25 Jahre lang bewährt
IG BAU warnt vor Lohndumping wegen Wegfall des Bau-Mindestlohnes
1997 wurde ein Branchenmindestlohn für die Bauwirtschaft eingeführt. Doch kürzlich ist er wieder weggefallen, weil die Arbeitgeberverbände einem Schlichterspruch nicht zustimmen wollten.
Die Bauwirtschaft hat es nicht leicht. Kaum ist der Corona-Knick aus den Bilanzen fast verschwunden, steigen die Energie- und Rohstoffpreise im Nachklang der andauernden Pandemie und wegen des Kriegs in der Ukraine stark an. Bestehende Material- und Lieferengpässe bleiben überdies ein Problem. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) fand in seinem jüngsten Konjunkturbarometer heraus, dass knapp 27 Prozent der befragten Unternehmen in der Bauwirtschaft eine Abnahme der Produktion im Frühjahr erwarten, also eher pessimistisch ins laufende Jahr blicken.
Und was tun Arbeitgeber, wenn die Zeiten nicht rosig sind? Richtig: Sie sparen. Und das geht am besten bei den Personalkosten, die einen Löwenanteil am Umsatz ausmachen. In den Verhandlungen um eine Erhöhung des Branchenmindestlohnes lehnten die Arbeitgeber den Schlichterspruch von Rainer Schlegel, dem Präsidenten des Bundessozialgerichts, unlängst ab, während die Gewerkschaft IG BAU Ende März zugestimmt hatte.
Danach sollte der Mindestlohn bis 2024 jedes Jahr um 60 Cent pro Stunde (knapp 4,5 Prozent) steigen. In den Jahren 2025 und 2026 sollte der Mindestlohn dann gemäß der Inflation steigen und danach angepasst werden an die tariflichen Lohnerhöhungen. Zudem sollte der Mindestlohn 2, die höhere Bezahlung von Facharbeiter*innen in Ost- und Westdeutschland, Ende 2023 wegfallen.
Die Arbeitgeber argumentierten, der Schlichterspruch stelle eine nicht zu rechtfertigende Erhöhung des Einkommens für niedrigste Tätigkeiten dar. Jutta Beeke, Vizepräsidentin des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie und Verhandlungsführerin für die Arbeitgeber, sagte weiter, der geplante Automatismus der Mindestlohnanhebungen stelle einen zu großen Eingriff in die Tarifautonomie dar.
Man sei aber bereit, mit der IG BAU über einen einheitlichen Bau-Mindestlohn zu verhandeln, hieß es seitens der Arbeitgeberverbände. Doch die reagierte nicht amüsiert. Die Zukunft der Bauwirtschaft stehe auf dem Spiel, kritisierte Gewerkschaftschef Robert Feiger. Die Arbeitgeber seien an einem fairen Wettbewerb augenscheinlich nicht interessiert, denn ohne Mindestlohn würden besonders die nicht tarifgebundenen Unternehmen profitieren.
Der Mindestlohn in der Bauwirtschaft habe sich in den vergangenen 25 Jahren bewährt. Da die Arbeit bei Wind und Wetter oft hart sei, brauche es eine attraktive Bezahlung, um Fachkräfte zu gewinnen, so Feiger weiter. Überdies befürchtet die IG BAU, dass der grassierende Personalmangel auf dem Bau, in der Gebäudereinigung und in der Landwirtschaft zur Ausbeutung ukrainischer Kriegsflüchtlinge führen könnte, sollten diese nun zu Mindestlohnbedingungen auf hiesigen Baustellen anheuern.
Die Argumente sprechen gegen die Arbeitgeber. Den Preisanstieg bei Baumaterialien, etwa Holz, Beton oder Stahl, können die Bauunternehmen zum guten Teil an die Kund*innen weitergeben. Im Jahr 2021 verzeichnete die Branche insgesamt ein leichtes Umsatzplus. Besonders im Wohnungsbau ist der stete Strom der Auftragseingänge ungebrochen. Dem gegenüber steht der herrschende und sich ausweitende Fachkräftemangel. Nach einer Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung blieben beispielsweise im Ausbildungsjahr 2021 im Baugewerbe 60 Prozent der Lehrstellen unbesetzt, was nicht zuletzt an der Entlohnung und den Arbeitsbedingungen liegen könnte. Wie schlimm die aktuelle Krise ist, hängt also davon ab, aus welcher Richtung man argumentiert.
Schon die Einführung des Bau-Mindestlohnes im Jahr 1997 war Ergebnis einer Krise: Auf einen Bauboom nach 1990 folgte ab 1995 ein massiver Umsatzeinbruch und Stellenabbau. Die Arbeitgeberverbände verloren viele Mitglieder, die IG BAU ebenfalls und büßte einiges an Kampfkraft ein. Die Gewerkschaft hatte es immer schwerer, ein verlässliches Gegenüber zu finden, an das man überhaupt eine Tarifforderung richten konnte und immer weniger Kraft, die Forderung dann auch durchzusetzen.
Eine positive Folge der Misere: Die IG BAU erstritt schon im Jahr 1997 einen Branchenmindestlohn nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz. Dieses war erst ein Jahr zuvor in Kraft getreten und sollte die zwingenden Mindestarbeitsbedingungen für Menschen festlegen, die aus dem Ausland nach Deutschland entsendet wurden. Nach einer kleinen Gesetzesänderung konnte ab 1998 das Bundesarbeitsministerium per Verfügung einen Mindestlohn für allgemeinverbindlich – für die gesamte Branche geltend – erklären. Aktuell gibt es ein Dutzend Branchenmindestlöhne in Deutschland, darunter etwa in der Gebäudereinigung, in der Pflege, der Leiharbeit oder in der Abfallentsorgung.