Kuchen oder Diät
Das englische Sprichwort »You can’t have the cake and eat it« bedeutet so viel wie: »Man kann nicht alles haben«. Das ist richtig und falsch. Als Beschreibung stimmt der Satz, das Gemeine ist: Er gilt nicht für alle gleichermaßen, und er dient oft dazu, legitime Ansprüche derjenigen abzuwiegeln, die mehr wollen. Mehr Süßigkeiten. Oder mehr vom Leben als die erwartete Position am Herd oder am Schreibtisch. Die gesuchte Person ist ein Beispiel dafür.
Geboren wurde sie 1980 in Süddeutschland. Ihre Oma stammte aus Italien, ihr Opa aus Rumänien, ihr Ehemann aus Großbritannien. Studiert hat sie Politik, Philosophie und Psychologie. Eine Weile arbeitete sie als Sprachlehrerin. Seit 1999 engagierte sie sich politisch und das mit Erfolg. Gerade erst hatte sie den Sprung in die Bundespolitik geschafft. Eine ihrer ersten Amtshandlungen: Paragraf 219a abschaffen, um ärztliche Aufklärung über Schwangerschaftsabbrüche zu erlauben. Bevor sie Themen wie das Transsexuellengesetz, Parität oder die Istanbul-Konvention angehen konnte, endete ihre Karriere.
Keine Frage, ihr Rücktritt war geboten. Doch ungefähr alles daran war unangenehm. Von der fehlenden Unterstützung der vierfachen Mutter ausgerechnet durch die Partei, bei der die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zur rhetorischen DNA gehört, über die Kampagne der Konservativen und der Springer-Presse gegen eine halbwegs fortschrittliche Frauenministerin bis hin zu ihrer Entschuldigungsrede, während der sie wohl nicht einmal wusste, dass sie live war (ist ihr Presseteam eigentlich auch zurückgetreten?).
Mit ihrem Fall drängt sich die Frage auf: Entwickelt sich neben der Lücke beim Gehalt in unserem Land jetzt auch ein Gender-Rücktritts-Gap? Man denke nur an die vier Tage zuvor abgetretene NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU), an die Berliner Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) oder aktuell an die Linke-Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow. Gibt man Menschen eine Herrschaftsposition, benehmen sie sich – unabhängig vom Geschlecht! – oft daneben. Das Problem: Kein Scheuer, kein Seehofer, kein Scholz musste für viel schlimmere Skandale seinen Hut nehmen. Diese Politikerinnen verfügten wenigstens über so viel Restanstand, Konsequenzen zu ziehen, statt die Sache einfach auszusitzen wie die Herren der Nation.
Und die Moral von der Geschicht’? Frauen können nicht alles haben (Kinder, Karriere und vier Wochen Frankreichurlaub). Sie können den »Kuchen« nicht gleichzeitig »haben« und »essen«. Aber dank saftiger Diäten werden Politikerinnen wie die gesuchte, anders als die Sekretärin, die für einen Biss ins Frikadellenbrötchen gefeuert wurde, sicher auch in Zukunft nicht verhungern.