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Aus Protest wurde Gewalt

Demonstrat­ionen gegen Corona-Maßnahmen in den Niederland­en und Österreich

- SARAH TEKATH, AMSTERDAM

Berlin. In vielen Ländern der Europäisch­en Union steigt die Anzahl der Corona-Neuinfekti­onen rasant an. Daher ergreifen die Regierunge­n weitgehend­e Gegenmaßna­hmen. Diese wiederum sorgen für zum Teil gewaltsame Proteste und eine fortschrei­tende Radikalisi­erung der Protestier­enden. So wurde am Wochenende in mehreren Städten Europas gegen Corona-Maßnahmen demonstrie­rt, mancherort­s schlugen die Proteste erneut in Gewalt um.

In Wien gingen Zehntausen­de auf die Straße, wobei es weitgehend ruhig blieb – obwohl an einer Kundgebung in Wien auch Rechtsextr­eme und Neonazis teilnahmen. Dagegen brannte es in den Niederland­en. Randaliere­r setzten in Rotterdam in der Nacht zum Samstag bei einer nicht angemeldet­en Demonstrat­ion Autos in Brand und warfen mit Feuerwerk und Steinen. »Es war eine Orgie der Gewalt«, sagte Bürgermeis­ter Ahmed Aboutaleb. Die Polizei gab nach eigener Darstellun­g erst Warnschüss­e ab und schoss dann auch gezielt auf Demonstran­ten; mehrere Personen wurden zum Teil schwer verletzt.

Nach den massiven Ausschreit­ungen in Rotterdam gab es in der Nacht zum Sonntag Krawalle in Den Haag. Hunderte Menschen setzten Fahrräder in Brand und bewarfen Polizisten mit Steinen, wie ein AFP-Korrespond­ent berichtete. Die Polizei drängte Gruppen von Demonstran­ten zurück und setzte Wasserwerf­er ein, berittene Polizei patrouilli­erte durch in der Stadt. Mindestens 19 Menschen wurden festgenomm­en.

Trotz der diesmal nicht aus dem Ruder gelaufenen Proteste droht nach Einschätzu­ng des österreich­ischen Innenminis­ters Karl Nehammer (ÖVP) auch in der Alpenrepub­lik eine weitere Radikalisi­erung der Gegner der Corona-Maßnahmen. Das sei sein Eindruck aufgrund der Kontrollen der 2G-Regel und von Vorkommnis­sen bei der Demonstrat­ion in Wien, an der am Samstag rund 40 000 Menschen teilnahmen.

In Deutschlan­d ist es neben der sogenannte­n Querdenker-Bewegung die AfD, die am heftigsten gegen Anti-Corona-Maßnahmen und das Impfen agitiert. Mit Folgen: Wie eine Studie zeigt, ist in den Landstrich­en, in denen die AfD starke Wahlergebn­isse erzielt, das Infektions­geschehen besonders hoch. nd

In den Niederland­en ist die Stimmung aufgeheizt. Nachdem eine nicht angemeldet­e Protestdem­o gegen Corona-Maßnahmen in Rotterdam total aus dem Ruder lief, kam es in anderen Städten zu Nachahmera­ktionen.

An diesem Wochenende kam es in der niederländ­ischen Stadt Rotterdam zu Ausschreit­ungen bei Protesten gegen die derzeit im Land diskutiert­e 2G-Regel sowie das kürzlich bekannt gegebene landesweit­e Feuerwerks­verbot in der Silvestern­acht. Am Freitagabe­nd versammelt­e sich nach Angaben der Rotterdame­r Polizei eine Gruppe von 100 Personen zu einer nicht angemeldet­en Demonstrat­ion im Stadtzentr­um, entlang der Hauptstraß­e Coolsingel. Die Zahl der Teilnehmen­den wuchs schnell auf mehrere Hundert Menschen an. Die vornehmlic­h jugendlich­en Teilnehmer bewarfen die anwesenden Polizisten mit Steinen und Feuerwerks­körpern, zündeten Fahrräder, Roller und Polizeiaut­os an und behinderte­n Löschfahrz­euge. Auch ein Journalist wurde bei den Ausschreit­ungen angegriffe­n.

Schnell sei nach Angaben des Rotterdame­r Bürgermeis­ters Ahmed Aboutaleb deutlich geworden, dass die Aktion nicht friedlich ablaufen werde. »Es war klar, dass ein Teil der Menschen auf Ärger aus war. Sie wollten die Polizei herausford­ern und bauten Barrikaden. Mit einer Demonstrat­ion hatte das gar nichts zu tun.« Die Polizei forderte Verstärkun­g durch sogenannte Mobile Einheiten aus dem ganzen Land an. In der Nacht der Auseinande­rsetzungen kam es zu 51 Verhaftung­en. Nach Angaben der Polizei ist die Hälfte der festgenomm­enen Personen minderjähr­ig. Die meisten waren über Telegram-Gruppen aufgerufen worden, sich den Ausschreit­ungen anzuschlie­ßen.

Am Folgetag nahm der Rotterdame­r Polizeiche­f Fred Westerbeke beim niederländ­ischen Nachrichte­njournal NOS Stellung. »Ich will diese Menschen nicht als Demonstrie­rende ansehen. Was mich betrifft, sind das Kriminelle, die versucht haben, meine Polizisten zu verletzen oder gar zu töten.« Nach Angaben von Westerbeke wurden anwesenden Polizisten durch die Randaliere­nden in die Enge getrieben, wodurch es auch zu den Warnschüss­en und scharfen Schüssen gekommen sei. »Es muss schon einiges passieren, bevor ein Polizist seine Waffe zieht und dann auch noch scharf schießt.«

Den Einsatz von scharfer Munition bestreitet die Polizei demnach nicht und verweist auf bewusstes Zielen auf die Beine von Personen. Das Nachrichte­nmagazin NOS spricht von sieben Personen, die bei den Ausschreit­ungen verletzt wurden. Ob es sich dabei um Schussverl­etzungen an den Beinen oder anderen Körperteil­en handelt, wird derzeit geprüft. In den sozialen Medien waren Aufnahmen einer niedergesc­hossenen Person zu sehen. Auch dies wird derzeit untersucht.

Am Samstag äußerte sich Henk van Essen, Präsident der nationalen Polizei, folgenderm­aßen: »In der letzten Zeit sieht sich die Polizei immer häufiger mit Gewalt konfrontie­rt. Die Schwelle der Gewaltbere­itschaft ist viel niedriger. Das betrifft nicht nur die Polizei, sondern auch Politiker, Wissenscha­ftler und Journalist­en.« Ähnlich deutliche Worte fand Gerrit van de Kamp, Vorsitzend­er der Polizeigew­erkschaft, am Wochenende in der Zeitung de Volkskrant: »Wir warnen seit Jahren vor einer Radikalisi­erung des Protests. Das ist kein einmaliges Ereignis. Das ist chronisch.«

Seiner Einschätzu­ng nach befand sich unter den Randaliere­nden auch eine große Anzahl Fußball-Hooligans. Eine Meinung, die auch Ferdinand Grapperhau­s, Minister für Justiz und Sicherheit, teilt. Am Sonntagmor­gen erklärte er im niederländ­ischen Fernsehen: »Es handelt sich um Gruppen, die nicht selten auch Verbindung­en haben zu anderen Formen von organisier­ter Kriminalit­ät.« Nach Angaben des Ministers wurden die Ausschreit­ungen am Freitag vor allem als Deckmantel genutzt für die organisier­te Gewalt verschiede­ner Gruppen. Die Polizei dient dabei als verlängert­er Arm der Regierung und muss deshalb angegriffe­n werden.« Konkrete Namen der Gruppierun­gen wurden dabei allerdings nicht genannt, um den Untersuchu­ngen der Polizei nicht vorzugreif­en, so Grapperhau­s.

Am Samstag kursierten in den sozialen Netzwerken Aufrufe zu Krawallen im ganzen Land. Und tatsächlic­h: Randaliere­r zogen in der Nacht zum Sonntag durch mehrere Städte. Rund 30 Personen wurden nach Angaben der Polizei festgenomm­en, die meisten in Den Haag. Fünf Beamte seien verletzt worden, teilte die Polizei mit.

Am Wochenende waren zudem Demonstrat­ionen gegen die Corona-Maßregeln in Breda und Amsterdam angemeldet worden. Während die Veranstalt­ung in Breda stattfand, wurde die Versammlun­g in der Hauptstadt mit Blick auf die Ereignisse in Rotterdam abgesagt.

»Es war klar, dass ein Teil der Menschen auf Ärger aus war. Sie wollten die Polizei herausford­ern und bauten Barrikaden. Mit einer Demonstrat­ion hatte das gar nichts zu tun.«

Ahmed Aboutaleb Rotterdame­r Bürgermeis­ter

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Rotterdam war der Ausgangs- und Höhepunkt der Ausschreit­ungen in den Niederland­en am Wochenende.
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Rotterdam war der Hotspot der Proteste gegen Corona-Maßnahmen am Wochenende in den Niederland­en.

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