Ich habe eine Verwaltungsund die Projektkoordinationsstelle.
Was machen Sie innerhalb der Poliklinik Veddel?
Irina Wibmer:
Hat die Corona-Pandemie auf der Veddel die Probleme verschärft? Wibmer: Auf jeden Fall. Mittlerweile ist vielfach wissenschaftlich belegt worden, was wir auf der Veddel als unterprivilegiertem Stadtteil erlebt haben und noch erleben: Die Covid-19-Pandemie verstärkt die Belastungen auf vielen Ebenen: die beengten Wohnverhältnisse, die Überlastung durch Homeschooling – insbesondere, wenn man das Gefühl hat, seine Kinder gar nicht ausreichend anleiten zu können –, wenig Homeofficemöglichkeiten, Arbeitsplatzverlust – dies trifft besonders Leute in prekären Beschäftigungsverhältnissen ohne Recht auf Transferleistungen –, kein Anrecht auf Kurzarbeit bei unangemeldeten, inoffiziellen Arbeitsverhältnissen, die es hier viel gibt.
Hinzu kommt, dass die medizinische Versorgungsqualität nicht nur im stationären, sondern auch im ambulanten Sektor enorm unter dem Management der Pandemie leidet: Wir sind für die ganz normale hausärztliche Versorgung in einem Stadtteil zuständig, in dem die Leute ohnehin überdurchschnittlich jung schon überdurchschnittlich krank sind. Und: Wir sind die einzige hausärztliche Praxis mit zwei Kassensitzen für die 4700 Leute auf der Veddel. Da die hausärztlichen Praxen auch die Ansprechpartner*innen für alle coronabezogenen Fragen und Aufgaben sind, kamen in Hochzeiten bis zu 70 PCR-Tests, Schnelltests, Nachfragen zu den Befunden und zu Symptomen, das Informieren der positiv getesteten Patient*innen und so weiter hinzu. Wir arbeiteten im Akkord, machen immer noch viele Überstunden, versuchen nach Möglichkeit, Personal aufzustocken und sind faktisch trotzdem nicht mehr telefonisch erreichbar, was dazu führt, dass noch mehr Leute vorbeikommen, um ihre Anliegen direkt zu besprechen. Wir können sehr viel weniger Termine zur regulären Versorgung anbieten, weil unentwegt das Telefon klingelt und gleichzeitig vor der Tür eine Schlange von manchmal über 30 kranken Menschen steht. Noch ist nicht absehbar, wie stark sich dieses schlechtere Versorgungsangebot auf den Gesundheitszustand etwa von chronisch kranken Menschen auswirkt.
Aus unserer Sicht war es ein enormer Fehler, die Covid-19-bezogenen Aufgaben wie PCR-Testung, Aufklärung und Impfung in die hausärztliche Versorgungsstruktur zu verlegen. Dies trifft erneut unterprivilegierte Stadtteile härter als andere, weil hier angesichts der kaum vorhandenen Privatpatient*innen ohnehin weniger Praxen sind, die jetzt noch weniger Kapazitäten haben, weil sie die Aufgaben einfach nicht bewältigen können.
Aber Sie haben es geschafft, in der Pandemie politische Forderungen zu stellen: mehr Impfungen in armen Stadtteilen. Hat doch gut geklappt?
Schroeder: Wir sind relativ erfolgreich in dem, was wir machen – weil wir es einfach machen. Aber in unseren Forderungen sind wir nicht so erfolgreich, auch wenn sie vielfach aufgenommen wurden: Angesichts der hohen Inzidenzen auf der Veddel haben wir uns schon im April 2021 an die Sozialbehörde gewandt und vorgeschlagen, gemeinsam eine Impfoffensive für die Veddel zu starten. Wir haben die Aufnahme von Menschen, die in unterprivilegierten Stadtteilen wohnen, in die Impfpriorisierung gefordert. Wir wollten, dass die Hamburger Sozialbehörde mit uns eine Impfstrategie entwickelt, um die Leute auf der Veddel, die aufgrund ihrer Lebensumstände besonders von der Pandemie betroffen sind, durch eine frühzeitige Impfung besser zu schützen. Die Sozialbehörde hat geantwortet: Na gut, ihr könnt eine der zehn Schwerpunktpraxen werden und bekommt 100 Impfdosen mehr pro Woche. Wir waren schon im Frühjahr 2021 überlastet, aber da wir auf der Veddel die einzige hausärztliche Praxis sind, haben wir entschieden, dass unsere Priorität auf möglichst vielen Impfungen für den Stadtteil liegt. Kurz: Wenn es niemand sonst macht – also die Stadt ihrer Verantwortung nicht nachkommt –, bauen wir jetzt ein Stadtteil-Impfzentrum auf. Da die normale medizinische Versorgung weiterhin laufen musste, haben wir zusätzliche Impfer*innen, Leute für die Anmeldung und Dolmetscher*innen
gesucht und alles organisiert, was man sonst noch braucht. Das war erst mal ein riesiger zusätzlicher Aufwand in personeller und finanzieller Hinsicht. Viel ist ehrenamtlich gelaufen. Natürlich werden die Impfungen vergütet, aber eben erst ein halbes Jahr später. Das ist keine Besonderheit durch Corona, sondern der normale Vergütungsrhythmus, der es in dieser Situation nicht einfacher machte, den zusätzlichen Bedarf kurzfristig zu decken. Wibmer: Uns war es wichtig, das Impfen zusammen mit Leuten aus dem Stadtteil zu organisieren und Dolmetscher*innen aus dem Viertel zu gewinnen. Einerseits, um überhaupt umfassend über die Impfung aufklären zu können, andererseits aber auch, um die Akzeptanz im Stadtteil zu vergrößern und die Verbreitung der Informationen zu gewährleisten. Unsere Impfkampagne und das Stadtteil-Impfzentrum waren erfolgreich. Die Leute haben sich so gut aufgehoben