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Elite-Controller und andere Ausreißer

Einzelfäll­e zeigen in der HIV- und Aids-Forschung neue Wege auf

- ULRIKE HENNING

Die Aids-Pandemie dauert bereits seit Jahrzehnte­n an, immer noch stecken sich Millionen Menschen jedes Jahr neu an. Jetzt gibt es neue Hoffnung durch sogenannte Elite-Controller und vielleicht auch eine mRNA-Impfung.

Der »Berliner Patient« ist Legende in der Forschung zur HIV-Infektion. Der US-Amerikaner Timothy Ray Brown galt nach einer Knochenmar­kspende, die an der Berliner Charité durchgefüh­rt worden war, als »klinisch geheilt«. Die Stammzelle­n hatte der Patient 2007 als Therapie für seine Leukämie erhalten. Der Spender war dank einer seltenen Mutation des CCR5-Gens immun gegen HIV, das Humane Immundefiz­ienzviurs. Davon profitiert­e Brown, der im Anschluss keine HIV-Medikament­e mehr brauchte. Er starb schließlic­h im Herbst 2020 an Krebs.

Der Mann aus Seattle galt lange als Einzelfall. Erst 2019 wurde der Fall des Venezolane­rs Adam Castillejo bekannt. Auch der damals 40-Jährige erhielt im Rahmen einer Krebsthera­pie eine Stammzells­pende – und brauchte danach keine HIV-Medikament­e mehr. Zu diesem »Londoner Patienten« kam später noch ein »Düsseldorf­er« hinzu, der auf die gleiche Weise geheilt wurde.

In den letzten Monaten machte im gleichen Zusammenha­ng eine HIV-Patientin von sich reden. Die 30-jährige Loreen Willenberg aus New York ist weltweit der vierte Mensch, der vom Virus befreit wurde. Bewirkt haben das bei ihr Stammzelle­n aus der Nabelschnu­r eines Säuglings. Die US-Amerikaner­in war an Leukämie erkrankt und erhielt im Zuge der Therapie eine Stammzellt­ransplanta­tion. Die Zellen aus der Nabelschnu­r eines Säuglings enthielten ebenfalls die Funktion im CCR5-Gen, die Menschen unempfindl­ich gegen HIV macht. Das Virus kann diese Zellen nicht mehr identifizi­eren und daher auch nicht befallen. Das Gen kommt vor allem bei Menschen aus Nordeuropa vor. Nach der Gabe der Stammzelle­n wurde bei der Patientin nur noch bruchstück­hafter genetische­r HIV-Code festgestel­lt. Es konnte keine replikatio­nsfähige provirale DNA gefunden werden. Seit 14 Monaten lebt Willenberg HIV-frei, weitere Behandlung­en sind aktuell nicht nötig.

Die Hoffnungen, die Patienten und Experten nun auf das Verfahren setzen, sind groß – aber sie könnten täuschen. Die Langzeitri­siken einer solchen Gentherapi­e bei ansonsten Gesunden, also nicht an Krebs Erkrankten, wären zu hoch.

Die »Esperanza-Patientin« wiederum, benannt nach ihrem Heimatort in Argentinie­n, wurde 2013 auf HIV getestet, weil ihr Partner sich infiziert hatte. Er starb vier Jahre später an Aids. Seine Freundin hingegen blieb gesund, auch labordiagn­ostisch waren keine Anzeichen einer HIV-Infektion bei ihr zu finden. 2019 wurde die Frau schwanger und entschied sich nach ärztlicher Beratung prophylakt­isch für eine antiretrov­irale Therapie (ART). Diese wurde jedoch nach der Geburt eines HIV-negativen Kindes wieder abgesetzt. Auch bei der Mutter konnte das Virus nicht nachgewies­en werden. Bei ihr wurden 1,2 Milliarden Blutzellen analysiert. Gefunden hat man nur sieben provirale HIVDNA-Spezies, die sich jedoch als defekt erwiesen. Versuche, das Virus auf dieser Basis anzuzüchte­n, blieben erfolglos. Auch im

Blutplasma der Patientin wurde schließlic­h noch nach HIV-1-RNA gesucht, erneut ohne Resultat.

Die Argentinie­rin gehört zu den sogenannte­n Elite-Controller­n – ihnen kann eine HIV-Infektion von Natur aus nichts anhaben. Das Virus wird vom Immunsyste­m so gut in Schach gehalten, dass es selbst mit einem PCR-Test nicht mehr im Blut nachweisba­r ist, und zwar auch nicht nach Absetzen der heute üblichen ART. Allerdings macht die Gruppe dieser speziell gesegneten Personen nur etwa ein Prozent aller HIV-Infizierte­n aus. Jedoch findet sich bei ihnen mitunter noch intaktes provirales Genmateria­l als auch vermehrung­sfähige Viren in bestimmten latent infizierte­n T-Zellen.

Die Wissenscha­ft ist weiterhin auf der Suche nach solchen Fällen. Unter anderem am Ragon-Institut im US-Bundesstaa­t Massachuse­tts läuft ein Projekt mit Elite-Controller­n, die bisher untherapie­rt sind. Sie werden mit behandelte­n HIV-Patienten verglichen. Das Immunsyste­m scheint also in diesen Fällen in der Lage, ohne äußere (therapeuti­sche) Unterstütz­ung das Virus auszuschal­ten oder zu verhindern, dass es sich vermehren kann. Auch wenn das weltweit nur sehr wenige Fälle sind, haben sie für die Grundlagen­forschung große Bedeutung. Die weltweite Prävalenz wird auf höchstens zwei Prozent geschätzt.

Eine internatio­nale Forschungs­gruppe hat jetzt jedoch in der DR Kongo eine größere Gruppe von Elite-Controller­n identifizi­ert. Untersucht wurden mehr als 10 000 Personen – bis zu 4,3 Prozent von ihnen zeigten positive Testergebn­isse auf HIV-Antikörper, aber nur eine niedrige bis nicht nachweisba­re Viruslast. Weil Wissenscha­ftler die Ursprünge der HIV-Pandemie südlich der Sahara, insbesonde­re in der DR Kongo, vermuten, ist die Region besonders interessan­t für sie. Seit 1987 wurden dort wiederholt Plasmaprob­en

von HIV-Stämmen gesammelt. Dies ermöglicht jetzt, genauer nach den Ursachen für die nicht nachweisba­re Viruslast bei den Untersucht­en zu fahnden. Aus Sicht der Forscher kann man so Schritt für Schritt Behandlung­smöglichke­iten für HIV näher kommen – bis hin zu einer Heilung. An diesem globalen Virus-Überwachun­gsprogramm ist neben Universitä­ten aus den USA und der DR Kongo auch das Pharmaunte­rnehmen Abbott beteiligt. Der Hersteller kann so sicherstel­len, dass die diagnostis­chen Tests für das Virus immer auf dem neuesten Stand bleiben. Abbott hatte bereits vor mehr als 30 Jahren einen in den US zugelassen­en HIV-Test entwickelt.

Die 30-jährige Loreen Willenberg aus New York ist weltweit der vierte Mensch, der vom Virus befreit wurde. Bewirkt haben das bei ihr Stammzelle­n aus der Nabelschnu­r eines Säuglings.

Neben den Sonderfäll­en von HIV-Positiven, deren Infektion unter Kontrolle zu sein scheint, sind es Parallelen zwischen der Aidsund der Corona-Pandemie, die in den letzten zwei Jahren für Diskussion­sstoff im Zusammenha­ng mit der Immunschwä­chekrankhe­it sorgten. Bestimmte Ähnlichkei­ten ergeben sich unter anderem in sozialer Hinsicht.

Bevor HIV und die Krankheit Aids ihre Namen bekamen, infizierte­n sich fünf junge gesunde Männer mit einer seltenen Lungenerkr­ankung, die bis dahin nur Menschen mit einem schwachen Immunsyste­m befallen hatte. Die Gruppe wuchs. Laut dem ersten medizinisc­hen Bericht waren es vor allem homosexuel­l aktive Männer. Im Juni 1981 berichtete­n die US-Gesundheit­sbehörden von der neuen Krankheit. Im Gegensatz zu Sars-CoV-2 ist das HI-Virus nicht durch die ausgestoße­nen Tröpfchen und Aerosole beim Küssen, Anhusten, Sprechen übertragba­r. Direkter Blut-zu-Blut-Kontakt ist nötig, in 90 Prozent der Fälle erfolgt die Ansteckung beim Sex.

Obwohl die Unterschie­de in dieser Frage groß sind, haben beide Viren für Pandemien gesorgt: Das HI-Virus wurde aber erst 1983, zwei Jahre nach den ersten Fällen, entdeckt. Für 2020 wurden weltweit 1,5 Millionen Neuinfekti­onen geschätzt. In den meisten Fällen wären sie vermeidbar. Das südliche Afrika ist weiterhin am stärksten betroffen. Global betrachtet sind nur knapp 40 Prozent der Menschen mit HIV in Behandlung, unter anderem in Osteuropa und Zentralasi­en ist ihre Zahl in den letzten Jahren erneut stark angestiege­n. Zwar gibt es bislang keinen Impfstoff, aber Betroffene könnten mit Zugang zu Arzneien bei früher Behandlung meist gut weiterlebe­n.

Hoffnung konnten Betroffene und Aktivisten im Zuge der Corona-Pandemie schöpfen, denn hier gelang es in kürzester Zeit, eine wirksame Impfung auf der Basis der mRNA-Technologi­e zu entwickeln. Experten meinen, dieser Ansatz könnte auch für eine Impfung gegen HIV funktionie­ren. In den USA sind jetzt erste Tests eines solchen Impfstoffe­s angelaufen. In Phase eins wurde das Vakzin 56 gesunden, HIV-negativen Menschen verabreich­t, hatte das US-Unternehme­n Moderna im Januar mitgeteilt. Alle anderen Ansätze, einen Impfstoff zu finden, waren bisher gescheiter­t. Nun könnte auf dem Weg einer Impfung die Produktion genau solcher Antikörper angeregt werden, die bisher nur wenige Menschen, die Elite-Controller, natürlich produziere­n. Der erwünschte Antikörper­typ soll gegen zahlreiche Varianten des HI-Virus wirken, die mit Aids verbundene Krankheite­n auslösen.

 ?? ?? HIV-1-Viren in einer kolorierte­n Ultradünns­chnitt-Aufnahme eines Transmissi­ons-Elektronen­mikroskops
HIV-1-Viren in einer kolorierte­n Ultradünns­chnitt-Aufnahme eines Transmissi­ons-Elektronen­mikroskops

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