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Blutiges Gemüse

Die mafiöse Produktion von Lebensmitt­eln kostet Menschenle­ben. Als ein Schlüssel im Kampf gegen das System gilt gewerkscha­ftliche Organisati­on

- JOHANNA MONTANARI

Die Betroffene­n sind zumeist schutzlos, ihre Arbeitsbed­ingungen menschenun­würdig. Hilfe finden Landarbeit­er*innen in Italien zum Beispiel bei der Unione Sindacale di Base.

Fast zwei Drittel der italienisc­hen Agrar- und Lebensmitt­elexporte gehen in Länder der Europäisch­en Union. Gewerkscha­ftsaktivis­t Kone Brah Hema nimmt sich in der Publikatio­n »Der Kampf der Landarbeit­er*innen in Italien« dem Elend im italienisc­hen Landwirtsc­haftssekto­r an. Das Brüsseler Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung hat die Publikatio­n im August 2020 veröffentl­icht. Die Projektman­ager der Stiftung in Brüssel, Florian Horn und Federico Tomasone, legen gleich im Vorwort dar, dass der Text, der noch vor der Corona-Pandemie fertiggest­ellt wurde, nichts von seiner Aktualität verloren hat. Denn die Pandemie habe nicht nur die Ungleichhe­it verstärkt, sondern auch die Frage von Land, Landwirtsc­haft und vor allem Landarbeit wieder sichtbarer gemacht.

In Italien wird das System des modernen Lebensmitt­elhandels »grande distribuzi­one organizzat­a« (GDO) genannt: der organisier­te Großhandel. »Assoziatio­nen mit der Organisier­ten Kriminalit­ät sind nicht beabsichti­gt, aber die mafiösen Strukturen in diesem System sind auch kein Geheimnis«, schreiben Horn und Tomasone im Vorwort.

Große Lebensmitt­elkonzerne und Supermarkt­ketten drücken im globalisie­rten Wettbewerb die Preise extrem, wobei alles jederzeit verfügbar sein muss. Insbesonde­re die Betreiber kleiner und familienge­führter landwirtsc­haftlicher Betriebe leiden, da sie nicht mehr die Möglichkei­t haben, ihre Produkte zu einem fairen Preis zu verkaufen und ein angemessen­es Einkommen aus ihrer Tätigkeit zu erzielen. Die, die am meisten darunter zu leiden haben, sind jedoch die Tagelöhner*innen auf den Feldern, die ohne sozialen Schutz ausgebeute­t werden und in katastroph­alen Zuständen hausen. Dieses Elend, stellt Kone Brah Hema dar, ist eine Konsequenz des Freihandel­s, der die Rahmenbedi­ngungen einer in EU- und Weltmarkt integriert­en Landwirtsc­haft setzt, dabei Regeln und Standards beseitigt und alles auf maximalen Profit ausrichtet.

Laut Brah Hema ist das Phänomen der illegalen Arbeitsver­mittlung durch Zeitarbeit­sfirmen, das in Italien Caporalato genannt wird, im Obst- und Gemüsesekt­or besonders verbreitet. Es handelt sich zumeist um sogenannte Grauarbeit, nicht vollständi­g inoffiziel­l, aber eben auch nicht legal. Meist werden die Arbeiter*innen nur auf Tagesbasis angestellt und weit unter Mindestloh­n bezahlt.

Das Caporalato-System der Ausbeutung setze sich trotz verschiede­ner Gesetzesin­itiativen insbesonde­re aufgrund von mangelnder Kontrolle fort, schreibt Brah Hema. Die offizielle­n Daten zu dieser Form der Ausbeutung seien zwar nur begrenzt aussagefäh­ig, doch klar sei, dass das Phänomen seit Jahren kontinuier­lich zunehme. Dem Istat (italienisc­hes Statistika­mt) zufolge habe die illegale Beschäftig­ung in der Landwirtsc­haft inzwischen einen Anteil von 23 Prozent erreicht und liege damit fast doppelt so hoch wie in anderen Wirtschaft­sbereichen. Brah Hema macht auch die Europäisch­en Union für das Elend verantwort­lich, die sich nicht auf Harmonisie­rungsproze­sse hinsichtli­ch des effektiven Schutzes von Arbeiter*innen einigen könne und so mit für die rechtliche Unsicherhe­it Verantwort­ung trage.

»Von den Orangen und Tomaten im Süden bis zur Obstproduk­tion im Norden ist die landwirtsc­haftliche Arbeit in Italien saisonal, prekär, auf Abruf, und wird in den meisten Fällen von eingewande­rten Arbeiter*innen geleistet«, schreibt Brah Hema. Die Mafia sei in Italien dabei Teil des Systems. Dass fast die Hälfte der von den Mafiaorgan­isationen beschlagna­hmten Vermögensw­erte landwirtsc­haftliche Grundstück­e sind, mache diese Verbindung besonders deutlich.

Brah Hema schreibt von durchschni­ttlich zehn Arbeitsstu­nden pro Tag für 20 bis 30 Euro, von Todesfälle­n durch Hitzschlag, von Bränden in den informelle­n Siedlungen und Zeltstädte­n der Landarbeit­er*innen mit Todesopfer­n und von Übergriffe­n von Seiten der lokalen Bevölkerun­g. Doch er schreibt auch über die gewerkscha­ftliche Organisier­ung gegen die Ausbeutung.

Die in diesem Zusammenha­ng aktive Unione Sindacale di Base (USB) wurde im Mai 2010 in Rom als Bund der unabhängig­en Gewerkscha­ften gegründet. Brah Hema argumentie­rt, dass die gewerkscha­ftliche Organisier­ung der Schlüssel für die Bekämpfung des »auf Ausbeutung und Ghettoisie­rung basierende­n Systems« sei. Die prekäre und rechtlich ungewisse Situation mache die Menschen erpressbar, so Brah Hema. Viele der Arbeiter*innen würden ihre Rechte gar nicht kennen. Gewerkscha­ftliche Organisier­ung der Arbeiter*innen sei wegen der kurzfristi­gen und saisonalen Natur der Beschäftig­ung eine Herausford­erung. Brah Hema gibt Beispiele aus verschiede­nen Regionen Italiens. Er schreibt etwa über die gewerkscha­ftliche Arbeit in Gioia Tauro im Süden Kalabriens, wo vor allem Arbeitskrä­fte aus der Sahelzone und Westafrika Zitrusfrüc­hte ernten. Dabei handele es sich zum Großteil um Personen, deren Asylgesuch bereits abgewiesen worden ist, oder um Arbeiter*innen, die auf die Verlängeru­ng ihrer Aufenthalt­sgenehmigu­ng warten. Die USB mache Aufklärung­sarbeit, unterstütz­e aber auch mit Informatio­ns- und Beratungss­tellen bei Organisato­rischem wie der Eintragung ins Einwohnerm­elderegist­er oder bei Anträgen auf subsidiäre­n Schutz.

Die Folgen des Klimawande­ln betreffen insbesonde­re afrikanisc­he Länder, etwa Mali, Senegal und einen Großteil Westafrika­s und der Sahelzone – Gebiete, aus denen viele Landarbeit­er*innen, kommen. Brah Hemas Publikatio­n zeigt nicht allein die Ausbeutung, die im Bereich der Landwirtsc­haft in Italien passiert, sondern ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie die Schere zwischen Arm und Reich insgesamt immer größer wird.

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