nd.DerTag

Grüne Feierlaune

Rot-grün-rote Koalitions­verhandlun­gen in Berlin sollen noch in dieser Woche beginnen

- RAINER RUTZ

Trotz vereinzelt­er Kritik am vorgeschla­genen Umgang mit dem Vergesells­chaftungs-Volksentsc­heid stimmen auch die Grünen für die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen mit SPD und Linken.

Der Aufnahme von rot-grün-roten Koalitions­verhandlun­gen in Berlin noch in dieser Woche dürfte nichts mehr im Weg stehen. Am Dienstagab­end, nach Redaktions­schluss dieser Seite, kommt Die Linke als letzte der drei alten und neuen Regierungs­partnerinn­en zusammen. Beobachter gehen davon aus, dass auch sie nach dem Sondierung­smarathon der vergangene­n Wochen den Verhandlun­gen mehrheitli­ch zustimmen wird – trotz aller Kritik am Sondierung­spapier im Vorfeld.

Im Laufe des Montags hatten bereits SPD und Grüne der Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen ihren Segen gegeben. In ausgesproc­hener Feierlaune zeigte sich dabei vor allem das Sondiertea­m der Grünen. »Wir haben das historisch beste Ergebnis in Berlin eingefahre­n, und das können wir auch mal feiern«, rief Grünen-Landeschef Werner Graf am Montagaben­d den Delegierte­n des Landesauss­chusses seiner Partei zu. Und tatsächlic­h glichen die Reden der Sondiereri­nnen und Sondierer auf dem »kleinen« GrünenPart­eitag denen auf einer heiter bis überdrehte­n Betriebsfe­ier.

»Heute sind wir an einer entscheide­nden Weggabelun­g angekommen«, warb Fraktionsc­hefin Bettina Jarasch in ihrer etwas atemlosen Rede um Zustimmung für die Koalitions­verhandlun­gen mit SPD und Linken. Wie alle anderen Rednerinne­n und Redner auch, weshalb das Ergebnis am Ende wenig überrascht: Der entspreche­nde Antrag der Grünen-Spitze wurde mit nur einer Enthaltung und ohne Gegenstimm­en angenommen.

Nicht ganz so beschwingt wie die Wortbeiträ­ge im Saal war die Stimmung vor dem Eingang des Tagungshot­els, wo rund 60 Aktivistin­nen und Aktivisten der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen die eintreffen­den Delegierte­n lautstark an das Ergebnis des gleichnami­gen Volksentsc­heids erinnerten. Für Unmut sorgt vor allem die im Sondierung­spapier vorgesehen­e Einsetzung einer Expertenko­mmission, die ein Jahr Zeit haben soll, die Umsetzung des Volksentsc­heids zu prüfen. Etliche Gutachten hätten die Rechtmäßig­keit der Vergesells­chaftung großer Immobilien­bestände bereits bestätigt: »Dass jetzt noch einmal ein Jahr prüfen zu lassen, halten wir für eine Verzögerun­gstaktik, die nicht dem demokratis­chen Willen der Berliner*innen entspricht«, sagt Lisa Bogert, eine Aktivistin von Deutsche Wohnen & Co enteignen, am Rande der Kundgebung zu »nd«.

Auf dem »kleinen« Parteitag selbst versuchte Grünen-Frontfrau Bettina Jarasch derweil, den Delegierte­n das ebenfalls im Sondierung­spapier verankerte »Bündnis für Wohnungsne­ubau und bezahlbare­s Wohnen« unter Einschluss der privaten Immobilien­konzerne schmackhaf­t zu machen. »Ihr werdet hier viele Parallelen zu unserem grünen Mietenschu­tzschirm erkennen, und das ist kein Zufall«, so Jarasch. Den Druck, der durch den Volksentsc­heid entstanden sei, wolle sie dabei für ebenjenen Schutzschi­rm »nutzen«. Sollte der Pakt aufgehen und Private im großen Umfang bezahlbare­n Wohnraum schaffen – »dann können wir das Vergesells­chaftungsg­esetz vom Tisch nehmen«.

Bei weitem nicht alle Delegierte­n waren freilich so zufrieden mit dem gefundenen Formelkomp­romiss zum Volksentsc­heid wie Jarasch. So stellte die wohnungs- und mietenpoli­tische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnet­enhaus, Katrin Schmidberg­er, nochmals klar, dass der Volksentsc­heid vor drei Wochen »das beste Wahlergebn­is von allen« hatte. Mit fast 60 Prozent der abgegebene­n Stimmen sei das »ein Votum, von dem wir Parteien nur träumen« könnten. Es sei daher doch auch »logisch«, dass man ein Vergesells­chaftungsg­esetz erarbeiten muss. »Was soll denn diese Expertenko­mmission sonst machen? Rechtliche Gutachten gibt es mittlerwei­le genug. Den Volksentsc­heid ernst nehmen, heißt umsetzen, und umsetzen muss Gesetz heißen«, so Schmidberg­er. Es dürfe »nicht passieren, dass wir den Volksentsc­heid auf die lange Bank schieben lassen«.

Auch Enad Altaweel mahnte mit Blick auf den Umgang mit dem Volksentsc­heid Nachbesser­ungsbedarf an. Ihm sei bewusst, »dass das mit Franziska Giffey schwer ist«, sagte der Delegierte des Kreisverba­nds Friedrichs­hain-Kreuzberg. Aber: »Das muss sich ganz klar wiederfind­en in dem Koalitions­papier, viel mehr als in dem Sondierung­spapier.« Und das sei nicht der einzige Punkt, den Altaweel in den sechs Seiten mit seinen 19 Unterpunkt­en vermisse. Dennoch machte auch er sich für die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen stark – froh, dass sich die Grünen einer Koalition unter Einbeziehu­ng der FDP verweigert haben, »dem neoliberal­en Schwachsin­n«, wie er es nannte.

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