nd.DerTag

Ärger mit der völkischen Ex-Vorsitzend­en

Frühere Parteichef­in Sayn-Wittgenste­in setzt die AfD Schleswig-Holstein im Wahlkampf unter Druck

- ROBERT D. MEYER

Keine Führung, eine zerfallene Fraktion, Streit mit der Ex-Chefin: In der Theorie spricht viel dagegen, dass die AfD erneut in den Kieler Landtag einzieht. Laut Umfragen dürfte ihr dies dennoch gelingen.

Jörg Nobis hat derzeit keinen Grund, sich zu beschweren. Passiert in den nächsten eineinhalb Wochen keine große Überraschu­ng, dann zieht die AfD mit hoher Wahrschein­lichkeit zum zweiten Mal in ihrer noch jungen Geschichte in den Kieler Landtag ein. In Umfragen steht die Partei seit Monaten stabil bei 6 Prozent. Es wäre damit fast das gleiche Ergebnis wie vor fünf Jahren, als die AfD auf 5,9 Prozent kam. In anderen Parteien würde solch eine Stagnation für erhebliche­n Unmut sorgen, bei dieser zeigt sich vielmehr, dass die Kernwähler­schaft Skandale und öffentlich ausgetrage­nen Streit verzeiht. Und davon gibt es in der AfD Schleswig-Holstein jede Menge.

Jörg Nobis lächelt sämtliche Skandale im Wahlkampf bisher gekonnt weg. Dies gelingt dem Spitzenkan­didaten auch deshalb, weil es einige Lokalmedie­n dem 46-Jährigen manchmal leicht machen. »Der Kandidat mit dem Bernsteinh­erz« überschrie­b die »Schleswig-Holsteinis­che Zeitung« ein Porträt, für das sich ein Journalist mit dem AfD-Politiker zu einem Strandspaz­iergang in Sankt PeterOrdin­g getroffen hatte. Der NDR bestieg gemeinsam mit Nobis den Leuchtturm KielHolten­au. Dies tat der öffentlich-rechtliche Sender zwar mit den Spitzenkan­didat*innen aller aktuell im Landtag vertretene­n Parteien, um harte Politik ging es dabei aber nur am Rande. Immerhin wissen Zuschauer*innen jetzt: Nobis, Schiffsbet­riebstechn­iker und Kapitän, liebt die Seefahrt und das Meer. Mit einer anderen Äußerung würde der AfD-Politiker

im Küstenland Schleswig-Holstein auch unangenehm auffallen.

Rhetorisch vermeidet die Partei allzu scharfe Wahlkampfa­uftritte, ihre politische­n Forderunge­n sind altbekannt: Ausweisung von Ausländer*innen selbst bei geringfügi­gen Straftaten und die Abschaffun­g aller Corona-Maßnahmen. Großes Thema für die AfD im Norden ist die Windenergi­e, deren Ausbau die Partei an Land massiv beschränke­n will. Statt der bisher geltenden Abstandsre­gelung von 1000 Metern zur nächsten Wohnbebauu­ng fordert die Partei einen Mindestabs­tand von 2,5 Kilometern. Ihre Alternativ­e? Der Bau neuer Kernkraftw­erke.

Jenseits ihrer Programmat­ik gibt die AfD genug Anlass, dem in ihrem Wahlwerbes­pot verkündete­n Anspruch, eine »starke Opposition im Landtag« sein zu wollen, zu misstrauen. Im September 2020 verlor die AfD ihren Fraktionss­tatus, nachdem der Abgeordnet­e Frank Brodehl seinen Austritt erklärt hatte. Damals stellte er fest, im Landesverb­and herrsche ein »völkisch-nationalis­tischer Grundton« vor. Tatsächlic­h drehen sich viele Querelen immer wieder um eine Abgeordnet­e aus dem völkisch-nationalis­tischen Lager, die nicht nur Nobis längst loswerden wollte. Obwohl 2019 aus der Partei ausgeschlo­ssen, kann die frühere Landesvors­itzende Doris von Sayn-Wittgenste­in weiter auf einige Unterstütz­er*innen zählen. Dies erklärt auch, warum die Politikeri­n im Februar für Platz zwei der AfD-Landeslist­e kandidiert­e, was laut Satzung erlaubt ist. Mit 77 zu 120 Stimmen unterlag die Parteilose ihrem Konkurrent­en Kurt Kleinschmi­dt.

Sayn-Wittgenste­ins langer Schatten lähmt die AfD auch im politische­n Tagesgesch­äft. Seit die Adlige 2019 aus der Partei ausschied, konnte der Landesvors­itz trotz wiederholt­er Versuche nicht neu besetzt werden. Überhaupt ist Sayn-Wittgenste­ins aktueller Status fragwürdig: Juristisch ging sie gegen ihren Parteiauss­chluss vor, im April letzten Jahres entschied das Landgerich­t Berlin, dass der Rauswurf unzulässig war. Auf ihrer Website behauptet die 67-Jährige, seit 2016 Mitglied der AfD zu sein. Anders sieht es dagegen der schleswig-holsteinis­che Landesverb­and: In einem Bericht auf der Website über die Aufstellun­gsversamml­ung zur Landtagswa­hl steht, die frühere Landesvors­itzende sei »aktuell nicht Parteimitg­lied«.

Seit ihrer Niederlage auf dem Parteitag wächst der Eindruck, Sayn-Wittgenste­in wolle den AfD-Wahlkampf torpediere­n. Vor einigen Tagen deutete die parteilose Abgeordnet­e auf Grundlage einer von ihr an die Landesregi­erung gestellten Kleinen Anfrage an, dass es unter den AfD-Kandidat*innen und Mandatsträ­ger*innen Spitzel des Verfassung­sschutzes geben könnte. Grundlage dieser Vermutung ist die Antwort des Innenminis­teriums, das »unter Verweis auf mögliche Gefährdung­en des Staatswohl­s« keine Auskunft erteilt. Formal handelt es sich dabei um eine Standardfl­oskel, die keinen wirklichen inhaltlich­en Rückschlus­s zulässt.

Was jedoch stimmt: Laut Antwort gab es Kontaktauf­nahmen des Landesamts für Verfassung­sschutz (LfV) zu Parteimitg­liedern »mit dem Ziel, die verfassung­sfeindlich­en Bestrebung­en eines völkisch-nationalis­tischen Personenzu­sammenschl­usses in der AfD aufzukläre­n«. Gemeint sein dürfte der formal aufgelöste »Flügel«, dem auch SaynWittge­nstein nahesteht. In der Antwort heißt es ebenso, dass die AfD Schleswig-Holstein kein Beobachtun­gsobjekt des LfV ist.

Die dürftigen Antworten reichten aus, um politische­n Wirbel auszulösen. Karin Kaiser, AfD-Mitglied und Professori­n für Betriebswi­rtschaftsl­ehre, stellte beim Landeswahl­leiter

den Antrag auf eine Verschiebu­ng der Landtagswa­hl. Eine Antwort ist nicht bekannt. Sayn-Wittgenste­in erklärte ihrerseits, sie halte Partei für nicht wählbar.

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