nd.DerTag

Vertane Chance

Stephan Fischer zur Rede von Polens Regierungs­chef vor EU-Parlament

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Polens Premier hatte am Dienstag vor dem EU-Parlament eine große Chance – er hat sie versäumt, falls er sie suchte. Mateusz Morawiecki spannte den ganz großen Bogen vom Urteil des polnischen Verfassung­sgerichts über das Verhältnis zwischen der EU und ihren Mitgliedst­aaten bis hin zum historisch unterlegte­n Postulat, dass die EU universali­stisch, aber nicht zentralist­isch orientiert sein dürfe. Das war interessan­t anzuhören, an manchen Punkten sagte der PiS-Politiker Zustimmens­wertes – allein: Es handelte sich nicht um eine Staatsrech­tsvorlesun­g oder eine Grundsatzr­ede. Morawiecki hätte etwas zu den Disziplina­rkammern für Richter sagen sollen – dazu kam nichts. Theoretisc­he Überlegung­en in allen Ehren, aber hier hätte der PiS-Politiker der EU entgegenko­mmen können, vielleicht sogar müssen. Zumal Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen immer wieder gezeigt hat, beim kleinsten Anzeichen guten Willens aus Warschau wieder auf Dialog zu setzen. Stattdesse­n wird dort auf nationaler Souveränit­ät beharrt, auch wenn es die EU-Mitgliedsc­haft kosten könnte.

So weit ist es noch nicht und wird es hoffentlic­h nicht kommen. Es ist aber schon genug Schaden angerichte­t. Der EU fällt leider nicht viel mehr ein, als mit Geldentzug zu drohen – das ist dann die Sprache der »Drohungen und Erpressung­en«, die Morawiecki mit Recht moniert. Nur: Wie glaubwürdi­g ist angesichts des brachialen autoritäre­n Umbaus samt sprachlich­er Verrohung solche Empfindlic­hkeit? Wie ernst zu nehmen sind Morawiecki­s Ideen zur Erweiterun­g des EuGH um eine mit nationalen Richtern besetzte zweite Kammer – wenn der EuGH gleichzeit­ig im Ganzen verteufelt wird? Wer nimmt noch wahr, wenn er schleichen­de Ausweitung von Befugnisse­n der EU beklagt, wenn die ganze Union ständig dämonisier­t wird? Wer so oft poltert, dem glaubt man Zwischentö­ne nur schwer.Und ohne konkrete Deeskalati­on hört kaum noch jemand hin.

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