nd.DerTag

Lieferando erhält für die »Totalkontr­olle« seiner Beschäftig­ten den diesjährig­en Big-Brother-Award

- ROBERT D. MEYER

Sie gehören längst genauso selbstvers­tändlich zum Stadtbild wie jene Restaurant­s und Imbissbude­n, deren Speisen und Getränke sie täglich ausliefern: Beschäftig­te auf Fahrrädern, leicht erkennbar an ihren meist orangefarb­enen Taschen und Jacken, die sie als Mitarbeite­r*innen von Lieferando ausweisen. Das in Deutschlan­d zur yd. yourdelive­ry GmbH gehörende Unternehme­n beschäftig­t bundesweit mehrere tausend sogenannte Rider*innen. Neben Rad und Rucksack verfügen alle Fahrer*innen über ein drittes wichtiges Arbeitsmit­tel, das unverzicht­bar für ihren Job ist: ein Smartphone, auf dem die App Scoober installier­t ist, die selbst aus dem Lieferando-Universum stammt.

Im Kern ist der Einsatz dieses kleinen Programms nachvollzi­ehbar: Die App dient dazu, die Arbeit der Lieferando-Fahrer*innen zu koordinier­en, Aufträge, Bestellung­en, Rider*innen und Lieferadre­ssen miteinande­r zu verzahnen. »Das wäre alles auch nicht so schlimm, das kritisiere­n wir ausdrückli­ch nicht, dass es da eine App gibt, die den Fahrerinne­n und Fahrern sagt, ihr müsst jetzt zum Restaurant x fahren und die Bestellung bei Familie z abliefern«, sagt Peter Wedde, Professor für Arbeitsrec­ht an der Frankfurt University of Applied Sciences.

beschäftig­t und erklärt, dass die dauerhafte Überwachun­g der Arbeitslei­stung »klar rechtswidr­ig« sei. Das Problem: Brink ist für Lieferando formal nicht zuständig, da der Mutterkonz­ern Just Eat Take Away in den Niederland­en sitzt.

Wie fragwürdig Scoober ist, zeigten 2021 Recherchen des Bayerische­n Rundfunks (BR). Die Journalist*innen konnten Daten auswerten, die über die App gesammelt werden. Möglich ist dies, weil Mitarbeite­r*innen auf Grundlage der Datenschut­zgrundvero­rdnung ein Recht darauf haben zu erfahren, welche personenbe­zogenen Informatio­nen ein Unternehme­n über sie speichert. Laut BR-Auswertung werden im Fall von Lieferando pro Liefervorg­ang 39 Datenpunkt­e durch die Scoober-App erhoben und gespeicher­t, offenbar auch personalis­iert über Jahre. Im Fall eines Riders wurden über 100 000 Datenpunkt­e erfasst, gespeicher­te Infos reichten teilweise bis 2018 zurück.

Auf die Vorwürfe angesproch­en, erklärte Lieferando, der App-Einsatz entspreche den geltenden Datenschut­zbestimmun­gen und sei für den Lieferserv­ice notwendig. Auch finde keine »unerlaubte Leistungs- oder Verhaltens­kontrolle« statt.

Arbeitsrec­htler Wedde betont in seiner Begründung für die Verleihung des Big-Brother-Awards an Lieferando noch andere strittige Punkte. So liege den Fahrer*innen die Datenschut­zerklärung von Lieferando nur auf Englisch vor. »Rechtsengl­isch ist keine klare und verständli­che Sprache«, wie sie aber von der Datenschut­zgrundvero­rdnung vorgeschri­eben werde. Problemati­sch sei außerdem, dass die Scoober-App mit weiteren Diensten verknüpft ist. »Über die App wird eine Reihe von Internettr­ackern versorgt für Zwecke, die möglicherw­eise auch legitim sind, wenn man da zum Beispiel Google Maps oder ähnliches einbaut. Dann könnte es sein, dass das gebraucht wird, um etwa die

Routen zu steuern. Es sind aber eine ganze Reihe mehr Tracker, die da Daten übermittel­n. Darüber wissen die Fahrer in der Regel nichts«, so Wedde. Die Tracker einfach abschalten dürften die Fahrer*innen laut dem Experten nicht, weil es in Lieferando­s Datenschut­zerklärung heißt, dann könnte ein Arbeitsrec­htsverstoß vorliegen.

Christoph Schink von der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n (NGG) teilt die Kritik. »Wir haben große Zweifel, ob die von Lieferdien­sten verwendete­n Apps in dieser Form zulässig sind«, sagt der Referatsle­iter Gastgewerb­e »nd.DieWoche«. Die Grenze des Zulässigen sei da erreicht, wo Daten erhoben, verarbeite­t und gespeicher­t werden, die für das Geschäft nicht erforderli­ch sind. Allerdings gebe es auch Fortschrit­te, manches sei nicht mehr so »wildwestmä­ßig« wie noch vor wenigen Jahren. Beim Lieferdien­st Foodora sei es früher etwa der Fall gewesen, dass Kund*innen bei der Bestellung den Namen der zustellend­en Rider*in sehen konnten. »Es muss der Grundsatz der Datenspars­amkeit gelten«, sagt Schink.

Weitere Big-Brother-Preisträge­r

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Zeit für eine Pause? Die Scoober-App sieht und merkt sich das.

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