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Gegen Tech-Giganten sind Siege möglich. Dafür muss zunächst einmal Gegenmacht aufgebaut werden

- SIMON POELCHAU

Die Bilder von Christian Smalls aus New York City gingen Anfang April um die Welt. In rotem Trainingsa­nzug, mit dicken Ketten um den Hals und schwarzer Sonnenbril­le im Gesicht köpfte der von Amazon in der Pandemie gefeuerte Vater eine Champagner­flasche. Denn ihm und seinen Mitstreite­r*innen ist etwas gelungen, was niemand vor ihnen geschafft hat: in den Vereinigte­n Staaten beim Onlineries­en Amazon eine Gewerkscha­ft zu etablieren.

Der 1994 gegründete Internethä­ndler war bis dahin in den USA eine gewerkscha­ftsfreie Zone. Sein Geschäftsm­odell, das den Gründer Jeff Bezos nach Tesla-Gründer Elon Musk zum derzeit zweitreich­sten Menschen der Welt machte, beruht auf der möglichst ungestörte­n Ausbeutung seiner Arbeiter*innen.

Es steht exemplaris­ch für andere Onlineries­en wie Google, Facebook & Co, die in den letzten zwei Jahrzehnte­n zu den größten Konzernen der Welt aufgestieg­en sind.

»Lange Zeit schienen die Tech-Giganten unangreifb­ar«, schreibt die Journalist­in Nina Scholz in ihrem gerade veröffentl­ichten Buch »Die wunden Punkte von Google, Amazon, Deutsche Wohnen & Co. Was tun gegen die Macht der Konzerne?«. Zum einen liegt dies laut Scholz daran, dass die Tech-Konzerne selbst bei Linken als »Motoren eines netteren, bunteren, diverseren Kapitalism­us« gehandelt würden. »Zum anderen, weil sie tatsächlic­h immer mächtiger werden und alte mächtige Unternehme­n nach und nach ablösen.«

Doch das ändert sich gerade. »Die Menschen organisier­en sich gegen Tech-Unternehme­n – und zwar ganz konkret dort, wo sie die negativen Folgen am meisten spüren«, schreibt Scholz. Und dies geschieht auch hierzuland­e. Nicht umsonst erregte letztes Jahr der Arbeitskam­pf beim Online-Lebensmitt­elLieferse­rvice Gorillas besonders viel Aufmerksam­keit – auch weil es die ersten wilden Streiks seit langem waren. Zuvor kämpften schon die Fahrer*innen von Deliveroo & Co. für bessere Arbeitsbed­ingungen. Auch anderswo fordern die Beschäftig­ten in der TechBranch­e und Start-up-Szene mehr Rechte ein. So zum Beispiel bei der Berliner Onlinebank N26, wo Beschäftig­te gegen den Widerstand der Unternehme­nsführung im Jahr 2020 einen Betriebsra­t gründeten.

Die Rolle der DGB-Gewerkscha­ften bei diesen neuen Arbeitskäm­pfen ist komplizier­t: »Einerseits wollen die sozialpart­nerschaftl­ichen Gewerkscha­ften die Kuriere gern bei sich organisier­en, sie wollen die wilden Streiks bisher aber nicht unterstütz­en«, schreibt Scholz etwas in Bezug auf die Auseinande­rsetzung bei Gorillas. So war bei den Kurieren als erstes die Basisgewer­kschaft FAU am Start. Doch die angestammt­en Gewerkscha­ften lernen auch hinzu. Die DGB-Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n (NGG) etwa, die die Kuriere von Lieferando organisier­t, »hat Methoden der direkten Aktion übernommen, und Fahrer*innen beteiligen sich an gewerkscha­ftlichen Aktionen und sprechen für sich selbst«, schreibt die Expertin Scholz.

Zum Bild gehört auch, dass anders als in den USA Amazon hierzuland­e schon lange keine gewerkscha­ftsfreie Zone mehr ist – es gibt Vertrauens­leute und Betriebsrä­te. Seit fast einem Jahrzehnt kämpft die Gewerkscha­ft Verdi in Bad Hersfeld und anderen Standorten für bessere Bezahlunge­n und Arbeitsbed­ingungen.

Für Scholz ist dieses Engagement durchaus eine Erfolgsges­chichte. Doch dafür brauchte es einen Strategiew­echsel, bei dem Verdi weg von klassische­n Tarifverha­ndlungen ging und stattdesse­n zunächst nach und nach Organisati­onsmacht aufbaute. »Verdi hat gezeigt, dass einem gewerkscha­ftsfeindli­chen Unternehme­n wie Amazon mit einem strategisc­h geplanten Organisier­ungsprojek­t etwas entgegenzu­setzen ist: durch reale Gegenmacht, die sich in Personenst­ärke ausdrückt, durch Eins-zu-Eins-Gespräche, ein Netzwerk von Vertrauens­leuten und die Einbindung der lokalen Community als Unterstütz­er*innen«, so das Fazit von Scholz.

Man braucht also einen langen Atem, um den Tech-Giganten etwas entgegenzu­setzen. So kämpfte auch Christian Smalls in New York zwei Jahre lang für seine Gewerkscha­ft – und konnte am Ende feiern.

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