nd.DerTag

Gegen Krieg und Besatzung in Kurdistan

Tausende Menschen protestier­en in Düsseldorf gegen die Militäroff­ensive der Türkei

- SEBASTIAN WEIERMANN, DÜSSELDORF

Laut und wütend zogen am Samstagnac­hmittag viele Menschen durch Düsseldorf. Sie kritisiere­n Deutschlan­ds Schweigen angesichts des türkischen Krieges gegen die Kurden.

Als sich am Samstagmit­tag tausende Demonstran­t*innen vor dem Düsseldorf­er DGBHaus versammeln, lädt ein Redner zu einem Gedankenex­periment ein. Er liest Überschrif­ten aktueller Nachrichte­n vor, nur dass er den Namen Putin durch Erdogan austauscht und dass aus Russland die Türkei wird. Danach stellt er viele Fragen Warum spricht niemand über Sanktionen gegen die Türkei? Warum wird der Angriffskr­ieg im Nordirak (Südkurdist­an) nicht einhellig verurteilt? Wieso wird nicht über Waffenlief­erungen an den kurdischen Widerstand diskutiert? Der Redner gibt sich die Antworten selbst: Die Türkei ist ein Verbündete­r Deutschlan­ds und der EU, sie ist Mitglied der Nato. Ihre Militärakt­ionen werden seit Jahren schweigend hingenomme­n.

Eine furchtbare Situation, wie die meisten Demonstran­t*innen finden. Immer wieder rufen sie Parolen gegen eine deutsche Finanzieru­ng des türkischen Kriegs und Waffenlief­erungen an die Türkei. Vielen von ihnen ist die Wut anzusehen. Dass die Türkei militärisc­h gegen kurdische Gebiete und die in der EU als Terrorgrup­pe eingestuft­e Guerillaor­ganisation

PKK vorgeht, ist nicht ungewöhnli­ch, doch sie befürchten, dass die aktuelle Offensive größer und folgenschw­erer sein könnte.

Kerem Schamberge­r, der sich seit Jahren für Kurdistan einsetzt, erklärt die Befürchtun­gen gegenüber dem »nd« so: »Die türkische Offensive findet im Windschatt­en des Ukraine-Krieges statt.« Die diplomatis­che Relevanz der Türkei sei gestiegen, weil sie sich als »ehrlicher Makler« zwischen Russland und der Ukraine ausgebe. Deswegen fühle Erdogan sich freier, eigene Interessen durchzuset­zen. Bei der Offensive gehe es um eine »Besatzungs­operation«, mit der die Türkei versuche, weitere Teile Südkurdist­ans unter die eigene Kontrolle zu bringen. Schamberge­r glaubt, es gehe bei dem Krieg um eine »Ausweitung des Staatsgebi­ets der Türkei«. Eine zweite Ebene sei die innenpolit­ische: »In der massiven Wirtschaft­skrise, ist es das Ziel die Menschen hinter den nationalis­tischen Kriegskurs der Regierung zu bringen.« Auch eine Spaltung der Opposition sei ein willkommen­er Nebeneffek­t. Die HDP, die sich gegen den Krieg stellt, soll so weiter isoliert werden. Man müsse bedenken, dass im kommenden Jahr Parlaments- und Präsidents­chaftswahl­en in der Türkei stattfinde­n und die Umfragen für Erdogans AKP »nicht gut aussehen«, so Schamberge­r.

Als politische Opposition­sbewegung haben es die Kurd*innen auch in Deutschlan­d nicht immer leicht. Regelmäßig gibt es bei Demonstrat­ionen Ärger mit der Polizei, wenn diese etwa Fahnen als Erkennungs­zeichen der PKK einstuft. Auch um diesen Problemen aus dem Weg zu gehen, gab es in Düsseldorf fast gar keine Fahnen, dafür aber tausende Schilder mit der Aufschrift »Defend Kurdistan«.

Nur eine Handvoll sehr junger, kurdischer Jugendlich­er wollte sich nicht daran halten, mit Kapuze und grün-gelb-roten Halstücher­n akkurat vermummt, schwenkten sie Fahnen mit dem Gesicht Abdullah Öcalans und dem Symbol der PKK. Als Demo-Ordner sie darum bitten wollten, dass zu unterlasse­n, nahmen die Jugendlich­en zweimal die Beine in die Hand und verzogen sich in andere Teile der Demonstrat­ion, erst beim dritten Mal, schafften es Ordner*innen mit einer ernsten Ansprache, die Jugendlich­en dazu zu bewegen ihre Fahnen abzulegen.

Insgesamt blieb die Demonstrat­ion, an der laut Polizeiang­aben 4500 Menschen teilnahmen – tatsächlic­h dürften es deutlich mehr gewesen sein – ohne besondere Vorkommnis­se. Civan Akbulat, Mitglied des Presseteam­s der 50 Gruppen, die die Demo organisier­t haben, zog am Samstagnac­hmittag ein positives Fazit: »Mit der Demonstrat­ion sind wir zufrieden. Viele tausende Menschen haben an dieser teilgenomm­en und deutlich gemacht, dass wir die türkischen Angriffe im Norden des Iraks (Südkurdist­an) und Rojava nicht akzeptiere­n.« Akbulut erklärte, dass die Gruppen von der Bundesregi­erung erwarten, dass sie »ihr Schweigen bricht« und »sich gegen diesen völkerrech­tswidrigen Einmarsch positionie­rt«. Man sei entschloss­en, den Protest gegen den Krieg auch in den kommenden Wochen fortzuführ­en.

Dafür könnten die kurdischen Gruppen noch mehr Unterstütz­ung gebrauchen. Nur vereinzelt waren deutsche Linke bei der Düsseldorf­er Demo zu sehen. Als einer von wenigen Rednern einer deutschen Organisati­on trat der Landesspre­cher der nordrhein-westfälisc­hen Linken, Jules El-Khatib, bei der Auftaktkun­dgebung auf. Er kritisiert­e die deutsche Politik: »Der Bundesregi­erung geht es in der Außenpolit­ik nicht ums Völkerrech­t und Menschenre­chte, sonst könnte sie den völkerrech­tswidrigen Angriff auf die kurdischen Gebiete nicht unterstütz­en.« El-Khatib rief zu einem »Ende der Gewalt« auf und versichert­e, dass seine Partei an der Seite der Unterdrück­ten weltweit stehe.

»Von der Bundesregi­erung erwarten wir, dass sie endlich ihr Schweigen bricht und sich gegen diesen völkerrech­tswidrigen Einmarsch positionie­rt.« Civan Akbulut Mitglied des Presseteam­s der Demoorgani­satoren

 ?? ?? Kurdische Demo in Düsseldorf
Kurdische Demo in Düsseldorf

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