Beistand für die Armen
Die Sorge vor einer zunehmenden Verelendung war dominierendes Thema am Tag der Arbeit
Berlin. Die Existenzangst von Menschen mit kleinen Einkünften ist in den vergangenen Monaten spürbar größer geworden. Schließlich steigen die Preise rasant, viele sehen sich der beunruhigen Situation ausgesetzt, dass ihre Lebenshaltungskosten inzwischen höher sind als ihre Einkommen. Ihnen bleibt nichts anderes übrig, als sich einzuschränken.
Diese Entwicklung könne auch das von der Ampel-Koalition auf den Weg gebrachte Entlastungspaket nicht aufhalten, sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann auf einer Kundgebung zum Tag der Arbeit in Berlin. Die Maßnahmen seien zwar richtig, aber nicht ausreichend. Rentner müssten mit einbezogen und arme Menschen stärker entlastet werden. Den Blick auf die Einkommensschwachen richteten Rednerinnen und Redner auf zahlreichen Kundgebungen und Demonstrationen anlässlich des 1. Mai.
In Zeitz in Sachsen-Anhalt verteidigte die DGB-Landesleiterin Susanne Wiedemeier die beabsichtigte Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes zum 1. Oktober auf 12 Euro. Das verhindere »die schlimmsten Auswüchse von Lohndumping«, sagte sie und verteidigte diese Art der staatlichen Regulierung: »Für viele Menschen in SachsenAnhalt war der Mindestlohn die höchste Lohnerhöhung seit Langem.«
Reiner Hoffmann kritisierte in Berlin die Forderungen von Unternehmern nach einer Lohnzurückhaltung bei den anstehenden Tarifverhandlungen für rund zehn Millionen Beschäftigten in diesem Jahr. »In diesen Wochen werden 70 Milliarden Euro Dividenden an die Aktionäre ausgeschüttet«, erläuterte Hoffmann. »Viele Unternehmen sind Krisenprofiteure und fahren satte Extragewinne ein, man schaue nur auf die Mineralölkonzerne. Das geht gar nicht.« Nötig seien dagegen »anständige Tariflöhne und mehr Tarifbindung«.
Kritisch äußerte sich der Gewerkschaftsbund auch gegenüber den Aufrüstungsplänen der Bundesregierung. »Wir brauchen dieses Geld für Zukunftsinvestitionen in die Transformation«, so Hoffmann. »Und wir brauchen es für die Leistungsfähigkeit unseres Sozialstaats.« Militärische Friedenssicherung dürfe nicht zulasten des sozialen Friedens gehen.
Ein Zeichen der Solidarität sandte dagegen Bodo Ramelow (Linke) zum 1. Mai in Erfurt aus. Thüringens Ministerpräsident wünscht sich, dass »wir die Menschen einladen, in der heutigen Zeit nicht vor den Sorgen der Welt in die Knie zu gehen«. Die Welt sei zwar derzeit verrückt«, aber wir dürfen uns nicht verrückt machen lassen«, so sein Aufruf zur Besonnenheit.
Der 1. Mai stand in Deutschland im Schatten des UkraineKrieges. Der Streit um Waffenlieferungen war auch Thema auf den Kundgebungen. In Berlin stand zudem die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey wegen ihrer Sozialpolitik in der Kritik. Kurz vor der Landtagswahl will der Deutsche Gewerkschaftsbund in NordrheinWestfalen über Tarifgerechtigkeit sprechen. Das erntet nicht mal bei der CDU Widerspruch. Deren konkrete Politik allerdings spricht eine andere Sprache.
Es ist eine lange Strecke, die etwa 1500 Menschen aus der Dortmunder Innenstadt bis in den Westfalenpark im Süden der Stadt zurücklegen müssen. Angeführt wird die Demonstration von einem Jugendblock, der ruft auch immer wieder Parolen – für höhere Löhne, niedrigere Mieten und sogar gegen den Kapitalismus. Direkt dahinter mit einem Transparent »GeMAInsam Zukunft gestalten« läuft der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) zusammen mit den Spitzenkandidat*innen zur anstehenden Landtagswahl von SPD und Grünen, Thomas Kutschaty und Mona Neubaur, sowie der NRW-DGB-Chefin Anja Weber.
Es liegt nicht an der Demonstration des DGB, dass drum herum immer wieder Mannschaftswagen der Polizei auftauchen. Der Grund liegt ein paar hundert Meter nördlich, am Hauptbahnhof. Dort sammeln sich Anhänger der neonazistischen Partei Die Rechte. Auch sie veranstalten eine Mai-Demonstration. Das gab es in Dortmund schon öfter, weckt aber auch ungute Erinnerungen an das Jahr 2009. Damals griffen 300 Neonazis die Gewerkschaftsdemonstration an. Heute sind knapp über 200 Rechte nach Dortmund gekommen. Der Abschwung bei den Neonazis hält somit an, die Zeiten in denen sie über 1000 Menschen zu ihren Aufmärschen mobilisieren konnten, sind vorbei. Einzelne Kader sind weggezogen, andere inhaftiert worden. Die Szene ist geschwächt. Die Schwäche kann auch nicht dadurch überdeckt werden, dass die Neonazis für dieses Wochenende Kameraden aus ganz Europa zu einem Kongress eingeladen hatten. Die Delegationen aus Ländern wie Bulgarien, Frankreich und Ungarn sind klein.
Auch wenn die Nazis nicht mehr mobilisieren können wie früher, kritisieren Dortmunder Antifaschist*innen das Agieren des DGB. Es sei wichtig, die Nazis nicht »widerspruchlos demonstrieren zu lassen«, sagt Kim Schmidt von der Autonomen Antifa 170. Nazis den Tag zu »versauen« und eigene Inhalte zu setzen sei möglich.
Beim DGB sieht man das anders, dort heißt es bei der Maifeier im Westfalenpark, es sei wichtig, dass man »keinen Millimeter zur Seite gerückt« sei und den 1. Mai wie geplant durchgezogen habe. Es sind etwas seltsame Gesprächsformate, die der DGB bei seinem Fest im Westfalenpark organisiert hat. Ministerpräsident Hendrik Wüst darf mit der DGB-Landesvorsitzenden Anja Weber plaudern. SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty, der sich ein Kopf an Kopf Rennen mit Wüst liefert, teilt sich die Bühne mit den Spitzenkandidat*innen von FDP, Grünen und Linken.
Wüst gibt sich bei Sonnenschein und Bratwurst freundlich. Gegen die soziale Spaltung will er mehr für Kinder aus benachteiligten Familien tun. Tarifbindung findet er gut, hebt die Verdienste von NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) hervor. Wüst versucht sich in der sozialpartnerschaftlichen Tradition nordrhein-westfälischer Ministerpräsidenten zu inszenieren. »Die wichtigsten Dinge machen wir in NRW gemeinsam. Das bleibt auch so«, schließt er seinen Auftritt. Auf viele Forderungen, die vorher von DGB-Chefin Anja Weber geäußert wurden, etwa die Fragen nach der Tariftreue bei Landesaufträgen oder einer Vermögenssteuer antwortet Wüst nicht.
Ein bisschen stimmungsvoller als das Gespräch mit Wüst ist die Diskussion mit den Spitzenkandidaten der anderen Parteien. Thomas Kutschaty attackiert die Landesregierung mehrfach. Wüsts nette Worte passten nicht zur Politik der Landesregierung in den letzten fünf Jahren. Mona Neubaur von den Grünen, präsentiert sich als Modernisiererin. Die Grünen seien die Partei für einen sozialen Transformationsprozess. Jules ElKhatib von der Linken gibt sich oppositionell gegen CDU und SPD, stellt sozialpolitische Maximalforderungen. Beim Publikum kommt er fast genauso gut an wie Thomas Kutschaty. Nicht schlecht in der sozialdemokratischen Hochburg Dortmund.
Während es bei der Maikundgebung zwischen der Gewerkschaft und den Vertretern aus der schwarz-gelben Landesregierung freundlich zuging, steht in Nordrhein-Westfalen
ab der kommenden Woche eine harte Tarifauseinandersetzung an. Das Ultimatum der Gewerkschaft Verdi für einen Entlastungstarifvertrag an den sechs Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen ist am 1. Mai ausgelaufen. 100 Tage hatte die Gewerkschaft der Landesregierung als Trägerin der Kliniken Zeit gegeben, um sich mit ihr auf einen Tarifvertrag zu einigen. Hauptziel dabei, nach Vorbild der Berliner Charité, bessere Arbeitsbedingungen für das Krankenhauspersonal.
Bessere Arbeitsbedingungen, das heißt vor allem: mehr Personal. Unterbesetzungen und Berge an Überstunden sollen ein Ende haben. Die Ausbildung wieder ihren Namen verdienen und junge Beschäftigte nicht als Lückenbüßer an allen Ecken und Enden dienen. Von der schwarz-gelben Landesregierung haben die Krankenhausbeschäftigten zwar allerhand freundliche Worte bekommen, von einem Tarifvertrag ist man aber noch weit weg. Die Landesregierung beharrte lange darauf, dass es wichtig sei, nicht aus der Tarifgemeinschaft der Länder auszuscheren.
Im Westfalenpark sagt Ministerpräsident Wüst, dass es einen Entlastungstarifvertrag geben wird. Wie und wann das sein soll, sagt der Christdemokrat allerdings nicht. Am Montag will die Verdi die Ergebnisse der Urabstimmung unter den Krankenhausbeschäftigten bekannt geben. Es gilt als sicher, dass die sich für einen unbefristeten Streik aussprechen werden. Der Mai und die heiße Phase vor der Landtagswahl werden in Nordrhein-Westfalen also mit einem Streik beginnen.
Das Ultimatum der Gewerkschaft Verdi für einen Entlastungstarifvertrag an den sechs Universitätskliniken in Nordrhein-Westfalen ist am 1. Mai ausgelaufen.