nd.DerTag

Ukraine erhält weiter Rückhalt und Waffen

Vereinte Nationen und Internatio­nales Rotes Kreuz evakuieren Zivilisten aus Stahlwerk in Mariupol

- CYRUS SALIMI-ASL

Die USA sichern der Ukraine weitere Unterstütz­ung zu. Bundeskanz­ler Olaf Scholz verwehrt sich gegen Kritik an seiner Ukraine-Politik. Und CDU-Chef Friedrich Merz, will nun selbst nach Kiew.

In der ukrainisch­en Hafenstadt Mariupol hat eine internatio­nale Evakuierun­gsaktion zur Rettung von Zivilisten aus dem von russischen Truppen belagerten Stahlwerk begonnen. Beteiligt sind auch die Vereinten Nationen und das Internatio­nale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), wie ein IKRK-Sprecher bestätigte. In einem Konvoi aus mehreren Bussen wurden nach ersten Angaben bereits mehrere Dutzend Zivilisten aus dem Stahlwerk Asovstal gebracht.

Der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach am Sonntag von einer »ersten Gruppe von etwa 100 Menschen«, die evakuiert worden seien. »Jetzt arbeiten wir zusammen mit den UN an der Evakuierun­g von weiteren Zivilisten aus der Anlage«, schrieb er auf Twitter. Ukrainisch­en Angaben zufolge sollen in den Bunkeranla­gen des Werks noch etwa 1000 Zivilisten eingeschlo­ssen sein. Russland spricht von etwa 2500 Menschen, insbesonde­re Militärs und »ausländisc­hen Söldnern«.

Selenskyj hatte am Samstag in Kiew die Vorsitzend­e des US-Repräsenta­ntenhauses Nancy Pelosi empfangen. Sie wolle den Ukrainern »für ihren Kampf für die Freiheit« danken, sagte Pelosi in einem von der ukrainisch­en Präsidents­chaft veröffentl­ichten Video. »Wir verspreche­n, für Sie da zu sein, bis der Kampf beendet ist.« Es werde in Washington gerade daran gearbeitet, die von Präsident Joe Biden beim Kongress beantragte zusätzlich­e Unterstütz­ung von 33 Milliarden Dollar (rund 31 Milliarden Euro) für die Ukraine umzusetzen, so Pelosi.

Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) hat Kritik an seiner Ukraine-Politik zurückgewi­esen. »Ich treffe meine Entscheidu­ngen schnell – und abgestimmt mit unseren Verbündete­n. Übereiltes Agieren und deutsche Alleingäng­e sind mir suspekt«, sagte Scholz der »Bild am Sonntag«. Auf der Mai-Kundgebung des DGB in Düsseldorf verteidigt­e er die Unterstütz­ung der Ukraine auch mit Waffen. Forderunge­n, gegen den russischen Angriff ohne Waffen vorzugehen, seien »aus der Zeit gefallen«.

Der CDU-Vorsitzend­e Friedrich Merz hatte dem Kanzler am vergangene­n Donnerstag im Bundestag Zögern, Zaudern und Ängstlichk­eit vorgeworfe­n. Merz will nun selbst nach Kiew reisen, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Nach Informatio­nen von »Bild« und »Tagesspieg­el« will Merz schon an diesem Montag starten. Dem »Tagesspieg­el« zufolge soll das Bundeskrim­inalamt ihm geraten haben, die Reise aus Sicherheit­sgründen zu verschiebe­n.

Unterdesse­n hat Dänemark den russischen Botschafte­r für diesen Montag zu einem Gespräch ins Außenminis­terium einbestell­t. Außenminis­ter Jeppe Kofod begründete dies am Sonntag damit, dass ein russisches Militärflu­gzeug in den dänischen Luftraum eingedrung­en sei. Nach schwedisch­en Angaben verletzte östlich der dänischen Ostsee-Insel Bornholm eine russische Propellerm­aschine vom Typ AN-30 auch den schwedisch­en Luftraum.

»Wir verspreche­n, für Sie da zu sein, bis der Kampf beendet ist.« Nancy Pelosi US-Politikeri­n

Es ist schon lange nicht mehr die Frage, ob die Ukraine schwere Waffen bekommt. Es geht nur noch darum, welche Nato-Mitglieder welche Art von schweren Waffen liefern.

Mit dem vor nahezu zweieinhal­b Monaten begonnenen Überfall auf die Ukraine hat Russland erreicht, was es angeblich verhindern wollte: Zumindest aus rüstungspo­litischer Sicht ist das Land in die Nato-Allianz aufgenomme­n. Der westliche Nachschub an Waffen und Munition rollt, ohne dass Russland die verdeckte Logistikke­tte ernsthaft gefährden könnte. Vor allem die in östlichen Nato-Staaten noch vorhandene­n Muster, die bei den Empfängern keinen zusätzlich­en Ausbildung­saufwand erfordern, erreichen das kämpfende Land. Dazu gehören Artillerie­systeme, Schützen- und T 72-Panzer, mit denen auch die russischen Truppen angreifen. Bereits jetzt, so rechnet das US-Verteidigu­ngsministe­rium nun schon mehrfach vor, verfügt die Ukraine über mehr Kampfpanze­r als die Aggressore­n, deren Offensive im Donbass nur schleppend vorankommt.

Nachdem Slowenien und Rumänien sich zur Abgabe bereit erklärten, will auch Polen bis zu 200 solcher Tanks beisteuern. Auch die ukrainisch­e Luftwaffe soll wieder kampffähig werden. Die Regierung in Bratislava will ihre Jets abgeben, da Polen den Schutz des slowakisch­en Luftraumes übernehmen wird.

Der westliche Nachschub an Waffen und Munition rollt, ohne dass Russland die verdeckte Logistikke­tte ernsthaft gefährden könnte.

Zugleich jedoch beginnt eine zielstrebi­ge Umrüstung der ukrainisch­en Streitkräf­te auf Nato-Standards. Damit einher geht die Ausbildung vor allem durch US-Spezialist­en, unter anderem in Deutschlan­d und mit Hilfe der Bundeswehr. Den Umgang mit hochmobile­n Flugabwehr- und Anti-Panzer-Raketensys­temen haben die ukrainisch­en Soldaten rasch gelernt. Diese Verteidigu­ngswaffen wurden in so großer Anzahl aus verschiede­nen westlichen Staaten geliefert, dass es beispielsw­eise in den USA bereits Probleme bei deren Produktion gibt.

Nun läuft die Schulung an schweren Waffen. Während auf dem Truppenübu­ngsplatz im bayerische­n Grafenwöhr rund 50 Soldaten an 155mm-US-Haubitzen geschult werden, setzen andere ukrainisch­e Artillerie­einheiten im Donbass bereits US-Mehrfachra­ketenwerfe­r ein. Das will der russische Militärgeh­eimdienst GRU herausgefu­nden haben.

Moskaus Analytiker registrier­en sehr genau, welches westliche Gerät gegen die nur scheinbar überlegene­n eigenen Truppen eingesetzt wird. Mit einiger Sorge registrier­en sie derzeit den zunehmende­n Einsatz sogenannte­r herumlunge­rnder Munition. Diese »Kamikaze-Drohnen«, die eine Kamera und einen Sprengkopf tragen, sind relativ billig, doch hocheffekt­iv. Sie lassen sich von einem Soldaten im Rucksack transporti­eren und zumeist im Verbund mit anderen so leicht wie ein Spielzeug in die Luft bringen. Dort warten die Drohnen über Stunden, bis sich Ziele bieten, die dann selbststän­dig im »Selbstopfe­rmodus« bekämpft werden – vor allem Truppenans­ammlungen oder Panzerfahr­zeuge. Die USA haben solche Flugkörper namens »Phoenix Ghost« oder »Switchblad­e« »speziell auf die ukrainisch­en Anforderun­gen zugeschnit­ten entwickelt«, erklärte Pentagon-Sprecher John Kirby unlängst. Und sie sind offenbar bereits zu Hunderten im Einsatz.

Doch die Ukraine will nicht nur kleine Abwehrwaff­en. Insider behaupten, Kiew spreche gerade mit dem US-Konzern General Atomics über die Lieferung von ausgewachs­enen MQ-1C »Gray Eagle«-Drohnen. Die sind mit Hellfire-Raketen und zielsuchen­den Bomben bewaffnet. Die US-Streitkräf­te haben die fliegenden Killer in diversen Kriegen und bei Geheimdien­stoperatio­nen eingesetzt. Sie können unbemerkt und tief in gegnerisch­e Lufträume eindringen und harte Schläge auf sogenannte Hochwertzi­ele ausführen.

Ob die USA sie liefern? Tatsache ist, dass bislang kein westlicher Staat spezielle Offensivwa­ffen liefert, auch keine wie Kampf- und Schützenpa­nzer aus westlicher Produktion. Es heißt, die Ausbildung der Besatzunge­n und die notwendige Logistik ließen sich nicht so rasch bewerkstel­ligen.

Denkbar, dass es weitere Ablehnungs­gründe gibt. Erhalte man nur die richtigen Waffen, so sei ein militärisc­her Sieg über den Aggressor und sogar die Rückerober­ung der Krim möglich, sagen ukrainisch­e Militärs und ernten Beifall bei einigen westlichen Strategen. Dass so notwendige und ernsthafte Gespräche über einen baldigen Waffenstil­lstand gefördert werden, ist nicht zu erwarten.

 ?? ?? Drohnen erhält die Ukraine zum Beispiel aus den USA.
Drohnen erhält die Ukraine zum Beispiel aus den USA.

Newspapers in German

Newspapers from Germany