Linke hört die Uhr ticken
Weiter Forderungen nach personeller, inhaltlicher und kultureller Erneuerung
Berlin. Die Krise der Linken wird unisono als die tiefste seit ihrer Gründung gesehen. Darin stimmen auch Partei- und Fraktionsführung überein. Und als reiche es nicht, dass man sich im Angesicht des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine über dessen Verurteilung hinaus nicht auf eine gemeinsame Position einigen kann, ist man nun auch noch mit einer heftigen Debatte über Sexismus und sexualisierte Übergriffe konfrontiert. Auf tief greifende Änderungen drängen vor allem junge Genoss*innen, die zudem den Rücktritt der nach dem Amtsverzicht Susanne Hennig-Wellsows verbliebenen Parteichefin Janine Wissler fordern. Sie halten die Beschlüsse des Bundesvorstandes, eine unabhängige Anlaufstelle für Betroffene von Belästigung oder Nötigung mit externen Expertinnen zu schaffen, nicht für ausreichend.
Über Sexismus und den Schutz von Opfern sexualisierter Übergriffe diskutierte am Dienstag auch die Linksfraktion. Mehrere Politiker*innen der Partei hatten zuvor außerdem eine vorgezogene Neuwahl der Fraktionsspitze verlangt. Deren Chef Dietmar Bartsch betonte allerdings, der Fraktionsvorstand habe sich einstimmig dagegen ausgesprochen und sehe keine Notwendigkeit dafür.
Für eine tief greifende inhaltliche Erneuerung der Linken plädierte im Gespräch mit »nd« Thüringens Staatskanzleichef Benjamin-Immanuel Hoff. Es würden auf »tagesaktuelle Fragen widersprüchliche Antworten« gegeben, monierte er. Daher plädiert Hoff für eine Grundwertekommission, die sich mit allen Fragen befasst, bei denen es auf dem Parteitag im Juni zu keiner Einigung kommt. Angesichts des mit Neuwahl des Vorstands und zahlreichen Debattenblöcken übervollen Parteitagsprogramms dürften das zahlreiche Punkte sein. Auf die Frage, ob er sich selbst für den Parteivorsitz bewerben wolle, sagte Hoff: »Jeder verantwortungsvolle Akteur stellt sich diese Frage derzeit.«