Mit ihrer Inszenierung von Arthur Millers »Hexenjagd« am Berliner Ensemble hält Regisseurin Mateja Koležnik der Gesellschaft höchst eindrucksvoll den Spiegel vor
MZeigefinger zu erklären und in Überdeutlichkeit zu präsentieren. Stattdessen konzentriert sie sich darauf, die feine Psychologie in dem Text zu ihrer Geltung auf der Bühne zu verhelfen. Und Koležnik, immerhin eine der fähigsten Regiehandwerkerinnen, deren Kunst man zurzeit im Theater zu sehen bekommt, hat damit Erfolg. Raimund Orfeo Voigt (Bühne) und Ana Savić-Gecan (Kostüme) verleihen der Inszenierung eine Ausstattung, die in unbekannte Zeit verweist. Einzelne Attribute rufen die Entstehungszeit des Dramas auf den Plan, andere verweisen auf eine vielleicht nicht allzu ferne Zukunft. Zwei große Flügeltüren stehen im Zentrum dieses hyperrealistischen Bühnenbildes. Mal geöffnet, mal verschlossen geben sie uns sehr begrenzt Einblick in den ebenfalls bespielten Raum dahinter. Wo sind wir hier? Eine Mischung aus Turnhalle, Warteraum und Gerichtssaal zeigt sicht uns. und öffentlichem Raum. Im Programmheft legt Koležnik die Orientierung an filmischen Arbeiten offen. »Die Spielweise und Atmosphären im Film inspirieren mich«, führt sie aus. Sollte sie ein Filmgenre für »Hexenjagd« benennen, so hieße es »Political Thriller«.
Dieser »Political Thriller« macht deutlich, wie die Denunziationsspirale ihren Lauf nimmt, wie Hysterie nicht die Neurose des Einzelnen bleibt, sondern zum gesamtgesellschaftlichen Symptom anwächst. Für Koležnik, so ist weiter zu lesen, ist »das Böse« nicht die große Charaktereigenschaft, die eine ganze Persönlichkeit einnimmt, sondern sie sieht es mit Miller in einer Motivverkettung von »Feigheit, Naivität, Witz, vielleicht etwas Abgehobenheit usw.«. All das ist in dem Stück schon angelegt, wo uns die Gesellschaft der öffentlichen Anklage in ihrer Perversität vor Augen geführt wird. Die Hexenjagd begegnet uns auch als eine Art Generationenkonflikt. Die Jüngeren versuchen sich vor der strafenden Kontrolle zu schützen, in der Folge kehrt sich dieses Verhältnis um. Die Frage danach, wie man mit unerklärlichen Phänomenen umgehen kann, wird uns in dem Stück verdeutlicht. Der verquere Mechanismus von Bekenntnis, Verleumdung und Vergebung wird außerdem als Ersatzhandlung erkennbar, mittels derer die realen Konflikte nicht ausagiert werden.
Was ist das für eine Gesellschaft, gezeichnet von Angst und Schrecken, die uns da performativ dargeboten wird? Kein gesetzloses Land, kein faschistischer Gottesstaat. Wir haben es mit einer Gesellschaft zu tun, die irgendwo in der Aufklärung stecken geblieben ist und nun am Übergang steht zur Verneinung jeglicher Vernunft bei Installierung einer simplen, aber schwer zu unterlaufenden Logik der Schuldzuweisung.
»Hexenjagd« ist – nachdem sie 2017 »Nichts von mir« und im vergangenen Jahr »Gespenster« von Henrik Ibsen an dem Haus in Szene gesetzt hat – die dritte Arbeit von Mateja Koležnik am Berliner Ensemble. In diesem fast zweistündigen Theaterabend hält sie dem Publikum höchst eindrucksvoll den Spiegel vor. Ohne dass die Parallelen ausformuliert würden, sieht man mit der Inszenierung
die Welt etwas klarer. Ist Millers Salem nicht das Twitter der Vergangenheit? Haben wir es hier nicht mit Shitstorms ganz anderer Art zu tun? Ist die Verhandlung politischer Problemlagen, wie sie uns heute begegnen – von identitätspolitischen Debatten bis zur Klimakrise –, nicht schon dadurch gefährdet, dass ein System von Vorführung und Beschämung, persönlichem Bekenntnis und persönlichem Verrat Einzug gehalten hat? Das beklemmende Gefühl jedenfalls, das diese Theaterinszenierung erzeugt, ist höchst lehrreich. Sichtlich beeindruckt und nach energischem Applaus verlässt auch das Premierenpublikum den Saal.
Gibt es den einen Grund für das Gelingen eines Theaterabends, wie ihn diese erstaunliche Inszenierung von »Hexenjagd« darstellt? Wohl eher nicht. Aber wollte man sich an einer Antwort versuchen, so müsste zuallererst das genaue Gespür der Regisseurin und das Talent, die Vielzahl an Figuren auf der Bühne zu arrangieren, benannt werden. Das schauspielerische Vermögen derjenigen, die hier zu erleben sind, darf nicht unterschlagen werden. Unter den vielen Darstellern seien Marc Oliver Schulze in der Rolle des John Proctor genannt, Bettina Hoppe als dessen Frau Elizabeth und Oliver Kraushaar als versehrter Thomas Putnam. Nicht zuletzt sei darauf verwiesen, dass es sich bei Arthur Millers Drama um ein zeitdiagnostisches Stück handelt, das nicht nur Aufschluss über die USA der 50er Jahre zu geben vermag, sondern das Einblick gewährt in die Abgründe allgemeinmenschlicher Verhaltensweisen. Das Böse hat er kunstfertig entmystifiziert und als Teil von uns offengelegt.