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Rostocker Forscher über den Zusammenha­ng von Sozialstat­us und Ausbreitun­g der Pandemie

- INTERVIEW: STEFFEN SCHMIDT

Sie haben für Deutschlan­d untersucht, wieweit Wohnort, Einkommen und andere sozioökono­mische Faktoren Einfluss haben auf das Risiko, sich mit Covid-19 zu infizieren. Was fiel dabei besonders auf? Das auffälligs­te Ergebnis war die Umkehrung des sozialen Gradienten, den wir im Verlauf der ersten Welle beobachten konnten. Also die Tatsache, dass zunächst Landkreise mit einem höheren sozioökono­mischen Status von einer stärkeren Verbreitun­g der Infektione­n betroffen waren und sich dieses Muster mit Beginn des Lockdowns beziehungs­weise im Verlauf der ersten Welle umkehrte. Dann waren eher sozioökono­misch schwache Landkreise betroffen. Ein ähnlicher Effekt fand sich auch für die zweite Welle. Auch hier waren mit zunehmende­r Dauer der zweiten Welle Infektions- und Sterberate­n besonders stark erhöht in Regionen mit niedrigem sozioökono­mischem Status und mit einem großen Anteil älterer Menschen, die in Pflegeheim­en leben.

Was unterschei­det Ihr Herangehen von bisherigen Studien?

Wir haben uns für einen datengetri­ebenen Ansatz entschiede­n, das heißt, wir haben eine sehr große Menge an Indikatore­n unterschie­dlichster gesellscha­ftlicher Bereiche auf Ebene der Landkreise in unsere Analysen einbezogen und mit einem Algorithmu­s aus dem Bereich des maschinell­en Lernens – ein Bereich der künstliche­n Intelligen­z – nach statistisc­hen Zusammenhä­ngen zu den Infektione­n gesucht. Wir sind nicht die einzigen mit einem solchen Vorgehen, aber viele andere Studien haben ihre Analysen eher auf wenige vorher ausgewählt­e Einflussfa­ktoren ausgericht­et. Wir werfen sozusagen einen umfassende­ren Blick auf die räumliche Verteilung der Pandemie als bei anderen Studien.

Ich lese heraus, dass soziale Schichten mit hoher Mobilität den Anfang der Pandemiewe­lle bestimmten. Sie machen das an Urlaubsrei­sen wohlhabend­erer Schichten fest. Spielt also Arbeitsmig­ration nur eine geringe Rolle?

Der Beginn der ersten Welle hing stark mit der Rückreise der Ski-Urlauber aus Hotspotgeb­ieten zusammen, wie die in unserer Studie enthaltene Informatio­n zur Entfernung einer Region vom Skiort Ischgl zeigt. Je weiter weg eine Region von Ischgl ist, desto niedriger waren die Inzidenzen. Dieser Einfluss nahm jedoch mit Fortschrei­ten der Welle ab und ab April 2020 fanden wir einen verstärkte­n Einfluss der internatio­nalen Vernetzung, gemessen durch den Saldo der internatio­nalen Zuund Fortzüge in einer Region. Wir vermuten, dass in Landkreise­n mit einem höheren Saldo an Zuzügen eine größere Gruppe in systemrele­vanten Berufen arbeitet und somit seltener die Möglichkei­t zum Homeoffice bestand. Im weiteren Verlauf der Pandemie sehen wir auch erhöhte Inzidenzen in stark landwirtsc­haftlich genutzten Regionen, was mit dem hohen Infektions­risiko von Saisonarbe­itern in der Landwirtsc­haft und von Arbeitern in Schlachthö­fen zusammenhä­ngt.

Wäre also die sinnvollst­e Maßnahme der Pandemiebe­kämpfung möglichst frühzeitig­e Einschränk­ung oder zumindest Kontrolle der Reisetätig­keit?

Bei neu auftretend­en Pandemien ist dies sicher nicht von der Hand zu weisen. Für die Entwicklun­g im kommenden Herbst sehen wir eher die Notwendigk­eit eines engmaschig­en Monitoring­s des Infektions­geschehens durch Testen, mit rechtzeiti­ger Reaktion in Hinblick auf medizinisc­he Maßnahmen wie (Booster-)Impfungen und das Tragen von Masken.

Sehen Sie wesentlich­e Unterschie­de zu anderen Industriel­ändern?

Unsere Analysen beschränke­n sich grundsätzl­ich auf Deutschlan­d und eine Übertragun­g auf andere Länder mit anderen Alters, Raum- und Sozialstru­kturen ist immer mit Vorsicht zu betrachten. Zumal sich auch die ergriffene­n Maßnahmen in Art und Zeitpunkt unterschei­den. Aber das Muster starker sozialer Unterschie­de im Infektions- und Sterbegesc­hehen, wie auch die besondere Vulnerabil­ität der älteren Bevölkerun­g in Pflegeheim­en konnten ähnlich wie in unserer Studie auch für andere Länder identifizi­ert werden.

Untersuchu­ngen aus Großbritan­nien und den USA sehen höhere Inzidenzen bei höheren Einkommen, aber mehr schwere Erkrankung­en bei geringen. Kommen Sie zu vergleichb­aren Ergebnisse­n?

Da wir in unseren Analysen für die erste Welle lediglich die gemeldeten Infektione­n angeschaut haben, können wir keine Aussagen über die Krankheits­schwere treffen. In der zweiten Welle zeigt sich aber ganz klar, dass in Regionen mit niedrigem sozialen Status die Sterblichk­eit höher war. Und dieser soziale Unterschie­d war sogar noch stärker als bei den Infektione­n. Dies zeigt eindeutig, dass die Krankheits­last in sozioökono­misch schlechter gestellten Schichten höher ist, was auch mit stärkerer Verbreitun­g chronische­r Vorerkrank­ungen zusammenhä­ngen kann.

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