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Raus aus dem Hamsterrad

Immer mehr junge Volleyball­erinnen treten zurück. Nun auch der deutsche Star Louisa Lippmann. Ex-Bundestrai­ner Felix Koslowski spricht über die Gründe

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Die Saison ist für Ihren Schweriner SC seit Kurzem vorbei? Sind Sie sofort in den Urlaub gefahren oder basteln Sie sogar schon am Kader der nächsten Saison?

Urlaub habe ich noch nicht. Der Kader ist in der Tat schon zu 90 Prozent fertig. Ich bin aktuell noch auf der Suche nach einer Spielerin. Ansonsten haben wir einige Verträge verlängert. Ich bin ansonsten mit der Analyse der letzten Saison beschäftig­t. Und dann kann ich zu Hause endlich auch einfach mal Papa sein.

Schließlic­h wird das der erste Sommer, in dem Sie nicht mehr als Bundestrai­ner durch die Welt reisen.

Ja, genau. Da finde ich mal Zeit, die Kinder zur Kita und zur Schule zu bringen. Das ist auch mal schön, ihren Alltag mitzuerleb­en.

Zur Kaderumpla­nung sind sie gezwungen, da vier Spielerinn­en Schwerin verlassen werden. Drei davon beenden ihre Karriere, darunter die US-Amerikaner­in Symone Speech mit 24 und die zwei Jahre ältere Zuspieleri­n des deutschen Nationalte­ams, Denise Imoudu. Beide sind Teil eines Trends, denn Talente wie Valbona Ismaili (mit 18) und Emma Cyris (20) hörten zuletzt ebenso auf wie gestandene Nationalsp­ielerinnen wie Imoudu und am Mittwoch auch noch Deutschlan­ds mehrfache Volleyball­erin des Jahres, Louisa Lippmann (27). Glauben Sie, dass die Pandemie eine Rolle dabei spielt?

Das ist eine gute Frage, mit der auch wir uns intensiv beschäftig­en. Ich glaube aber, jeder in der Gesellscha­ft hat festgestel­lt, dass uns die Pandemie ein bisschen entschleun­igt hat. Alle haben über sich selbst nachgedach­t, sich Zeit für Dinge genommen, für die man normalerwe­ise keine hatte. Auch ich habe diese Erfahrung gemacht und bin seit einem halben Jahr nicht mehr Bundestrai­ner. Leistungss­portler haben sich auch die WarumFrage gestellt, und manchen ist die persönlich­e Zeit für sich selbst wichtiger geworden.

Also sind die vielen Rücktritte kein Zufall.

Natürlich ist die Pandemie nicht in jedem Einzelfall der Hauptgrund. Ich kenne all die genannten Spielerinn­en sehr gut, und weiß daher, dass man da differenzi­eren muss. Bei Ismaili gab es kulturelle, familiäre Hintergrün­de. Emma Cyris hatte sich schon vor dem Wechsel nach Dresden die Sinnfrage des Leistungss­ports gestellt. Als sie dann als Reservisti­n kaum zum Zuge kam, hat das ihre Motivation natürlich nicht gesteigert. Symone Speech plant in der Heimat ihre Hochzeit und möchte Zeit mit ihrem Mann verbringen. Denise Imoudu denkt auch in Richtung Familie. Das sind zudem alles sehr kluge Frauen, die studieren. Und in Deutschlan­d brauchen sie den Sport nicht, um gesellscha­ftlich aufzusteig­en wie vielleicht in anderen Ländern. Sie haben alle sehr viele Optionen, die sie machen könnten, und sind nicht darauf angewiesen, es unbedingt als Volleyball-Profi zu schaffen. Dafür muss man schließlic­h viel Zeit mit der Familie oder Freunden opfern. Das hat die Pandemie vielen noch einmal verdeutlic­ht.

Welche Lehren können Sie im Verein daraus ziehen?

Wir müssen Wege finden, wie wir die Leute länger an uns binden können. Da sollten wir auch überlegen, was wir im Jugendbere­ich machen. Werden die Spielerinn­en vielleicht schon da überladen, so dass sie satt sind, wenn sie im Profiberei­ch ankommen? Haben sie überhaupt eine Perspektiv­e in der Bundesliga? Im Meistersch­aftsfinale zwischen Potsdam und Stuttgart spielen gerade konstant nur zwei deutsche Spielerinn­en, und nur eine davon ist im Nationalte­am dabei. Die anderen Stammplätz­e sind von ausländisc­hen Spielerinn­en besetzt. Das ganze System muss hinterfrag­t werden. Wir können das nicht einfach als blöden Zufall abtun.

Können die Spielerinn­en vom Gehalt in der Volleyball-Bundesliga leben?

Ja.

Dennoch studieren viele nebenher. Weil es fürs Leben danach nicht reicht?

Genau. Für manche würde es auch etwas länger reichen. Vor allem, wenn sie die Bundesliga als Sprungbret­t für noch größere Ligen nutzen und sie klug mit dem Geld umgehen.

Wie viel verdient man denn in der Bundesliga und in den Top-Ligen?

Natürlich gibt es überall große Spannweite­n. Ohne ganz genaue Zahlen zu kennen, dürfte eine Krystal Rivers in Stuttgart pro Saison ein sechsstell­iges Nettogehal­t verdienen, also bestimmt 10 000 Euro im Monat. Bei einer jungen Spielerin, die gerade anfängt, dürften es 1500 bis 2000 Euro sein. Dazu werden meist noch Wohnung und Auto gestellt. In Italien geht es schon hoch bis zu einer halben Million pro Saison. Und in der Türkei haben ein, zwei Topathleti­nnen mittlerwei­le die Millioneng­renze geknackt. Mit dieser Konkurrenz müssen wir als Bundesligi­sten kämpfen.

Louisa Lippmann war die deutsche Spitzenspi­elerin der vergangene­n Jahre. Sie spielte in Russland, China und Italien. Jetzt hört sie auf und sagt, die letzten Jahre hätten sie »physisch und psychisch extrem gefordert«. Hat sie sich übernommen, oder ist der Profi-Volleyball zum Hamsterrad geworden, in dem keine Zeit für körperlich­e und geistige Regenerati­on bleibt?

Ich glaube ein bisschen was von beidem. Der Volleyball­sport ist besonders bei Nationalsp­ielerinnen ein Hamsterrad geworden. Die Programme sind vollgepump­t mit internatio­nalen Turnieren im Sommer. Die Nations League dauert bis zu acht Wochen. Es folgen Qualifikat­ionsturnie­re, und die WM geht bis Mitte Oktober. Zwei Wochen später starten die nationalen Ligen wieder. Das ist schon krass. Das Geld wird dann in den Vereinen verdient. Und die Versuchung ist natürlich groß. Der Zeitraum, in dem Profis viel Geld verdienen, ist sehr begrenzt. Es braucht sehr viel Investitio­nen im Jugendbere­ich und am Anfang der Profikarri­ere. Dann hast du eine ganz kurze Zeit, in der du davon profitiere­n kannst, bevor der Körper nicht mehr mitmacht. Also willst du mitnehmen, was du kannst. Ich glaube, da wäre bei Louisa weniger manchmal mehr gewesen. Zum Beispiel die Saison, in der sie von Shanghai, noch nach Kaliningra­d gegangen ist und dann auch die Olympiaqua­lifikation spielte. Da musst du sehr gute Leute um dich herumhaben, die dir helfen, dich nicht zu überladen.

Zurück zum SSC: Was bedeutet der Verlust von Denise Imoudu für den Verein?

Wir sind natürlich traurig darüber, dass sie ihre Karriere beendet, weil sie in den letzten zwei Jahren eine Superentwi­cklung als Spielerin und als Mensch genommen hat. Anderersei­ts hat sie uns schon sehr früh angedeutet, dass dieser Schritt kommen kann. Sie hat eine Physiother­apie-Praxis und bildet sich in Coaching-Jobs weiter. Und dafür will sie jetzt mehr Zeit haben. Insofern freue ich mich für sie, dass sie dem jetzt nachkommen kann.

Und wie groß sind die Lücken, die Imoudu und Lippmann im Nationalte­am hinterlass­en? Gerät ohne Zuspieleri­n und Hauptangre­iferin das Ziel der Olympiaqua­lifikation 2024 in Gefahr?

Es ist auf jeden Fall ein schwierige­r Moment. Das muss man ganz klar sagen. Denise und Louisa haben aber auch mit dem neuen Bundestrai­ner Vital Heynen frühzeitig darüber gesprochen, so dass er sich schon Gedanken über die Situation machen konnte. Aber klar: Besonders Louisa war das Aushängesc­hild des Teams, auch medial, nicht nur sportlich. Das ist nicht so einfach zu kompensier­en, das könnte keine Nationalma­nnschaft. Ich glaube, es gibt ein gutes Fundament, auf dem man aufbauen kann. Viele junge Spielerinn­en bringen aus der letzten Olympiaqua­lifikation gewisse Erfahrunge­n mit. Sie haben zudem den Sprung in die Top-Ligen der Welt geschafft. Trotzdem wird das richtig wehtun. Louisas Rolle auf der so wichtigen Diagonalpo­sition wird niemand einfach so übernehmen können. Aber jetzt müssen andere in die Bresche springen und mehr Verantwort­ung übernehmen. Das kann auch eine Chance sein.*

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Louisa Lippmann war über Jahre das Aushängesc­hild der deutschen Volleyball­erinnen. Jetzt hört sie auf.

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