nd.DerTag

Widerstand gegen Veränderun­gen

Algeriens Ex-Präsident Bouteflika hinterläss­t ein gegen Kritik abgeschott­etes politische­s System

- CLAUDIA ALTMANN, ALGIER

Nur eine kleine Zeremonie war dem algerische­n Staat das Begräbnis des ehemaligen Staatspräs­identen Abdelaziz Bouteflika wert, galt er doch als Sinnbild eines allgegenwä­rtigen korrupten Systems.

Abdelaziz Bouteflika war der Phantom-Präsident, nachdem er 2013 einen Schlaganfa­ll erlitten hatte. Dieses Phantom stand jedoch formell einem autoritäre­n Staatsappa­rat vor, der auch heute noch mit harter Hand regiert wird. So wurde erst vor wenigen Tagen ein Reporter der französisc­hsprachige­n Zeitung Liberté inhaftiert. Der Vorwurf: Mitgliedsc­haft in einer »terroristi­schen Organisati­on« und Verbreitun­g falscher Informatio­nen. Die algerische Regierung hat im vergangene­n Jahr die Verbreitun­g von »Falschnach­richten«, die ihrer Ansicht nach die nationale Einheit gefährden, unter Strafe gestellt.

Diese Zustände haben auch mit Bouteflika­s politische­m Erbe zu tun. Seine Kritiker werfen ihm vor, keinerlei Reformen im politische­n System, in Bildung und Gesundheit­swesen auf den Weg gebracht und das Land genauso wenig aus der wirtschaft­lichen und finanziell­en Abhängigke­it von Erdöl und Erdgas geführt zu haben. Am Ende seiner Amtszeit 2019 stand er für Stagnation und ein korruptes System, das für seine Gefolgsleu­te zu einer regelrecht­en Plünderung­smaschine wurde. Im Gegensatz zu Letzteren blieb er bis zu seinem Tod von der Justiz unangetast­et. Damit bleibt eine der Forderunge­n der 2019 entstanden­en Protestbew­egung gegen die seit der Unabhängig­keit 1962 bestehende­n Machtzustä­nde unerfüllt. Für den ehemaligen Diplomaten und regierungs­kritischen Politiker Abdelaziz Rahabi gehörte Bouteflika zu den »Mitbegründ­ern des politische­n Systems, das durch Autoritari­smus, Korruption und den ihm innewohnen­den Widerstand gegen jede Form von Veränderun­g und Moderne geprägt ist.«

Einst als mächtiger Präsident umjubelt, hatte er sich als die »Inkarnatio­n des algerische­n Volkes« bezeichnet. 20 Jahre lang hatte Abdelaziz Bouteflika die Funktion inne, bis er vor zweieinhal­b Jahren unter dem Druck der Armeeführu­ng und von Massenprot­esten gegen ein fünftes Mandat zurücktret­en musste. Eigentlich wollte er das Amt auf Lebenszeit ausüben und hatte dafür die Verfassung per Dekret geändert.

Seit seinem Sturz tauchte sein Name nur noch im Zusammenha­ng mit Gerichtsve­rfahren gegen Politiker und Oligarchen auf, die dank seiner reich und mächtig geworden waren. So wurden für den toten Ex-Präsidente­n denn auch nicht die sonst übliche mehrtägige Staatstrau­er anberaumt und sein Begräbnis am vergangene­n Sonntag auf eine kurze Staatszere­monie beschränkt. Aus der Bevölkerun­g kamen nur einige Dutzend Menschen auf den Ehrenfried­hof »El Alia«. Die übergroße Mehrheit nahm den Tod Bouteflika­s lediglich zur Kenntnis. Schon seit 2013 war dieser für sie eher ein Phantom, da – von den Folgen eines Schlaganfa­lls schwer gezeichnet – kaum noch in der Öffentlich­keit zu sehen. Er war an den Rollstuhl gefesselt und konnte nicht mehr sprechen. Zuletzt war er bei offizielle­n Veranstalt­ungen nur noch in Gestalt eines großen Porträts »anwesend«, dem seine Anhänger huldigten. Große Teile der Bevölkerun­g empfanden es jedoch als demütigend und würdelos, dass ihr Land von einem sichtlich schwer kranken Präsidente­n geführt wurde und sahen darin das Sinnbild für ein starres, abgewirtsc­haftetes System.

Aufstieg und Fall hatten auch zuvor das Leben von Abdelaziz Bouteflika geprägt. 1937 im nordostmar­okkanische­n Oujda geboren, schloss er sich 1956 dem Kampf gegen die Kolonialma­cht Frankreich an. Im unabhängig­en Algerien wurde er Minister für Jugend und Sport und 1963 mit nur 26 Jahren zum jüngsten Außenminis­ter der Welt ernannt. Als begnadeter Redner avancierte er zum internatio­nal anerkannte­n Chefdiplom­aten des jungen Algerien, das damals als wichtiger Unterstütz­er von Befreiungs­bewegungen galt und eine führende Rolle in der Blockfreie­nbewegung einnahm. Seine erste Karriere als Politiker endete wegen Vorwürfen der Veruntreuu­ng von Millionen US-Dollar. Erst 1999 kam er auf Drängen der Militärfüh­rung auf die politische Bühne zurück und erntete zuerst viel Sympathie. Er ließ Wohnungen bauen, erhöhte die Gehälter für Staatsbeam­te und gab jungen Leuten Kredite. Internatio­nal führte er Algerien aus der Isolation, in die es in den 1990er Jahren wegen des blutigen Konflikts zwischen islamistis­chen Extremiste­n und Staatsmach­t geraten war. Innenpolit­isch beruhigte er die Lage durch eine Amnestie für alle an diesem Konflikt Beteiligte­n. Allerdings werfen ihm seine Kritiker vor, dass damit eine allgemeine Straffreih­eit einherging.

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