Paul Werner Wagner und Hans-Dieter Schütt besprechen die Defa: »Lebens Licht und Lebens Schatten«
Schütt nennt Wagner einen »Wohlfühlmoderator«, was wohl meint, dass Wagner eine ihm unerklärliche Abneigung gegen die verbale Zuspitzung besitzt. Er lässt seinem Gegenüber jeden Raum, den dieser braucht, um sein Anderssein im Gespräch entwickeln zu können. Der eine erweist sich als der geborene Anti-Ideologe, der andere kämpft täglich mit der Versuchung, im Gegenüber einen Gegner zu sehen.
Nur ganz am Rande erwähnt Wagner jene Zeit, die er nach versuchter Republikflucht im Gefängnis verbrachte. Wie würden andere, die ihn wegen seines Defa-Themas einen Nostalgiker nennen, mit diesem erlittenen Unrecht hausieren gehen! Wagner jedoch genügt es, Licht- und Schattenseiten des verschwundenen Staates zu verstehen. In diesem Racheverzicht liegt eine Noblesse, die – jenseits eigener Betroffenheit – erst sehend macht. Doch dann ist es Schütts Frage-Furor, der ganz am Ende des Buches von Wagner die Antwort auf die eigentlich unbeantwortbare Frage nach dessen Defa-Lieblingsfilm tatsächlich bekommt und das gleich dreifach: »Sterne« (von Konrad Wolf), »Karla« (von Herrmann Zschoche) und »Märkische Forschungen« (von Roland Gräf).
Das Buch versammelt 15 Gespräche Wagners mit Regisseuren wie Kurt Maetzig, Egon Günther, Roland Gräf oder Rainer Simon, mit Schauspielern wie Otto Mellies, Jutta Hoffmann oder Hilmar Thate, Drehbuchautoren wie Ulrich Plenzdorf. Vielgestaltiger, gegensätzlicher geht es kaum – und doch vereint die Beteiligten die sie prägende Arbeit für die Defa.
Egon Günther trieb das System Defa immer wieder an seine Grenze: »Der Dritte« und »Die Schlüssel« sind Wunderwerke, die ganze Seminare zur DDR-Geschichte ersetzen. Vorausgesetzt, man lässt sich auf den Bilderfluss ein, den harte Schnitte immer wieder stoppen. Günther sagt es so: »Kunst muss unterwandern. Goethe wusste schon, als er ›Clavigo‹ schrieb: Eine behauptete Freiheit stimmt meist nicht, Gesellschaft bedeutet immer auch Enge, und stets entsteht mehr Herrschaft, als den Menschen guttut.«
Doch dieser Versuch, mittels Kunst den Horizont zu erweitern, gelang nur halb. Die Funktionäre schalteten sofort in Kampfmodus um, wenn ihnen etwas über den Horizont ging, wie Ulbricht, der samt seiner Frau Lotte und Hofstaat die Premiere von Günthers Verfilmung von Johannes R. Bechers Roman »Abschied« kam – um sie dann vor Filmbeginn bereits wieder zu verlassen, weil ihm darin zu viel Antimilitarismus und Obrigkeitsstaatsverweigerung war. Günther galt nach dieser Becher-Verfilmung als »Jugendverderber« und durfte ein Jahr nicht arbeiten. Er sagt im Rückblick: »Aufgezwungene Pausen waren für mich auch Zeiten der Besinnung, ich habe Bücher geschrieben.«
Durch die Gespräche zieht sich ein roter Faden: Hochschätzung der Kunst geht einher mit der Furcht vor ihrer Ideologie-zersetzenden Kraft. Roland Gräf etwa zeigt sich im Gespräch immer noch erstaunt, dass die Zensur vor seiner Verfilmung von Günther de Bruyns »Märkische Forschungen« (1982) die Augen fest verschloss: Großtheoretiker trifft Hobbyhistoriker. Man behandelte den Film nicht als Gegenwartsstoff, sondern als Literaturverfilmung für kleine Kreise. Aber da irrte die Zensur (oder wollte vielleicht auch irren), denn dieser Film traf wie kein zweiter den neuralgischen Nerv der DDR-Gesellschaft am Beispiel der Intellektuellen.
Mehr noch: Gräf sieht an jenem ungleichen Duell des Professors mit dem Dorfschullehrer, bei dem die Wahrheit gar keine Rolle mehr spielt, einen grundsätzlichen Widerspruch aller Gesellschaften: »Immer und überall gibt es diejenigen, die in Diensten der Macht stehen und zu Dogmatikern werden.«
Nach der Wende bestellt der neue Babelsberg-Chef Volker Schlöndorff den Ex-DefaRegisseur und Kameramann Gräf zu sich, um mit ihm über mögliche Projekte zu sprechen. Doch während des Gesprächs absolvierte er einen Fototermin. Gräf: »Es war alles per Du und ganz freundschaftlich und hundsgemein.« Schütt verwandelt diese Auskunft dann in eine paradoxe Sentenz, die gültig bleibt: »Gräfs Filme glauben nicht an den Menschen, sie wissen: Er existiert. Und zwar im Zwickfeld aller nur möglichen Zauber und Entzauberungen.« Wagner und Schütt zeigen mit diesem Buch, wie produktiv Widersprüche sein können, ein Vermögen, dass die DDR am Ende verloren hatte.