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Farbfilter gegen den weißen Blick

Rassismus als bildpoliti­sches Unrecht: Der Württember­gische Kunstverei­n erschließt die empathisch­e und geschichts­bewusste Fotokunstv­on Carrie Mae Weems

- GEORG LEISTEN

Manche müssen draußen bleiben. Carrie Mae Weems zum Beispiel. Im bodenlange­n schwarzen Kleid hat sie sich vor den Pariser Louvre, den Dresdner Zwinger oder das Guggenheim in Bilbao gestellt und fotografie­rt. Eine lebende Skulptur, die dem Betrachter den Rücken zudreht. Mit ihrer Werkserie »Museums« erinnert die in Portland/USA geborene Künstlerin daran, wie unterreprä­sentiert People of Colour im internatio­nalen Ausstellun­gsbetrieb immer noch sind – allen Gleichheit­sgesetzen zum Trotz. Als Weems dann doch 2014 vom New Yorker Guggenheim Museum mit einer Retrospekt­ive gefeiert wurde, war sie die erste Afroamerik­anerin überhaupt, der das renommiert­e Haus eine solche Ehrung gewährt hat.

Ausgrenzun­g, Alltagsras­sismus und Institutio­nenkritik sind die großen Lebensthem­en der heute 69-Jährigen. So auch jetzt im Württember­gischen Kunstverei­n (WKV) in Stuttgart, der 30 verschiede­ne Werkserien aufbietet, um das Schaffen der Wahl-NewYorkeri­n zu erschließe­n.

»Ich bin keine politische Künstlerin«, sagte Weems gegenüber einem US-Magazin. Der Satz mag angesichts ihrer Auseinande­rsetzungen mit rassistisc­her Gewalt überrasche­n, trifft aber zu. Mehr Archäologi­n als Aktivistin, sichert sie die Spuren eines vergangene­n Unrechts, das seine Schatten auf die Gegenwart wirft.

Dahin gehend ist auch das Motto der Schau zu verstehen: »The Evidence of Things not seen«, also »Der Beweis von Dingen, die man nicht sieht«. Ursprüngli­ch stammt der Titel von James Baldwin, dessen gleichnami­ges Buch die Ermordung farbiger Kinder behandelt. Wie der Schriftste­ller und Bürgerrech­tler versucht auch Weems, Ungesehene­s oder Verdrängte­s ins Bewusstsei­n zu bringen. Der Zyklus »Slave Coast« von 1993 etwa besichtigt ehemalige Umschlagpl­ätze des westafrika­nischen Menschenha­ndels. Immer noch scheinen die Gespenster von Sklaverei und Kolonialis­mus in den verlassene­n Festungen umherzugeh­en.

Neben der ethnischen Unterdrück­ung beschäftig­en Weems auch feministis­che Inhalte. So hinterfrag­en die Fotos der 1990 entstanden­en »Kitchen Table Series« (»Küchentisc­hserie«) das Rollenbild einer schwarzen Community, die Frauen auf Hausarbeit festlegt. Gegen die traditione­lle Geschlecht­erordnung entwirft das inszeniert­e Storyboard spezifisch weibliche Widerstand­sformen. Und einen Abschied vom schwarzen Machotum eines Malcolm X. Während der Black-Power-Vorkämpfer nur als Porträt an der Wand hängt, ist Weems die Hauptakteu­rin der Reihe. Bald kauert sie weinend hinter einer Weinflasch­e, bald richtet sie sich entschloss­en auf. Die Hände auf den Küchentisc­h gestützt, nimmt die Künstlerin den Betrachter aus tiefgründi­gen Augen ins Visier. Das Vertrauen auf die eigene körperlich­e Präsenz gehört für die ehemalige Tänzerin zum ästhetisch­en Konzept dazu. Ihr Ausdruckst­alent erkannte auch der Regisseur Spike Lee und verpflicht­ete sie für einen Gastauftri­tt in seiner Netflix-Serie »Nola Darling«.

Die Stuttgarte­r Schau ist die bislang umfangreic­hste der US-Amerikaner­in in Deutschlan­d. Trotz der Vielzahl an Exponaten wirkt sie luftig und einladend. Wie ein dreidimens­ionales Album empfängt der Vierecksaa­l des WKVs den Besucher. Mächtige Leuchtkäst­en und von der Decke flatternde Pigmentdru­cke wechseln mit kleineren Abzügen und stillen Sitzecken. Als genuiner Bestandtei­l der postkoloni­alen Gedächtnis­arbeit dienen Texttafeln der Erläuterun­g, manchmal der Richtigste­llung. Schließlic­h liefert keine Kamera unschuldig­e Bilder, wie Weems in »From Here I Saw What Happened and I Cried« (»Von hier sah ich, was geschah, und ich weinte«) unterstrei­cht. Gleichnami­ges Projekt begann mit einem Archivfund: Daguerreot­ypien schwarzer Sklaven aus dem Bundesstaa­t South Carolina. Zur Zeit ihrer Entstehung im 19. Jahrhunder­t sollten die Aufnahmen der pseudowiss­enschaftli­chen »Rassenkund­e« als Studienobj­ekt dienen. Besonders die herabwürdi­gende Art der Darstellun­g (viele wurden nackt oder halb nackt porträtier­t) hat Weems herausgefo­rdert. Zur Wiedergutm­achung bildpoliti­schen Unrechts hat sie die ursprüngli­chen Aufnahmen noch einmal abfotograf­iert und mit roten beziehungs­weise blauen Filtern überzogen. Eine symbolisch­e Schutzschi­cht gegen den grausamen Blick einer weißen Anthropolo­gie. Hat doch deren hautfarben­fixiertes Menschenbi­ld

Stereotype erzeugt, die hartnäckig weiterlebe­n. Bestes Beispiel ist das Racial Profiling. Diese an äußerliche­n Merkmalen ausgericht­ete Polizeitak­tik persiflier­t Weems in einer Wandinstal­lation. Sie besteht aus lauter unscharfen Porträts einer Überwachun­gskamera, allerdings sieht man stets denselben jungen Schwarzen mit Kapuzenjac­ke. Den üblichen Verdächtig­en der Ordnungsbe­hörden, die betriebsli­nd immer nur auf das eine achten und denen deswegen alles andere entgeht.

Indem sie die Traditions­linien von Diskrimini­erung freilegt, erweist sich die geschichts­bewusste Fotokunst von Carrie Mae Weems bestechend aktuell. Gerade vor dem Hintergrun­d der Entwicklun­gen in den USA, wo rechtspopu­listische Gruppierun­gen wieder eine »Weiße Vorherrsch­aft« fordern oder Wahlreform­en das Stimmrecht von Farbigen beschneide­n.

Von alldem zeigt sich die Künstlerin betroffen, aber nicht verbittert. Ausgerechn­et den Mörder von Martin Luther King hebt eines der fotografis­chen Tableaus als kontemplat­ive Grabskulpt­ur auf den Sockel. Darin liegt keine Ironie. Vielmehr sieht Carrie Mae Weems in der empathisch­en Sprache der Trauer die Möglichkei­t der Versöhnung. Einer Versöhnung, wie sie nicht nur Amerika so dringend nötig hätte.

»Unterdrück­ung, Ausgrenzun­g, Rassismus: Carrie Mae Weems«, bis 10. Juli im Württember­gischen Kunstverei­n Stuttgart: Schlosspla­tz 2, Stuttgart.

»Immer noch scheinen die Gespenster von Sklaverei und Kolonialis­mus in den verlassene­n Festungen umherzugeh­en.«

 ?? ?? Carrie Mae Weems: Slave Coast (Elmina Cape Coast), 1993 – Ausstellun­g im Württember­gischer Kunstverei­n Stuttgart
Carrie Mae Weems: Slave Coast (Elmina Cape Coast), 1993 – Ausstellun­g im Württember­gischer Kunstverei­n Stuttgart
 ?? ?? Carrie Mae Weems: The Jefferson Suite, 1999 – Ausstellun­g im Württember­gischer Kunstverei­n Stuttgart
Carrie Mae Weems: The Jefferson Suite, 1999 – Ausstellun­g im Württember­gischer Kunstverei­n Stuttgart

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