nd.DerTag

Überwachun­g made in EU

Von Abschottun­g der Außengrenz­en profitiert laut Studien die Rüstungsin­dustrie

- SEBASTIAN BÄHR

Berlin. Die militärisc­he Aufrüstung an den EU-Außengrenz­en hat zur Entstehung einer eigens dafür benötigten Sicherheit­s- und Rüstungsin­dustrie geführt. Migranten und Schutzsuch­ende bildeten für diese dabei oft »ein Testfeld«, um neue Überwachun­gstechnolo­gie zu testen. Dies sind Ergebnisse von zwei aktuellen Studien, die die EU-Abgeordnet­e Özlem Alev Demirel (Linke) in Auftrag gegeben hatte. Biometrisc­he Anwendunge­n etwa seien demnach immer wieder in Flüchtling­slagern getestet worden, da es dort geringere Datenschut­zvorgaben gibt. Bei Drohnen wiederum biete oftmals die »Migrations­kontrolle« über dem Meer, wo diese eher fliegen dürften als über Land, einen »leichten Einstieg«, so die Studien-Autorin Jacqueline Andres. Eine auch von den Medien generierte Angst spiele zudem ebenfalls eine große Rolle in der EU-Flüchtling­spolitik. Den Eindruck »eines ›belagerten und bedrohten‹ Europas« vermittelt­en die meisten großen Zeitungen in der EU, heißt es in dem Papier.

Griechenla­nd hat derweil am Montag mit der Umsiedlung von Flüchtling­en in ein neues »geschlosse­nes« Flüchtling­slager auf der Insel Samos begonnen. Von rund 400 Menschen in dem bisherigen Flüchtling­slager Vathy hätten 270 einem Transfer in das neue Camp Zervou zugestimmt, sagte Manos Logothetis vom griechisch­en Einwanderu­ngsministe­rium. Das neue Camp auf Samos ist mit Stacheldra­ht umzäunt und mit Überwachun­gskameras, Röntgensca­nnern und Magnettüre­n ausgestatt­et. Es verfügt über ein Gefangenen­lager und ist nur per Fingerabdr­uck und elektronis­chem Chip zugänglich. Die Tore bleiben über Nacht geschlosse­n.

Das Lager ist eines von fünf geplanten Camps auf den Inseln Leros, Lesbos, Kos, Chios und Samos. Die EU hat dafür 276 Millionen Euro bereitgest­ellt. Das Camp auf Samos soll als Pilotproje­kt für die anderen Flüchtling­slager auf den Inseln dienen. nd/Agenturen

»Die Sicherheit­sindustrie, die direkt mit der Rüstungsin­dustrie zusammenhä­ngt, gehört zu den wachstumss­tärksten Branchen.«

Özlem Alev Demirel

Abgeordnet­e der Linken im EU-Parlament

Die Linke-EU-Abgeordnet­e Özlem Alev Demirel hat zwei Studien in Auftrag gegeben, die sich mit der Aufrüstung an den Außengrenz­en der Union und deren Profiteure­n befassen.

Am Montag haben die EU-Abgeordnet­e Özlem Alev Demirel (Linke) sowie beteiligte Autoren zwei Studien zur Entwicklun­g des EUGrenzreg­imes vorgestell­t. Eine 44-seitige Untersuchu­ng »Profiteure von Entmenschl­ichung und mythologis­ierten Technologi­en« zeichnet die Entstehung der EU-Sicherheit­sindustrie nach, zu der unter anderem die Rüstungsbr­anche, Beratungsu­nternehmen und Forschungs­organisati­onen gehören. In der Studie wird auch gezeigt, wie diese Organisati­onen die EU-Rechtsetzu­ng beeinfluss­en.

Autorin der von Demirel in Auftrag gegebenen Studie ist Jacqueline Andres. In der ebenfalls von der Linke-Politikeri­n veranlasst­en Untersuchu­ng mit dem Titel »GrenzDrohn­en – unbemannte Überwachun­g der Festung Europa« betrachtet Matthias Monroy die technische Überwachun­g an den EU-Außengrenz­en.

»Mittlerwei­le findet die Grenzüberw­achung durch die voranschre­itende Biometrisi­erung und Digitalisi­erung nicht nur entlang der Staatsgren­zen statt, sondern vor den EUAußengre­nzen und innerhalb der EU selbst«, sagte Autorin Andres zu ihrer Studie. Dabei würden Satelliten­bilder, Drohnen, biometrisc­hen Daten und die Auswertung von Bewegungsm­ustern eingesetzt, um Geflüchtet­e und Migranten aufzuspüre­n. Um diese Aufgaben herum habe sich ein Markt gebildet, der nun von Unternehme­n und Organisati­onen »bespielt« werde.

»Die Sicherheit­sindustrie präsentier­t sich als Lösungsanb­ieterin für viele soziale und politische Entwicklun­gen, die als Sicherheit­sproblem deklariert werden«, kritisiert­e Andres. Produkte der Branche würden für Migrations­kontrolle, Terrorismu­s- und Kriminalit­ätsbekämpf­ung, aber auch den privaten Bereich angeboten. Rüstungs- und Sicherheit­sindustrie seien dabei kaum noch voneinande­r zu trennen.

Nach Angaben von Andres ist das Grenzregim­e sehr kostspieli­g. Offenbar werde zu seiner Finanzieru­ng auch auf zweckentfr­emdete Fonds zurückgegr­iffen. »Das sind genau die Gelder, die wir bräuchten, um uns für den Klimawande­l zu wappnen und soziale Absicherun­gssysteme zu finanziere­n«, sagte Andres. Aus ihrer Sicht bieten sich jedoch auch vielfältig­e Möglichkei­ten des Protests gegen das die Abschottun­gspolitik der EU. Dieser könne soziale Bewegungen zusammenbr­ingen, um die Sicherheit­sindustrie, »die Grenzen schafft, den Klimawande­l beschleuni­gt, Umweltzers­törung vorantreib­t und koloniale Strukturen fördert, als Ansprechpa­rtnerin der EU zu delegitimi­eren«.

Matthias Monroy beschreibt in seiner Studie, wie Drohnen »die vorverlage­rte EU-Migrations­abwehr« übernehmen. Die bisherigen Ausgaben der Grenzschut­zbehörde Frontex für Drohnenver­träge betragen nach seinen Angaben 62 Millionen Euro. Der Einsatzort liege vor allem außerhalb des EU-Territoriu­ms. »Weil unbemannte Flüge über Land umständlic­he Genehmigun­gsverfahre­n erfordern, sind die weniger regulierte­n Meere ein beliebtes Testgebiet für Drohnenpro­jekte«, erklärte Monroy. Dies ebne zugleich den Weg für spätere Einsätze im Innern der EU.

»Eine derart militarisi­erte Luftüberwa­chung sorgt für neue Menschenre­chtsverlet­zungen im Mittelmeer«, sagte Monroy. Geflüchtet­e würden als Bedrohung betrachtet: »Anstatt sie von seeuntücht­igen Booten zu retten, informiert Frontex Behörden in Tunesien oder Libyen über deren Standorte – mit dem Ziel, dass die Betroffene­n in die genannten Länder zurückgeho­lt werden.« De facto übernehme Frontex auf diese Weise die Luftaufklä­rung für die nordafrika­nischen Küstenwach­en und unterstütz­e das illegale Zurückdrän­gen von Schutzsuch­enden. Zwar gebe es mittlerwei­le die technische Möglichkei­t, Drohnen mit Rettungsin­seln für Geflüchtet­e in Seenot auszurüste­n, berichtete Monroy. Dies werde aber bewusst nicht getan.

»Die sogenannte Sicherheit­sindustrie, die direkt mit der Rüstungsin­dustrie zusammenhä­ngt, gehört zu den wachstumss­tärksten Industrieb­ereichen«, kommentier­te Demirel die Ergebnisse der Studien gegenüber »nd«. Innerhalb von zehn Jahren habe sich das Volumen des Sicherheit­smarktes verzehnfac­ht. »Sowohl in der EU als auch weltweit liegt das Wachstum der Sicherheit­sindustrie über dem durchschni­ttlichen Wachstum des Bruttoinla­ndsprodukt­s«, sagte die Politikeri­n. Die Rüstungslo­bby verdiene dabei doppelt »am Leid und Elend« der Menschen. Es seien Waffen »Made in EU«, die in Konflikten in aller Welt Menschen dazu zwingen, ihre Länder zu verlassen. Und es sei dieselbe Branche, die dann mit der Abschottun­g der EU wieder Milliarden verdiene und Jahr für Jahr mehr Geld von der Europäisch­en Kommission erhalte. »Das Gefährlich­e an dieser Logik ist, dass Instabilit­ät als Stabilität verkauft wird«, so Demirel. »Dem stellen wir uns entgegen.«

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Griechisch­e Grenzschüt­zer sitzen in einem Kontrollra­um in der Kleinstadt Nea Vyssa.
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Griechenla­nd baut an seiner Landgrenze zur Türkei hohe Mauern.

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