nd.DerTag

In seinen Bildern uns selber zu entdecken und die Welt zu erkennen, war das Anliegen der Kunst des Ronald Paris.

Gang durch eine Bilderwelt: Erinnerung an die Kunst des Ronald Paris

- HANS-DIETER SCHÜTT

Viele Briefe hat er mir geschriebe­n. Die Handschrif­t setzte auf eine groß schwingend­e Schrift: Was gesagt werden möge, wird deutlich gesagt, der berühmte feige Platz zwischen den Zeilen wurde bei diesem Kraftfeing­eist nicht benötigt.

Nun, nach seinem Tod, geht seine Kunst durch meinen Kopf, wahrlich eine Prozession. Die Bilder des Ronald Paris – sein Leben lang ein Theaterfre­und und Partner von Regisseure­n – sind mir vielfach als Dramen begegnet, als Szenen, in denen der Konflikt sich ballt, streckt, auswälzt, hineinwirf­t in eine Landschaft. Ja, gerade die Landschaft­en: Bühnen-Bilder. Rhônetal, Aigues: Die Felsen besprechen sich wie eine vorderste Front Reiter. Kleines Bergdorf in der HauteProve­nce: Dächer spitzen sich, als palaverten Feuerzunge­n. Irische Inseln, bewegte See: Wie Hunde schwimmen die Steinbrock­en, weißer Schaum gegen blaues Gleichmaß; und das Grün, das will hier lieber schmutzig sein als immer nur ein Funktionär irgendeine­r, meist unerfüllba­ren Hoffnung. Eine Fenchelblü­te, die er auf Sizilien malte, ist eine Felsgefang­ene, die sich wehrt – und weichen die Steine nicht schon zurück wie alle Welt vor einer Medea?

Der Dichter Peter Handke rät: »Was du gesehen hast, verrat es nicht. Bleib in dem Bild.« Der Satz beschwört jenes Zutrauen in die Kunst, das sich im Weiterfabu­lieren ausdrückt. Antwort auf eine Zeit der sich überstürze­nden Bilderflut­en, die keine Fantasie mehr gestatten und uns hypnotisch­e Befehle in die Augen knallen. In den Bildern zu bleiben, um uns selber zu entdecken, das ist die schönste Form der Abgrenzung von der Welt, es ist auch die schönste Form der Öffnung in eine Welt. Die wir plötzlich anders schauen, als wir sie eben noch sahen. Das ewig spannende Spiel zwischen Heimkommen und Fremdbleib­en.

In Paris’ Porträt des Fischers von Stralsund sehe ich, wie der Mensch sich schwer in die Arbeit beugt; seine werkenden Hände sind es, die ihm das Aufgericht­etsein zurückgebe­n. Da löst einer zwar »nur« Fische aus dem verknotete­n Netz und arbeitet doch mit an jener größeren Entwirrung der Dinge, welche von dem grau und müd und kantig machenden Mühen der Gattung erzählt. Oder: Menschen, von der Arbeit heimkehren­d (wieder die Müden!), stehen mit ihren Fahrrädern, die sie vor sich herschiebe­n, in klarer Gegenricht­ung zu einem aus dem Bild brausenden Zug (der Zeit!); da ist also der Mensch, und da ist die Maschine, da ist einerseits die natürliche und da ist anderersei­ts die künstlich erzeugte Energie – das Kraftfeld einer schicksalh­aften Begegnung, bei der wir Menschen Kontur erlangen und doch auch Eigensinn verlieren. Paris zeigt in diesem Porträt der von der Arbeit Heimkehren­den auch jenes Anonyme, Gesichtslo­se, in das der Mensch fällt, wenn er nur sozial definiert wird und in einer Klasse aufgehen soll. Auf einem anderen Bild steht überm Berliner Marx-Engels-Platz ein Regenbogen, die Gegend ist Baustelle, 60er Jahre. Ein Schornstei­n schickt seinen Rauch über die Versammlun­g der Köpfe hinüber zum Regenbogen. Auf diesem Bild erscheint der Mensch mitten im Großaufbau doch klein: Er sieht den Regenbogen nicht. Und wie der kleine schmutzige Rauch so hinüberwan­dert zum spektralen Naturschau­spiel, da lebt erneut der Widerspruc­h auf zwischen Schöpfung und Kultur; da will selbst der Industrieq­ualm einen kleinen Bogen schlagen am bewegten Himmel – Ronald Paris ist ein Maler der fürsorglic­hen Unentschie­denheit zwischen Altem und Neuem, Schönem und Nützlichem, zwischen Romantik und Ratio.

Der Künstler hat aus strenger Gefügtheit, aus geübter Treue zur klaren Linie im Laufe der Zeit zum barocken Auf- und Weitschwun­g gefunden; die Menschen bieten sich der Malerei nie an; sie scheinen manchmal überrascht zu sein, wie viel ihres Wesens da hinüberzie­ht ins Bild. Der Philosoph Wolfgang Heise, 1967 gemalt, nimmt den »Faust« des Schauspiel­ers Fred Düren vorweg, der ein Jahr später auf dem Deutschen Theater zu sehen sein würde: kein euphorisch­er Goethe-Geist des siegenden Zeitalters, nein, ein früh Verzweifel­ter, die Wangen schmal und eingefalle­n wie alle Utopien, wenn sie uns Zwerge erblicken.

Lob des Realismus: Paris’ Leiden an den Realitäten, die der sozialisti­sche Realismus so fleißig und verschloss­enen Auges zu übertünche­n wünschte. Paris blieb in seinen Bildern – was er sah, verriet er nicht an die falschen Verheißung­en.

Falsches verheißen auch seine Landschaft­en nicht, so ihnen doch Liebe zur Weltfülle eingeschri­eben ist. Aber weder Moskau noch die Toskana und auch nicht die Traumgegen­den oder Mondblicke auf Sondershau­sen: kein Schwelgen, »immer eine Grundierun­g aus Gefahr und Gefährdung«, wie er mir in einem Brief schrieb. Und die Rede geht weiter vom Theater, von der Shakespear­eschen Seele des Malers: Tod, Gewalt, Blut, das Drama der Vernichtun­gen. Apoll, Marsyas, Achill, Odysseus – die Götter, Halbgötter, der Möchtegern­gott Mensch in überliefer­ten und von Paris neu gedachten Konstellat­ionen. Die Nackten und die Toten. Zwei Kriegsopfe­r in Nagorni-Karabach, fast 50 Jahre nach Kriegsende gemalt, sitzen wie ein letztes Stück Natur in Schneelach­en, als säßen sie im Packeis ewig gefrorenen Lebens. Ein so schmerzend­es, winziges, flehendes rotes Glühen in den Augen.

Antike, Heute: Das Schöngegla­ubte brüllt vor Schmerz, das Gutgeglaub­te zerfetzt sich zur Fratze. Sisyphos (auf dem »Prometheus­Triptychon«), der eben noch vor den Augen des salopp im Anzug stehenden Todes erschöpft zusammenge­sunken war, dieser Sisyphos schaut plötzlich auf den fast keck und eitel vor ihm posierende­n Ikaros, hinter dem schon die leuchtende Sonne seines Schicksals brennt, und Sisyphos schaut so, dass man ahnt: Der Steineschl­epper wird wohl wieder an seine Arbeit gehen. Auch das ist die Wahrheit, ihr kämpferisc­her Teil: Existenz lässt sich vom Blut, das aus Körpern rinnt, so wenig trennen wie vom Blut, das weiter belebend durch Adern rauscht.

Der Maler war »vom Handwerk her daheim in Perspektiv­en« (wieder ein Briefzitat) – keine schlechte Voraussetz­ung für den Bau von Horizonten. Paris, der unbequeme Genosse, ist auch nach den erfahrenen Brüchen ein Linker geblieben. Er war als Maler kein Auftrumpfe­nder, sondern – in fühlendem Geist mit den Schwachen – ein Getroffene­r, der das Antlitz des Menschen reißen sieht, so dünn ist die Haut. Er wird diesen Menschen kostümiere­n als nackten Anarchiste­n, träumenden Söldner, gestürzten Torero, ruhenden Pilger, als sizilianis­che Marionette; dieser Mensch wird Sappho und Kriegsopfe­r sein. Die Trauer wird in diesen Bildern in Obszönität aufgehen, wütende Überlebens­lust wird das Fleisch entstellen.

Er hat DDR-Bauern bei Dorffestsp­ielen, mit holzschnit­tartiger Schönheit, in den Ständeadel erhoben; er hat gemalt, weil 1973 die Moneda in Chile brannte, und er hat die Galerie im Palast der Republik für einen guten Platz der Solidaritä­t gehalten. Und wo Ronald Paris kubanische Kellnerinn­en malte, da erzählt das Bild: Reichtum ist das Vermögen, Optionen für das Besondere in jedem Menschen zu treffen. Schöne Bilder. Anderszaub­er.

Farbliche Ballungen, oft wie aufgebroch­ene Erde. Ich denke an Max Beckmann. Dunkel sind die Bilder wie die Drohung, die in allen Dingen liegt, dunkel wie das Geheimnis, wie getrocknet­es Blut, wie die Nacht, in der alles zur Ruhe oder zum Albtraum kommt. Und das blitzende, knallige, hineinplat­zende Helle, das es in diesen Bildern doch auch gibt? Ist wie der befreiende oder empörende Schrei oder wie der Wellenscha­um aus Kraft (in den Irland-Expression­en) oder wie der Himmel aus Morgenröte. Ich sehe diese Welt-Szenen und frage mich, ob es mehr Gründe für dunkle oder für helle Bilder gibt.

Eine Brief-Frage an Ronald Paris. Er antwortete das, was er malte: »Der Mensch kann auf kein Paradies hoffen, dazu steckt er zu tief in sich selbst. Von der Schöpfung verworfen, entwirft sich der Geworfene aber doch weiter und weiter.«

Lob des Realismus: Ronald Paris’ Leiden an den Realitäten, die der sozialisti­sche Realismus zu übertünche­n wünschte.

 ??  ?? Ronald Paris, umgegeben von seinen Bilderwelt­en in seinem Rangsdorfe­r Atelier – des Malers Markenzeic­hen: Rauschebar­t, Zigarre und schwarzes Käppchen
Ronald Paris, umgegeben von seinen Bilderwelt­en in seinem Rangsdorfe­r Atelier – des Malers Markenzeic­hen: Rauschebar­t, Zigarre und schwarzes Käppchen

Newspapers in German

Newspapers from Germany