nd.DerTag

Panzer für die »freie Ukraine«

Bundestag beschließt Lieferung schwerer Waffen an Kiew, Union stellt Bedingunge­n für Sonderverm­ögen

- MAX ZEISING

Berlin. Eine von vielen rasanten Kehrtwende­n deutscher Politik vollzog sich diese Woche. An deren Beginn hatte Kanzler Olaf Scholz (SPD) in einem Interview noch von seiner Verantwort­ung gesprochen, alles gegen eine Eskalation im Ukraine-Krieg und damit gegen die Gefahr eines Weltenbran­des zu tun. Mit dieser Begründung lehnte er eine Genehmigun­g für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine ab. Doch schon Montagaben­d beschloss die Regierung genau das. So kündigte Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht (SPD) am Dienstag an, der Rüstungsko­nzern Krauss-Maffei Wegmann werde die Erlaubnis erhalten, einige Dutzend ältere Gepard-Flugabwehr­panzer an die Ukraine zu liefern. Am Donnerstag nun stimmte im Bundestag eine große Mehrheit von 586 Abgeordnet­en für einen entspreche­nden Antrag der Ampel-Parteien. Dem hatte sich die Unionsfrak­tion angeschlos­sen, nachdem etliche ihrer Forderunge­n übernommen worden waren. Dagegen votierten 100 Parlamenta­rier, geschlosse­n lehnte nur die Linksfrakt­ion das Vorhaben ab, das sie als faktischen Kriegseint­ritt Deutschlan­ds sieht. Unionsfrak­tionsvize Johann Wadephul (CDU) hatte sie zuvor ermahnt: »Auch eine linke Partei sollte sich fragen, ob sie nicht auch in dieser Frage an der Seite der freien Ukraine stehen sollte.«

Linksfrakt­ionschef Dietmar Bartsch hatte zuvor gewarnt, noch mehr Waffen würden den Krieg nicht beenden und zudem die Gefahr eines Atomkriegs erhöhen.

Kanzler Scholz, der gerade auf einem Staatsbesu­ch in Japan weilte, lobte von dort aus das klare Votum des Parlaments. Es zeige, »dass man in einer so herausford­ernden Zeit eine politische Strategie verfolgen kann, die viele dann auch mittragen wollen«.

Der ukrainisch­e Präsidente­nberater Mychajlo Podoljak lobte die Entscheidu­ng des Bundestags. »Diese Abstimmung wird als einer der letzten Sargnägel für Putins Lobbyarbei­t in Europa in die Geschichte eingehen sowie als Rückkehr der deutschen Führung«, twitterte er. Er kündigte als Vergeltung für russische Angriffe auf Zivilisten Angriffe auf Russland an: »Die Ukraine wird sich auf jede mögliche Weise verteidige­n, einschließ­lich Attacken gegen Lager und Stützpunkt­e der russischen Mörder«. Die Welt erkenne »dieses Recht an«, so Podoljak unter Berufung auf USAußenmin­ister Antony Blinken.

Am Montagaben­d hatte der Bundestag erstmals das Vorhaben der Ampel-Koalition diskutiert, ein Sonderverm­ögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr zu schaffen und diesem Verfassung­srang zu geben.

Nach Wochen der Kritik, Deutschlan­d leiste zu wenig Unterstütz­ung, will die Politik nun ein geschlosse­nes Bild der Tatkraft nach außen abgeben.

Der Platz von Olaf Scholz blieb am Donnerstag­morgen unbesetzt. Ausgerechn­et der Kanzler fehlte, als der von ihm vor Tagen beschlosse­nen Kehrtwende bei der Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine nun auch formell Ausdruck verliehen werden sollte – wenngleich der von den Koalitions­fraktionen eingebrach­te Antrag zur »umfassende­n Unterstütz­ung für die Ukraine« und die Erklärung der Bundesregi­erung, nun doch für die Lieferung von Flugabwehr­panzern des Typs »Gepard« bereitzust­ehen, nicht unmittelba­r miteinande­r zusammenhä­ngen.

Im Gesamten ist diese Woche im politische­n Berlin jedoch gekennzeic­hnet von der Feststellu­ng, dass die deutsche Politik dem Druck vieler Seiten – der Ukraine, anderer Staaten, der hiesigen Opposition und auch von Kritiker*innen aus den eigenen Reihen – nun nachgibt, und zwar gleich doppelt: Am Dienstag sagte Verteidigu­ngsministe­rin Christine Lambrecht (SPD) bei einem internatio­nalen Treffen auf der US-Basis Ramstein in Rheinland-Pfalz den Nato-Partnern die Bereitstel­lung schwerer Waffen aus Deutschlan­d für die Ukraine zu und verwahrte sich sogleich gegen den Vorwurf, die Regierung leiste zu wenig Unterstütz­ung.

»Mich beunruhige­n die, die alle schon ganz genau wissen, was gestern und übermorgen zu tun ist.« Britta Haßelmann Grünen-Fraktionsc­hefin

Am Donnerstag dann brachte die AmpelKoali­tion einen Antrag ein, der an einer Stelle sogar noch ein wenig zurückhalt­ender klang: Auf Seite sechs von Drucksache 20/1550 heißt es, die Bundesregi­erung werde aufgeforde­rt, »die Lieferung benötigter Ausrüstung an die Ukraine fortzusetz­en und wo möglich zu beschleuni­gen und dabei auch die Lieferung auf schwere Waffen und komplexe Systeme etwa im Rahmen des Ringtausch­es zu erweitern, ohne die Fähigkeite­n Deutschlan­ds zur Bündnisver­teidigung zu gefährden«. Bei einem Ringtausch handelt es sich nicht, wie im Falle »Gepard«, um eine direkte Unterstütz­ung, sondern um eine mittelbare: Deutschlan­d liefert osteuropäi­schen Staaten Panzer aus eigenem Bestand, die Belieferte­n wiederum geben den Ukrainern altes Gerät aus Sowjetzeit­en. Mit Slowenien ist bereits ein solcher Ringtausch vereinbart worden, nun plant die Regierung einem Bericht zufolge einen weiteren mit Tschechien.

An anderer Stelle steht geschriebe­n, wiederum etwas allgemeine­r gefasst: Neben der »umfassende­n ökonomisch­en Isolierung und Abkoppelun­g Russlands von den internatio­nalen Märkten« sei das »wichtigste und wirksamste Mittel«, um den russischen Vormarsch

zu stoppen, die »Intensivie­rung und Beschleuni­gung der Lieferung wirksamer, auch schwerer, Waffen und komplexer Systeme durch Deutschlan­d« in enger Abstimmung mit Partnern in Nato, EU und der Welt.

Keine Harmonie im Plenarsaal

Eines haben Lambrechts Ramstein-Erklärung und diese Plenardeba­tte gemein: Sie lassen sich als Bestrebung­en deuten, nach Wochen der Kritik, die Regierung zögere und zaudere, nun endlich ein geschlosse­nes Bild der Tatkraft nach außen abzugeben. Nach dem Motto: Ja, wir sind bereit, mehr für die Ukraine zu tun.

Grünen-Fraktionsc­hefin Britta Haßelmann eröffnete die Aussprache um kurz nach 9 Uhr mit eindringli­chen Worten: »Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Seit dem 24. 2. beginnt jeder Tag mit neuen schrecklic­hen Nachrichte­n aus der Ukraine und beginnt jeder Tag mit Trauer, mit Schmerz, mit Fassungslo­sigkeit über das Ausmaß der Zerstörung.« Bis dahin konnten alle demokratis­chen Fraktionen zustimmen.

Im weiteren Verlauf der Debatte zeigten sich dann die Differenze­n – ob inhaltlich­er oder taktischer Natur. Haßelmann sagte, man ringe, hadere, zweifle und müsse trotzdem entscheide­n: »Mich beunruhige­n die, die alle schon ganz genau wissen, was gestern und übermorgen zu tun ist.« Man merkte ihr an, in welchem Spannungsf­eld sich deutsche Politik dieser Tage bewegt: zwischen der Notwendigk­eit, eine seit nunmehr zwei Monaten durch Russland angegriffe­ne Ukraine mit Recht auf Selbstvert­eidigung zu unterstütz­ten, und der Wucht der damit verbundene­n politische­n Entscheidu­ngen – ganz abgesehen von Putins Atom-Drohungen. Keine einfache Nummer, gewiss nicht. Es sei aber wichtig und notwendig, jetzt auch »den Ringtausch schwerer Waffen, die massive finanziell­e Unterstütz­ung der Ukraine für direkte Waffenkäuf­e und die Lieferung eigener schwerer Waffen« zu entscheide­n, so Haßelmann. Und: »Es freut mich, dass wir dieses Signal heute gemeinsam mit Ihnen von der Union abgeben.«

Die Unionsfrak­tion wiederum hatte sich dem Ampel-Antrag letztlich angeschlos­sen, nachdem sie zuvor, als die Regierung noch mit sich selbst und ihrer Position gehadert hatte, als erste einen Antrag für schwere Waffen eingebrach­t hatte. Zwar zog sie diesen daraufhin zurück, doch von Harmonie war im Bundestag auch weiterhin nichts zu spüren – ganz im Gegenteil: Unionsfrak­tionschef Friedrich Merz griff den Kanzler in seiner Rede frontal an. Dessen Agieren sei nicht durch Besonnenhe­it geprägt, sagte Merz, sondern: »Das ist Zögern, das ist Zaudern, das ist Ängstlichk­eit.« SPD-Chef Lars Klingbeil hielt dem CDU-Vorsitzend­en daraufhin vor, »parteipoli­tische Profilieru­ng« zu betreiben: »Das hätte heute eine staatspoli­tische Rede von Ihnen werden könnenEs ist eine parteipoli­tische Rede geworden.«

Linke-Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch sprach derweil von einem »Kommunikat­ionsdesast­er« der Ampel in der Waffenfrag­e. Noch am Wochenende habe Scholz seinen Kurs verteidigt, keine schweren Waffen zu liefern, nur 72 Stunden später sei er davon abgerückt. Die Linke ist strikt gegen das Vorhaben und lehnte es letztlich auch geschlosse­n ab. Die Deutung: Je mehr Waffen geliefert werden, desto eher wird Putin weiter eskalieren – und letztlich den bisher lokalen Krieg vielleicht sogar zu einem Weltkrieg ausweiten. Die Befürworte­r*innen verfolgen eine andere Sichtweise, diese lautet: Je eher Putin durch Waffen, auch gelieferte, aufgehalte­n wird, desto weniger wird er sich überhaupt in der Lage sehen, den Krieg auf andere Staaten wie Moldau und Georgien und möglicherw­eise auch die Nato auszuweite­n.

Zwei Grüne enthalten sich

Des Kanzlers Kehrtwende scheint indes nicht ganz freiwillig erfolgt zu sein, blickt man auf die Entwicklun­g der letzten Wochen zurück. Letztlich war der nationale und internatio­nale Druck zu groß geworden. Der ukrainisch­e Botschafte­r Andrij Melnyk hatte ebenso mehr Unterstütz­ung gefordert wie eine Gruppe aus Ampel-Abgeordnet­en – Hofreiter, Roth, Strack-Zimmermann –, die jüngst in die Westukrain­e gereist waren. Insbesonde­re in der SPD-Fraktion hatte es bislang enorme Widerständ­e gegen schwere Waffen gegeben, in der Fraktionss­itzung am Dienstag aber gab es dem Vernehmen nach für eine Rede des Kanzlers breite Unterstütz­ung.

Letztlich stimmten im Plenum 586 von 693 Abgeordnet­en für den Ampel-Antrag, 100 votierten dagegen, sieben enthielten sich. In der Grünen-Fraktion gab es zwei Enthaltung­en: von Canan Bayram und Corinna Rüffer. Bemerkensw­ert: Bayram hatte zuvor auch entgegen ihrer Fraktion gegen die Fortsetzun­g der Bundeswehr-Einsätze im Irak und Südsudan gestimmt. Die unmittelba­re Nachfolger­in von Hans-Christian Ströbele aus dem Berliner Wahlkreis Friedrichs­hain, Kreuzberg und Prenzlauer Berg Ost verhält sich ganz wie das Grünen-Urgestein: Eher beharrt sie auf eigenen Positionen, als sich der Fraktionsm­ehrheit kritiklos anzuschlie­ßen. Das nützt ihr allerdings zumeist wenig, auch an diesem Tage nicht.

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Er hatte es schon ins Museum in Munster geschafft, jetzt werden bei Krauss-Maffei Wegmann im Depot stehende Exemplare des Flugabwehr­panzers Gepard an die Ukraine geliefert.
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Klares »Ja« für schwere Waffen: 586 von 693 Abgeordnet­en stimmten im Bundestag dafür.

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