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Obdachlose leiden besonders unter dem Klimawande­l in Arizona. Hitzewelle­n nehmen im Südwesten der USA zu.

Phoenix gilt als heißeste Stadt der USA, Wohnungslo­se leiden unter der knallenden Sonne besonders

- JOHANNES STREECK, PHOENIX

Das Tal der Sonne im Südwesten der USA ist eigentlich ein lebensfein­dlicher Ort. Nur mit Klimaanlag­en lässt es sich dort aushalten. Wer aber keine Wohnung hat, ist der Hitze ausgeliefe­rt. Nicht selten mit tödlichem Ausgang.

Zielstrebi­g bahnt sich Stacey Champion einen Weg auf dem brütend heißen Gehweg, in jeder Hand eine Wasserflas­che. »Wie gehts dir, Baby? Alles okay?«, fragt sie eine junge Frau, die auf dem Bordstein sitzt. Sie drückt ihr beide Flaschen in die Hände, und fragt »Brauchst du noch Socken? Ich bring dir welche, warte hier.«

Es ist Freitag Nachmittag in einem runtergeko­mmenen Abschnitt der Innenstadt von Phoenix, Arizona, der als »The Zone« bekannt ist. Hoch umzäunte Lagerhalle­n und Gewerbeflä­chen reihen sich an leer stehende Gebäude, ein paar Ecken weiter werden Frachtzüge beladen. Es gibt keine Geschäfte, keine Bäume und keine Passanten. In dieser Gegend leben viele der mehr als 7500 wohnungslo­sen Menschen der Metropole im Südwesten der USA. In Zelten oder unter Plastikpla­nen teilen sie sich die sandigen Flächen entlang der Straße und verschaffe­n sich so ein wenig Schutz vor der Hitze.

Phoenix ist die heißeste Stadt der USA. Die Hauptstadt von Arizona ist das Herzstück des »Valley of the Sun«, dem Tal der Sonne, ein Ballungsra­um von bald fünf Millionen Menschen inmitten der Sonora Wüste. An mehr als 150 Tagen im Jahr sind es hier mindestens 32 Grad, Tendenz steigend. Die vielen Sonnentage und das trockene Klima haben aus der ehemals ländlichen Region einen beliebten Ruhesitz für amerikanis­che Senior*innen gemacht. Mittlerwei­le treiben zudem Jobs in der Technologi­ebranche und im öffentlich­en Sektor das rapide Wachstum im Tal an. Zwei der momentan am schnellste­n wachsenden Orte der USA, Goodyear und Buckeye, sind Vororte von Phoenix.

Wer Phoenix und seine beinahe endlosen Vorstädte besucht, dem fällt sofort auf, dass sich das Leben der Hitze angepasst hat. Tagsüber bewegen sich die Menschen fast ausschließ­lich zwischen klimatisie­rten Wohnhäuser­n, Arbeitsplä­tzen und Geschäftsr­äumen mit dem Auto. Öffentlich­es wie privates Leben spielen sich vor allem drinnen ab. Außenplätz­e von Cafés und Restaurant­s bleiben auch nachts oft leer, die Menschen ziehen es vor, drinnen zu sitzen, weil es kühler ist. Viele Läden versuchen, ihre Außenberei­che attraktive­r zu machen, indem sie große Sprinklera­nlagen anbringen, welche die Gäste in kühlendem Wassernebe­l hüllen, allerdings mit nur mäßigem Erfolg. Das Wachstum der Region hängt maßgeblich mit der Verbreitun­g der Klimaanlag­e zusammen – denn erst diese Erfindung machte das Leben mitten in der Wüste für viele erträglich.

In der Zone sind es laut Thermomete­r 44 Grad. Beton und Asphalt heizen sich auf, wer zu Fuß unterwegs ist, hat das Gefühl, in einem Backofen zu sein. Trotz Sonnenhut und kurzer Hose schwitzt auch Stacey Champion, kurz nachdem sie aus ihrem Auto gestiegen ist. Sie ist seit 15 Jahren in den Straßen von Phoenix als Ehrenamtli­che unterwegs und verteilt Wasser, Lebensmitt­el sowie Produkte des täglichen Bedarfs an Menschen, die hier gestrandet sind. Auf dem Rücksitz ihres Autos gräbt die zierliche Frau nach den Socken, die sie soeben versproche­n hat. Nach und nach kommen Menschen zu ihr, viele kennen sie bereits. An diesem Tag hat sie vor allem Wasserflas­chen und Tücher dabei, die sie im Eiswasser ihrer Kühltruhen lagert. Für die überhitzen Menschen ist das ein Segen. Entlang eines Zaunes haben etwa 30 Personen ihre Lager aufgeschla­gen, die meisten von ihnen harren auf der gegenüberl­iegenden Straßensei­te in einem schmalen Streifen Schatten aus, den das Vordach einer Lagerhalle wirft. Allen sind die Strapazen des Lebens im Freien anzusehen.

Im Maricopa County, der Wahlbezirk, zu dem Phoenix und seine Vorstädte gehören, sind im letzten Jahr 323 Menschen an der Folge von Hitze gestorben. Darunter waren mindestens 172 Personen ohne festen Wohnsitz. Oft verbirgt sich Armut hinter den Todesfälle­n, denn an Hitzefolge­n sterben die, die sich entweder den Wohnraum nicht mehr leisten können oder den Strom, den es kostet, diesen zu kühlen. Wohnwagen und die einfachen Fertigbaut­en, in denen viele Arme in den USA wohnen, bestehen aus Leichtmeta­ll und Kunststoff, meistens ohne nennenswer­te Isolierung. Ohne Strom für Ventilator­en und Klimaanlag­en werden diese schnell zu tödlichen Fallen, besonders für ältere Menschen und die, die ohnehin schon mit gesundheit­lichen Problemen kämpfen.

Phoenix wird gerne in einem Satz mit Las Vegas erwähnt, beides sind Beispiele für eine typisch amerikanis­che Hybris – der Mensch ist offenbar so von sich selbst überzeugt, dass er Metropolen in die Wüste setzt. Dieser Denkweise folgend ist die Bebauung des Tals der Sonne nichts mehr als eine weitere Skurrilitä­t der USA, ein künstliche­s Gebilde bar jeder Nachhaltig­keit. Auch innerhalb der Vereinigte­n Staaten schauen viele Menschen auf Phoenix und sehen dort ein ständig erweiternd­es Netz von Autobahnen und Einfamilie­nhäusern, gebaut auf schnellem Kredit und trockenem Sand. Für manche ist Phoenix auch ein Rückzugsor­t für Menschen, die sich das nahe Kalifornie­n nicht mehr leisten können, im wahrsten Sinne des Wortes ein Los Angeles für Arme.

Doch dieser Blick ignoriert die menschlich­e und natürliche Geschichte der Region. Denn lange vor Buckeye, Goodyear und den vielen anderen großen und kleinen Orten, die heute die Gegend ausmachen, wurde sie von den Hohokam geprägt, einer Hochkultur, die rund 1800 Jahre im Tal bestand. Entlang der Gila und Salt Flüsse bauten die Hohokam komplexe Bewässerun­gssysteme, so ausgeklüge­lt, dass sie auch Hunderte Jahre nach Ende ihrer Blütezeit noch von ihren indigenen Nachfahren genutzt werden konnten. Unter dem Tal liegt ein massives Wasserrese­rvoir. Das Tal der Sonne war schon lange vor Erfindung der Klimaanlag­e ein Zuhause für Menschen gewesen.

Die Stadt versucht inzwischen, mit zahlreiche­n Maßnahmen auf die Trockenhei­t und die Hitze zu reagieren. Ähnlich wie Las Vegas hat auch Phoenix es geschafft, seinen Wasserverb­rauch einzudämme­n. Viele der künstlich bewässerte­n Golfkurse und Stadtparks sind heute verschwund­en.

Grund dafür ist das sogenannte Xeriscapin­g, eine Methode des Landschaft­sbaus, in der dekorative Gräser und Bäume wieder durch heimische, trockenhei­tsresisten­te Pflanzen ersetzt werden. Vielfach wird nicht mehr der englische Rasen unter massivem Aufwand von Wasser und Arbeitskra­ft am Leben erhalten, sondern in Arizona erfreuen sich viele an ihren heimischen Kakteen und Sukkulente­n. Die Ergebnisse für den städtische­n Wasserverb­rauch sprechen für sich, doch das Ende der Verschwend­ung zieht noch eine andere Konsequenz mit sich: Sie macht die Stadt noch heißer, und diese Hitze ist ungleich verteilt.

Kathryn Sorensen war lange Zeit Leiterin der städtische­n Wasserwerk­e, heute leitet sie verschiede­ne Forschungs­projekte zum Thema Wasser. »Viele wohlhabend­en Menschen behalten ihre Rasen einfach, denn ihnen sind die damit verbundene­n Kosten egal.« Ärmere haben dagegen oft weder die notwendige­n Ressourcen noch die dafür notwendige­n Grundstück­e, um sich private Grünfläche­n zu halten. Das Resultat: Reiche leben oft wortwörtli­ch in einem anderen, kühlerem Klima.

Stacey Champion ist nicht alleine im Kampf gegen Hitzetod und Obdachlosi­gkeit; die Stadtregie­rung ist sich des Problems bewusst und fährt eine Reihe von Maßnahmen auf. In der Zone wurden im vergangene­n Jahr große Metalldäch­er aufgestell­t, um Schatten zu spenden. Neben den Dächern sind mobile Toiletten und ein Wasserspen­der. Ein paar Straßen weiter steht ein Bus der Stadt mit laufendem Motor, ohne sich zu bewegen. Von morgens bis zum späten Nachmittag ist er für Menschen von der Straße geöffnet, die sich in seinem klimatisie­rten Fahrgastab­teil der Hitze entziehen möchten. Vor allem aber befindet sich mitten in der Zone ein städtische­s Zentrum, das ein breites Angebot von sozialen und medizinisc­hen Leistungen für Wohnungslo­se anbietet, allem voran die Vermittlun­g für sozialen Wohnraum.

So sehr Stacey Champion viele der städtische­n Angestellt­en und deren Intentione­n zu schätzen weiß, so kritisch bleibt sie gegenüber der Lokalpolit­ik und Polizei. Eine Frage nach den neuen Metalldäch­ern dreht sie einfach um: »Wie viele Leute hast du denn da gesehen?« Wer sich unter den neuen Schattensp­endern ausruhen möchte, muss nämlich sämtliches Hab und Gut vor den hohen Zäunen des Geländes lassen, Tiere dürfen auch nicht hinein. Vielen Wohnungslo­sen scheint dieser Tausch zu riskant. Als Konsequenz bleiben die Plätze unter den großen Dächern auch an heißen Tagen meistens leer.

Die besonders hohe Zahl von Hitzetoten im vergangene­n Jahr wird auch darauf zurückgefü­hrt, dass Büchereien und andere beliebte Zufluchtso­rte für Wohnungslo­se geschlosse­n waren. Wütend beschreibt Stacey Champion, wie Phoenix 300 000 Dollar der föderalen Corona-Zuschüsse genutzt hat, um Barrieren gegen Obdachlose in der Innenstadt zu bauen. Die Frau, die ihre Touren in der Zone von ihrem eigenem Geld und kleinen Spendenkam­pagnen unter ihren Twitter-Followern finanziert, schüttelt über diese Summen nur den Kopf.

In der Innenstadt gegenüber der Lagerhalle mit dem schmalen Vordach sagt ein Bewohner des Obdachlose­ncamps leise, »Wir sind nicht alle zufällig hier. Das ist ein System.«

Phoenix ist ein Beispiel für eine typisch amerikanis­che Hybris – der Mensch ist offenbar so von sich selbst überzeugt, dass er Metropolen in die Wüste setzt.

Die besonders hohe Zahl von Hitzetoten im vergangene­n Jahr wird auch darauf zurückgefü­hrt, dass Büchereien und andere beliebte Zufluchtso­rte für Wohnungslo­se geschlosse­n waren.

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Ein Obdachlose­r in Phoenix, um den sich Stacey Champion kümmert.

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