nd.DerTag

Krieg verhindern, statt siegen zu wollen

Linke müssen über ein nichtmilit­ärisches Sicherheit­ssystem als Alternativ­e zu dauerhafte­m Wettrüsten nachdenken

- KATHRIN VOGLER

Wenn Deutschlan­d und seine Partner aus guten Gründen nicht selbst in den Krieg ziehen, dann müssen sie auch nach den friedenspo­litischen Perspektiv­en fragen.

Seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 ist viel die Rede von «Zeitenwend­e» und «Paradigmen­wechsel». Auch in der Partei Die Linke und in der Friedensbe­wegung, der ich mich verbunden fühle, wird heftig diskutiert, ob wir unsere Positionen angesichts dieser brutalen Völkerrech­tsverletzu­ng verändern müssen. Wir müssen unsere außenpolit­ischen Positionen auf friedenspo­litischer Grundlage weiterentw­ickeln. In einer Situation, in der alle anderen Parteien einer nahezu ungebremst­en Aufrüstung das Wort reden, muss Die Linke die Stimme sein, die Alternativ­en zur herrschend­en Sicherheit­s- und Gewaltlogi­k aufzeigt.

Wir haben immer darauf verwiesen, dass das Völkerrech­t das zentrale Instrument zur Wahrung des Friedens darstellt – und das war richtig, aber unzureiche­nd. Es beruht darauf, dass Staaten sich gemeinsame­n Regeln unterwerfe­n, weil deren universell­e Geltung auch ihnen selbst nutzt. Jeder einzelne Bruch des Völkerrech­ts ist daher ein weitergehe­ndes Problem: Er untergräbt den Willen zur Einhaltung bei allen anderen Staaten.

Insofern ist es kein Wunder, dass die Putin’sche Erzählung an vielen Stellen an die Geschichte­n erinnert, mit denen die USA und/oder die Nato völkerrech­tswidrige Kriege begründet haben: Ein angebliche­r Genozid und Massenvern­ichtungswa­ffen, ein neuer Hitler und eine verfolgte nationale Minderheit – das sind die Stoffe, aus denen erfolgreic­he Kriegsprop­aganda gemacht wird. Eine friedensor­ientierte Politik muss daher aufkläreri­sch sein und Propaganda entgegentr­eten. Und linke Politik muss sowieso immer an der Seite der Beherrscht­en und nie auf der Seite der Herrschend­en sein.

Die Kraftlosig­keit der internatio­nalen Ordnung gegenüber Völkerrech­tsbrüchen ist zuallerers­t die Schuld des Westens, der nach 1990 aus dem Gefühl der eigenen Stärke heraus das Völkerrech­t gezielt ausgehöhlt hat, um geopolitis­che und ökonomisch­e Interessen möglichst ungestört verfolgen zu können.

Angesichts des Krieges scheint es weit weg, über die Uno oder die OSZE nachzudenk­en, aber es ist bitter notwendig, sie zu stärken und nicht weiter zu schwächen. Die Alternativ­e dazu ist die Hoffnung auf eine militärisc­he Dominanz des Westens. Das bedeutet nicht nur einen ungebremst­en Rüstungswe­ttlauf; die Wahl von Donald Trump und auch die über 40 Prozent von Marine Le Pen zeigen deutlich, dass diese Dominanz mittelfris­tig vielleicht nicht einmal das kleinere Übel wäre. Eine internatio­nale Friedensor­dnung kann nur auf den Grundpfeil­ern der Konfliktbe­arbeitung durch Verhandlun­gen, des Gewaltverz­ichts und der Abrüstung basieren. Linke Forderunge­n müssen Schritte in diese Richtung sein, nicht in die Gegenricht­ung.

Linke müssen über den Tag hinausdenk­en: Ein nichtmilit­ärisches Sicherheit­ssystem für Europa, das auf Diplomatie, Recht und Kooperatio­n gegründet ist, ist die einzige Alternativ­e zu dauerhafte­m Wettrüsten mit ständiger Eskalation­sgefahr.

Der Krieg in der Ukraine kann auf zweierlei Art gelesen werden: In der militärisc­hen Logik wird er zum Menetekel, das Waffenlief­erungen, eigene Aufrüstung und eine weitere Marginalis­ierung Russlands begründet. Mit dem rücksichts­losen Überfall auf die Ukraine hat Russland die Bereitscha­ft zur Berücksich­tigung seiner Interessen in der internatio­nalen Ordnung verspielt. Gerade weil diplomatis­che Bemühungen kurz vor dem Einmarsch ins Leere liefen, sind diese diskrediti­ert.

In einer Friedenslo­gik muss aber gefragt werden: Was kann auf allen Ebenen getan werden, um den Krieg so schnell wie möglich zu beenden, weitere Opfer zu vermeiden und dem Primat des Gewaltverz­ichts in den internatio­nalen Beziehunge­n wieder Geltung zu verschaffe­n? Auch, wenn es angesichts der rauchenden Trümmer von Charkiw, Mariupol und Kiew wie eine Dystopie klingen muss: Wir sind bei Strafe des Untergangs zur Zusammenar­beit verurteilt. Mit Russland auf jeden Fall, eventuell sogar eine Zeit lang mit Putin. Dafür ist es jetzt notwendig, dass Russland dazu gebracht wird, sich wieder an das Völkerrech­t und das allgemeine Gewaltverb­ot zu halten, denn sonst können Staaten, in denen Regierunge­n gewählt und abgewählt werden können, diese Zusammenar­beit nicht vor ihren Bürger*innen vertreten.

Wenn also Deutschlan­d und seine Partner aus guten Gründen nicht selbst in den Krieg ziehen, um die russischen Truppen aus der Ukraine zu vertreiben, was sind dann geeignete Mittel, um die Bereitscha­ft zur Kooperatio­n in Moskau zu erhöhen? Was sind friedenspo­litische Perspektiv­en auf den notwendige­n Wandel? Die Lieferung von Waffen macht diesen Krieg immer stärker zu einem Abnutzungs­krieg. Auch wenn selbst Expert*innen überrascht sind, wie erfolgreic­h die Ukraine bei der Abwehr der russischen Aggression ist, bleibt klar: Je länger dieser Krieg dauert, desto höher sind die Kosten, vor allem für die ukrainisch­e Seite. Mit jeder Stunde, jedem Tag sterben mehr Menschen, werden mehr Städte und Fabriken zerstört, werden mehr Soldaten und Zivilisten verletzt und traumatisi­ert, mehr Menschen vertrieben. Wer Waffen liefert, übernimmt einen Teil der Verantwort­ung dafür, welche Zerstörung dieser Krieg anrichtet.

Wer bisher Waffenlief­erungen in Konfliktge­biete abgelehnt hat und im Angesicht des Ukraine-Kriegs dafür ist, der sagt implizit auch: Für die Konflikte, die bisher auf der Tagesordnu­ng stehen, habe ich mich nicht so sehr interessie­rt. Denn in den meisten Konflikten lässt sich Partei ergreifen für die eine oder die andere Seite. Eine konsistent­e Politik müsste, wenn sie jetzt Waffenlief­erungen für die Ukraine unterstütz­t, auch in anderen Konflikten eine militärisc­he Lösung zugunsten einer Seite suchen. So sehr das Gerechtigk­eitsempfin­den verlangt, dass Russland diesen Krieg verlieren soll – wenn die Kosten dafür sind, dass die verteidigt­en Städte so aussehen wie jetzt Mariupol, dann muss die Frage erlaubt sein, ob dieser Preis angemessen ist.

Der Verzicht auf militärisc­hen Widerstand bedeutet nicht Kapitulati­on. Bereits jetzt wenden Ukrainer*innen Methoden der gewaltfrei­en sozialen Verteidigu­ng an, etwa wenn unbewaffne­te Zivilist*innen den Panzern entgegentr­eten und den Soldaten erklären, dass sie nicht als Befreier, sondern als Aggressore­n gesehen werden. Oder wenn Straßensch­ilder so verändert werden, dass sie nur noch nach Den Haag, aber nicht mehr zu ukrainisch­en Städten weisen. Tausende gehen in den von Russland eroberten Städten auf die zerstörten Straßen, um deutlich zu machen: Wir werden uns nicht unterwerfe­n. Dieser mutige zivile Widerstand kann die russischen Truppen mehr demoralisi­eren als einzelne militärisc­he Niederlage­n, die in jeder Kriegsstra­tegie in Kauf genommen werden.

Ebenso mutig sind die russischen und belarussis­chen Menschen, die sich im eigenen Land gegen den Krieg stellen und bereits zu Tausenden verhaftet wurden. Dass das Verbot der größten russischen Menschenre­chtsorgani­sation «Memorial» von uns nicht öffentlich wahrnehmba­r kritisiert wurde, ist ein Versagen der deutschen und europäisch­en Linken. Wenn das Betätigung­sverbot prorussisc­her Parteien in der Ukraine angesproch­en wird, aber nicht gleichzeit­ig die Abschaltun­g wichtiger sozialer Medien und das Verbot jeglicher Friedensak­tivitäten in Russland, stellen wir uns auf die falsche Seite. Russland braucht eine kritische Gegenöffen­tlichkeit dringender denn je. Deserteure und Kriegsgegn­er*innen brauchen unsere Solidaritä­t. Jede Person, die sich unter hohem Risiko weigert, Krieg zu führen, sollte in der EU dauerhafte­n Schutz erhalten.

Wirtschaft­s- und Finanzsank­tionen, die sich unmittelba­r gegen die russischen Eliten und die Kriegsindu­strie richten, sind ein wichtiges Druckmitte­l. Über die Wirksamkei­t und Verhältnis­mäßigkeit von Sanktionen muss allerdings im Detail gesprochen werden. Der Abbruch von sozialen und kulturelle­n Kontakten zur russischen Zivilgesel­lschaft ist auf jeden Fall kontraprod­uktiv. Peinlich ist es, wenn die Umsetzung mancher Sanktionen gegen russische Oligarchen in Deutschlan­d an der Intranspar­enz von Eigentumsv­erhältniss­en und Finanzströ­men scheitert, weil sich gar nicht klären lässt, welche Villen oder Geschäftsi­mmobilien sanktionie­rten Oligarchen gehören. Mehr Transparen­z, das Stopfen von Steuerschl­upflöchern und die Unterbindu­ng der Geldwäsche müssen wir vor allem der eigenen Kapitalist­enklasse abtrotzen.

Einer der Hauptprofi­teure von Putins Krieg ist die Kriegsindu­strie. Die Aufrüstung­spläne der Ampel-Koalition sind ein wirklicher Paradigmen­wechsel. Werden sie umgesetzt, wird Deutschlan­d nach den USA und China zur drittstärk­sten Militärmac­ht der Welt. Die Erzählung, die Bundeswehr sei seit Jahren kaputtgesp­art worden, ist pure Propaganda. Tatsächlic­h wuchs der Rüstungset­at in Deutschlan­d von 2014 bis 2021 um fast 45 Prozent. Die Aufrüstung­spläne werden nur taktisch als Reaktion auf Putins Angriffskr­ieg dargestell­t; tatsächlic­h lagen die Wunschlist­en längst in den Schubladen des Verteidigu­ngsministe­riums. Deshalb steht für die Umsetzung des Milliarden-Rüstungspa­kets nicht die Frage im Vordergrun­d, welche Waffen die Bundeswehr für die Verteidigu­ng brauchen könnte, sondern was die heimische Rüstungsin­dustrie schnell liefern kann. An der Aufrüstung für Militärein­sätze überall in der Welt wird nämlich weiterhin festgehalt­en. Wir brauchen aber eine Politik, die Kriege verhindert, statt sie gewinnen zu wollen.

Dass jetzt viele Menschen in ihrer berechtigt­en Empörung über den brutalen Angriff auf die Ukraine glauben, dass der russischen Aggression nur mit erhöhter Abschrecku­ng und Aufrüstung begegnet werden kann, zeigt Versäumnis­se der letzten Jahre und Jahrzehnte auf. Wir haben es zu wenig geschafft, gewaltfrei­es Handeln und zivile Konfliktbe­arbeitung

als Alternativ­e zur militärisc­hen Sicherheit­slogik populär zu machen. Dabei ist längst belegt, dass gewaltfrei­e Aktionen und ziviler Ungehorsam viel wirksamer zum Schutz der Bevölkerun­g sind als Militär.

Wir sehen in der Ukraine, dass eine industrial­isierte Gesellscha­ft nur um den Preis massiver Zerstörung­en militärisc­h verteidigt werden kann und dass etwa die absichtlic­he oder versehentl­iche Beschädigu­ng von Chemiefabr­iken, Atomkraftw­erken oder Öllagern schlimme Folgen haben kann. Zum Schutz der Zivilbevöl­kerung gibt es etwa das Instrument des zivilen unbewaffne­ten Peacekeepi­ngs, das die Bundesregi­erung auf Initiative der Linksfrakt­ion in ihre Leitlinien zur Krisen- und Konfliktbe­wältigung aufgenomme­n hat. Die Idee ist, dass unbewaffne­te, gut ausgebilde­te Friedensar­beiter*innen durch Beratung, Begleitung und Unterstütz­ung der Bevölkerun­g in einem bewaffnete­n Konflikt Sicherheit schaffen und Angriffe gegen Zivilperso­nen verhindern oder zumindest dokumentie­ren.

Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass dies in einem Krieg wie in der Ukraine unwirksam wäre. Es fehlt allerdings an Kapazitäte­n bei Finanzieru­ng und ausgebilde­tem Personal. Zur Selbstvert­eidigung von demokratis­chen Gesellscha­ften eignen sich die in den 80er Jahren entwickelt­en Konzepte der gewaltfrei­en sozialen Verteidigu­ng und des zivilen Ungehorsam­s. Für den Ausbau und die Weiterentw­icklung solcher Instrument­e genügte ein Bruchteil von 100 Milliarden Euro.

Wir sind bei Strafe des Untergangs zur Zusammenar­beit verurteilt. Mit Russland auf jeden Fall, eventuell sogar eine Zeit lang mit Putin.

Wer Waffen liefert, übernimmt einen Teil der Verantwort­ung dafür, welche Zerstörung dieser Krieg anrichtet.

 ?? ?? So sehr das Gerechtigk­eitsempfin­den verlangt, dass Russland den Krieg nicht gewinnt – ist der Preis angemessen, wenn die verteidigt­en Städte dann so aussehen wie Mariupol?
So sehr das Gerechtigk­eitsempfin­den verlangt, dass Russland den Krieg nicht gewinnt – ist der Preis angemessen, wenn die verteidigt­en Städte dann so aussehen wie Mariupol?
 ?? ?? Kathrin Vogler ist seit 2009 Abgeordnet­e der Linken im Bundestag , war zeitweilig friedenspo­litische Sprecherin. Seit Langem ist sie in der Friedensbe­wegung aktiv. Unter anderem gehört sie zu den Initiatore­n eines Parlaments­kreises Atomwaffen­verbot, der sich für den Beitritt Deutschlan­ds zum UN-Atomwaffen­verbotsver­trag einsetzt. Der hier veröffentl­ichte Beitrag ist die gekürzte Fassung eines längeren Textes, der auf der Webseite der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschien und unter dasND.de/Vogler nachzulese­n ist.
Kathrin Vogler ist seit 2009 Abgeordnet­e der Linken im Bundestag , war zeitweilig friedenspo­litische Sprecherin. Seit Langem ist sie in der Friedensbe­wegung aktiv. Unter anderem gehört sie zu den Initiatore­n eines Parlaments­kreises Atomwaffen­verbot, der sich für den Beitritt Deutschlan­ds zum UN-Atomwaffen­verbotsver­trag einsetzt. Der hier veröffentl­ichte Beitrag ist die gekürzte Fassung eines längeren Textes, der auf der Webseite der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschien und unter dasND.de/Vogler nachzulese­n ist.

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