisierten Totalen die chinesische Metropole Wuhan vor der Epidemie mit Briefen der Verlassenheit, die während ihr entstanden. Das ähnelt der Struktur von Chantal Akermans »Briefe von zu Haus« (1977), wenn Zhu auch nicht deren Geheimnis besitzt. Ebenso exzellent fotografiert
»Kunst kommt aus dem Schnabel wie er gewachsen ist« von Sabine Herpich zeigt die Arbeit der Werkstätte »Mosaik« aus BerlinSpandau und macht dort mit der großartigen Künstlerin Suzy van Zehlendorf bekannt, die einen Privatkrieg gegen das BodeMuseum führt – für sie ein »SkulpturenKnast«. Um von Fernsehsendern nicht zu faulen Kompromissen genötigt zu werden, haben Herpich und ihr Produzent sich zu einer freien Finanzierung entschlossen.
Das Hamburger Festival, das auch Meisterinnen und Meister von Stefan Hayn über Klaus Wildenhahn bis Danièle Huillet und Jean-Marie Straub würdigte, hat glänzend bewiesen, dass der relevante Dokumentarfilm jenseits der gängigen Fernsehformate entsteht.