Widerstand gegen Veränderungen
Algeriens Ex-Präsident Bouteflika hinterlässt ein gegen Kritik abgeschottetes politisches System
Nur eine kleine Zeremonie war dem algerischen Staat das Begräbnis des ehemaligen Staatspräsidenten Abdelaziz Bouteflika wert, galt er doch als Sinnbild eines allgegenwärtigen korrupten Systems.
Abdelaziz Bouteflika war der Phantom-Präsident, nachdem er 2013 einen Schlaganfall erlitten hatte. Dieses Phantom stand jedoch formell einem autoritären Staatsapparat vor, der auch heute noch mit harter Hand regiert wird. So wurde erst vor wenigen Tagen ein Reporter der französischsprachigen Zeitung Liberté inhaftiert. Der Vorwurf: Mitgliedschaft in einer »terroristischen Organisation« und Verbreitung falscher Informationen. Die algerische Regierung hat im vergangenen Jahr die Verbreitung von »Falschnachrichten«, die ihrer Ansicht nach die nationale Einheit gefährden, unter Strafe gestellt.
Diese Zustände haben auch mit Bouteflikas politischem Erbe zu tun. Seine Kritiker werfen ihm vor, keinerlei Reformen im politischen System, in Bildung und Gesundheitswesen auf den Weg gebracht und das Land genauso wenig aus der wirtschaftlichen und finanziellen Abhängigkeit von Erdöl und Erdgas geführt zu haben. Am Ende seiner Amtszeit 2019 stand er für Stagnation und ein korruptes System, das für seine Gefolgsleute zu einer regelrechten Plünderungsmaschine wurde. Im Gegensatz zu Letzteren blieb er bis zu seinem Tod von der Justiz unangetastet. Damit bleibt eine der Forderungen der 2019 entstandenen Protestbewegung gegen die seit der Unabhängigkeit 1962 bestehenden Machtzustände unerfüllt. Für den ehemaligen Diplomaten und regierungskritischen Politiker Abdelaziz Rahabi gehörte Bouteflika zu den »Mitbegründern des politischen Systems, das durch Autoritarismus, Korruption und den ihm innewohnenden Widerstand gegen jede Form von Veränderung und Moderne geprägt ist.«
Einst als mächtiger Präsident umjubelt, hatte er sich als die »Inkarnation des algerischen Volkes« bezeichnet. 20 Jahre lang hatte Abdelaziz Bouteflika die Funktion inne, bis er vor zweieinhalb Jahren unter dem Druck der Armeeführung und von Massenprotesten gegen ein fünftes Mandat zurücktreten musste. Eigentlich wollte er das Amt auf Lebenszeit ausüben und hatte dafür die Verfassung per Dekret geändert.
Seit seinem Sturz tauchte sein Name nur noch im Zusammenhang mit Gerichtsverfahren gegen Politiker und Oligarchen auf, die dank seiner reich und mächtig geworden waren. So wurden für den toten Ex-Präsidenten denn auch nicht die sonst übliche mehrtägige Staatstrauer anberaumt und sein Begräbnis am vergangenen Sonntag auf eine kurze Staatszeremonie beschränkt. Aus der Bevölkerung kamen nur einige Dutzend Menschen auf den Ehrenfriedhof »El Alia«. Die übergroße Mehrheit nahm den Tod Bouteflikas lediglich zur Kenntnis. Schon seit 2013 war dieser für sie eher ein Phantom, da – von den Folgen eines Schlaganfalls schwer gezeichnet – kaum noch in der Öffentlichkeit zu sehen. Er war an den Rollstuhl gefesselt und konnte nicht mehr sprechen. Zuletzt war er bei offiziellen Veranstaltungen nur noch in Gestalt eines großen Porträts »anwesend«, dem seine Anhänger huldigten. Große Teile der Bevölkerung empfanden es jedoch als demütigend und würdelos, dass ihr Land von einem sichtlich schwer kranken Präsidenten geführt wurde und sahen darin das Sinnbild für ein starres, abgewirtschaftetes System.
Aufstieg und Fall hatten auch zuvor das Leben von Abdelaziz Bouteflika geprägt. 1937 im nordostmarokkanischen Oujda geboren, schloss er sich 1956 dem Kampf gegen die Kolonialmacht Frankreich an. Im unabhängigen Algerien wurde er Minister für Jugend und Sport und 1963 mit nur 26 Jahren zum jüngsten Außenminister der Welt ernannt. Als begnadeter Redner avancierte er zum international anerkannten Chefdiplomaten des jungen Algerien, das damals als wichtiger Unterstützer von Befreiungsbewegungen galt und eine führende Rolle in der Blockfreienbewegung einnahm. Seine erste Karriere als Politiker endete wegen Vorwürfen der Veruntreuung von Millionen US-Dollar. Erst 1999 kam er auf Drängen der Militärführung auf die politische Bühne zurück und erntete zuerst viel Sympathie. Er ließ Wohnungen bauen, erhöhte die Gehälter für Staatsbeamte und gab jungen Leuten Kredite. International führte er Algerien aus der Isolation, in die es in den 1990er Jahren wegen des blutigen Konflikts zwischen islamistischen Extremisten und Staatsmacht geraten war. Innenpolitisch beruhigte er die Lage durch eine Amnestie für alle an diesem Konflikt Beteiligten. Allerdings werfen ihm seine Kritiker vor, dass damit eine allgemeine Straffreiheit einherging.